„Die Hornusser kommen!“ Durch den Ausruf ihrer Großmutter wurde Andrea Schlageter als Kind erstmals auf den Pilgerzug aufmerksam, der gleich am Haus der Familie vorbei hinauf zur Kirche Unserer Lieben Frau ziehen würde. Seit Jahrhunderten pilgern Menschen zum Gnadenbild auf den Todtmooser Schönbühl, seit mindestens 425 Jahren tun es die Hornusser. Immer montags vor Pfingsten legen sie den 42 Kilometer zwischen ihrer Gemeinde im schweizerischen Fricktal und dem Wallfahrtsort im Südschwarzwald betend zu Fuß zurück. Seit 27 Jahren ist die Todtmooserin Andrea Schlageter, heute 63, dabei.

„Man hat mich gewarnt: ,Wenn Du einmal mitgehst, gehst Du immer mit“, erinnert sich Andrea Schlageter an den Beginn ihrer Wallfahrtskarriere. Und tatsächlich war sie seit ihrem ersten Pilgerweg jedes Mal dabei. Sogar als im Corona-Jahr 2020 die Grenze zwischen Deutschland und der Schweiz geschlossen war.
„Damals waren wir zu fünft und sind in Laufenburg gestartet“, berichtet Andrea Schlageter, die die bis zu ihrer Pensionierung vor zwei Jahren bei der Todtmooser Rehaklinik Wehrawald arbeitete. Vom deutschen Laufenburg nahm die kleiner Wallfahrergruppe den üblichen Weg über den Hotzenwald bis nach Todtmoos unter die Sohlen. Was Andrea Schlageter damals nicht wusste: Auf der anderen Seite der Grenze waren am selben Tag vier Pilger aus Hornussen bis ins schweizerische Laufenburg gegangen.

Wird sie nicht von Kriegen, Pest oder eben Corona unterbrochen, verläuft die Hornusser Wallfahrt immer gleich. Sie beginnt frühmorgens um 5 Uhr mit der Pilgermesse in der Pfarrkirche St. Mauritius. Um 6.15 treffen sich die Wallfahrer auf der Rainhalde, einer Waldlichtung bei Hornussen, zur „Besammlung“. Über Ittenthal und Kaisten geht es nach Laufenburg über die Grenze. Vor dem Friedhof des badischen Laufenburg stoßen bei einer zweiten Besammlung weitere Pilger hinzu. Über Hänner, Hottingen, und Segeten führt die Route nach Todtmoos, wo die Wallfahrer gegen 16.45 Uhr eintreffen.
In manchen Jahren haben schon mehr als 300 Pilger die Fußwallfahrt zurückgelegt. „Zuletzt waren wir etwa 90“, sagt Andrea Strittmatter. Damit die große Gruppe diese lange Strecke im vorgegebenen Zeitrahmen zurücklegen kann, bedarf es größter Disziplin. Für die ist der Pilgerleiter zuständig, der an der Spitze der ihm in zwei langen Reihen folgenden Wallfahrer schreitet. „Wir laufen nicht wie die Hühner, sondern in Reih und Glied“, beschreibt es die langjährige Wallfahrerin.

Der Pilgerleiter gibt nicht nur das Marschtempo vor, sondern sagt auch an, wann Gebets-, wann Schweige- und wann Freimarsch ist. Insgesamt 32 Rosenkränze werden auf der Wallfahrt gebetet. Sogar 41 waren es bis 1972, als die Schweigezeiten eingeführt wurden. Zwischen den Doppelreihen der Pilger laufen Vorbeter, die den Takt beim Rosenkranzbeten vorgeben.
Sogenannte Freimärsche, bei denen die strenge Formation aufgelöst werden darf, gibt es nur an steilen Steigungen und beim Gang durch Laufenburg. „Wenn ich das alleine laufen müsste, ich glaube nicht, dass ich das schaffen würde“, gesteht Andrea Schlageter. Dabei ist sie durchaus sportlich, bewegt sich jeden Tag mindestens eine halbe Stunde in ihren Wanderstiefeln. Neben einer gewissen körperlichen Fitness sei etwas ganz anderes ausschlaggebend: „Das Gebet trägt einen mit.“
Nur wenige Male wird auf der langen Strecke gerastet: 20 Minuten in Hänner, in Segeten ist immer Mittagspause. In Hottingen dann greifen manche Pilger traditionell zu einer speziellen Stärkung, die sie neben Regenhaut, Thermoskanne und Vesperschachtel in ihrem Rucksack mitführen: einen Flachmann, den Schnaps gibt es zusammen mit einem Stück Würfelzucker.

Am Freiwald-Käppele schnaufen die Wallfahrer noch einmal durch, bevor es ins Wehratal hinabgeht. Wenn sie endlich in Todtmoos eintreffen, läuten alle Glocken der Kirche. Der Wallfahrtspriester begleitet sie die letzten Meter hinauf zur Kirche. Andrea Schlageter: „Wenn man nach so vielen Kilometern die Gottesmutter erreicht hat, fließen auch mal Tränen.“
Mit einer Maiandacht endet um 20 Uhr die Wallfahrt für manche. Für andere ist das gerade eben die Halbzeit. Denn sie legen am Dienstag dieselbe Strecke in umgekehrter Richtung von Todtmoos nach Hornussen wieder zurück. Zum 25. Mal ist dieses Jahr Andrea Strittmatter unter ihnen.