„Ich bin quasi die Augen am Himmel der Ukraine“, beschreibt Mykola Zdor, der als Drohnenpilot in einer Luftaufklärungseinheit der ukrainischen Armee seinen Dienst versieht, seine Tätigkeit. Gerade hat er Urlaub vom Krieg. Diesen durfte er nutzen, um seine inzwischen am Hochrhein lebende Familie zu besuchen.

Den Aufenthalt des gerade einmal 20-jährigen Soldaten in Deutschland nahm dessen Mutter Antonina Kardash zum Anlass, um dessen persönliche Erfahrungen im Kriegseinsatz publik zu machen. Im Gespräch mit unserer Zeitung berichten Mykola Zdor und seine Mutter davon, warum er sich freiwillig entschieden hat, zur ukrainischen Armee zu gehen, welche Schlüsselaufgabe er als Drohnenpilot im Kampf gegen Russland erfüllt, und warum er auch für Deutschland kämpft. Mit dabei ist auch Übersetzerin Anastasiia Tsebro.

Auf Flucht nach Deutschland folgt Rückkehr ins Kriegsgebiet

Anastasiia Tsebro, Mykola Zdor und Antonina Kardash (von links) beim Gespräch mit unserer Zeitung.
Anastasiia Tsebro, Mykola Zdor und Antonina Kardash (von links) beim Gespräch mit unserer Zeitung. | Bild: Michelle Güntert

„Mykola ist unser Adoptivsohn. Er war 17 Jahre alt, als der Krieg begonnen hat. Darum ist er zunächst mit uns nach Deutschland geflohen“, beginnt Antonina Kardash, die mittlerweile sehr gut Deutsch spricht, die Erzählung. Kurz darauf sei Mykola aber volljährig geworden und habe sich dann dazu entschieden, sich freiwillig bei der ukrainischen Armee zu melden.

„Als ich im Internet Bilder von toten ukrainischen Kindern und Frauen gesehen habe, wusste ich, dass ich das nicht einfach so mitansehen kann“, schildert Mykola Zdor seine Beweggründe. Er habe sowieso eine Karriere beim Militär angestrebt. Daher habe er seiner Familie gesagt, dass er zurück in die Ukraine gehen werde.

„Dieser Entschluss hat uns natürlich belastet. Aber wir wussten, dass wir ihn nicht aufhalten können. Daher haben wir seine Entscheidung schließlich akzeptiert“, sagt seine Mutter. Dass sie noch immer schweren Herzens an jene Zeit zurückdenkt, ist aber nicht zu übersehen.

Ausbildung im Schnelldurchlauf in England

Mykola Zdor in seiner Armeekleidung.
Mykola Zdor in seiner Armeekleidung. | Bild: Mykola Zdor

Nachdem Mykola sich freiwillig gemeldet hatte, habe er eine zweimonatige militärische Grundausbildung in England absolviert. Danach ging es in die Stadt Robotyne in der Region Saporischschja, die vorher seine Heimat in der Ukraine darstellte. Vier Monate lang war Mykola in einer Infanterieeinheit eingesetzt.

Der junge Ukrainer kann dies alles offen erzählen, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Sogar einen Instagram-Account, auf dem er Bilder von sich als Soldat öffentlich teilt, führt er. Die Erfahrungen, die er bei der Infanterie gemacht hat, seien allerdings alles andere als leicht. Zwei- bis dreimal pro Nacht seien die ukrainischen Stellungen angegriffen worden. „Oft war gar nicht an Schlaf zu denken“, so Mykola. Es seien viele Raketen in der unmittelbaren Umgebung eingeschlagen.

Zum Beweis seiner Darstellungen zeigt er immer wieder Videos auf seinem Handy. Er wirkt sehr gefasst und auch ein bisschen stolz, wenn er so von seinem Alltag erzählt.

Seiner Mutter sind unterdessen vor allem die zwei Wochen besonders im Gedächtnis geblieben, in denen sich Mykola nicht melden konnte. Noch heute stehen ihr Tränen in den Augen, wenn sie davon berichtet: „Ich war sehr erleichtert, als endlich die kurze Nachricht mit „Ich bin am Leben, es geht mir gut“ kam“, sagt sie. Daher wolle sie ihren Sohn jetzt, da für die kurze Zeit von zwei Wochen wieder bei ihr zu Besuch ist, so oft in den Arm nehmen wie nur möglich.

Von der Front in die Luftaufklärung

Düster: Von einer solchen Untergrundstellung aus arbeitet Mykola Zdor.
Düster: Von einer solchen Untergrundstellung aus arbeitet Mykola Zdor. | Bild: Mykola Zdor

Mykola Zdor berichtet weiter, dass er eines Tages davon erfahren habe, dass Drohnenpiloten gesucht werden, weil Drohnen im Krieg eine zunehmend wichtigere Rolle spielen. Der ukrainischen Armee mangle es es aufgrund von Verlusten an solchen Spezialisten. Daher haben er und ein Freund sich dazu entschieden, in diese Abteilung umzusteigen.

Auch hierfür habe es eine Schnellausbildung gegeben, die auf Learning-by-Doing angelegt gewesen sei. Viel Zeit gebe es im Krieg eben nicht. Mykola wechselte schließlich in eine spezielle 15-köpfige Luftaufklärungseinheit, die einer größeren Truppe von 60 bis 200 Kämpfern untergeordnet ist.

Sie seien die „Augen am Himmel“, wie sich Mykola ausdrückt. In zwei Schichten, eine am Tag von 8 bis 14 Uhr und nochmals eine in der Nacht von 20 bis 2 Uhr, fliegt Mykola von einer im Untergrund eingerichteten Stellung aus eine Drohne. Ziel sei vor allem, Aufklärungsarbeit zu leisten. Dabei hat er Unterstützung von einem Co-Piloten, der ihm beim Navigieren hilft.

Dem Grauen mit Humor begegnen

Das Gerät für den Kriegseinsatz: Eine solche Drohne kann Mykola Zdor steuern.
Das Gerät für den Kriegseinsatz: Eine solche Drohne kann Mykola Zdor steuern. | Bild: Mykola Zdor

Ziel sei es, russische Truppen, deren Bewegungen und auch Waffen- und Munitionslager ausfindig zu machen. Mit den Fluggeräten greift Mykola aber auch aktiv ins Kriegsgeschehen ein, denn mit den Drohnen lassen sich auch Granaten transportieren, mit denen feindliche Truppen beschossen werden. „Ich erachte das als meine Arbeit. Nur auf diese Weise kann ich meine Heimat verteidigen“, erklärt Mykola.

Es komme auch vor, dass russische Soldaten, die von ihrer Einheit abgedrängt werden und sich plötzlich allein wiederfinden, als Gefangene genommen werden, um sie später gegen ukrainische Kriegsgefangene auszutauschen. Auch hierzu hat Mykola eine Videoaufnahme.

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„Ich habe den Eindruck, dass manche sich absichtlich ergeben, da ihre Motivation nicht so hoch ist oder sie den Sinn ihres Einsatzes schlicht nicht verstehen“, so Mykolas Eindruck. Aber wie kommt er mit dem Krieg und allem, was damit verbunden ist klar? „Grundsätzlich ist es sehr wichtig, positiv zu bleiben und eine Distanz zu wahren. Ich überspiele Vieles mit meinem Humor und fange dann an, Witze zu machen“, führt er weiter aus.

Weitere Videos von Autofahrten oder auch Einsätzen seiner Einheit zeigen, dass offenbar viele Soldaten eine ähnliche Strategie verfolgen.

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Krieg fordert psychisch und physisch Tribut

Wiedersehensfreude: Antonina Kardash mit ihrem Sohn Mykola Zdor und ihrem Mann Olexiy Balyuta (von links).
Wiedersehensfreude: Antonina Kardash mit ihrem Sohn Mykola Zdor und ihrem Mann Olexiy Balyuta (von links). | Bild: Antonina Kardash

Trotzdem setzt der Krieg dem jungen Mann physisch und psychisch zu. Er erzählt, dass er nahezu täglich vier bis fünf Kilometer hin und wieder zurück an seine Einsatzstellen zu Fuß zurücklegen und dabei Equipment mit einem Gewicht von 70 Kilogramm tragen muss. Das habe seinen Rücken und seine Knie bereits in Mitleidenschaft gezogen.

Hinzu kommen Schlafentzug und spärliche Pausen. „Ich bin müde“, sagt er ganz offen. „Trotzdem bereue ich meine Entscheidung nicht“. Am schlimmsten sei es, wenn einer seiner Kameraden fällt.

„Als er mir einmal davon in einem Videotelefonat erzählt hat, habe ich meinen Sohn das erste Mal in seinem Leben weinen sehen“, sagt Antonina Kardash. Die Zeit mit seiner Familie baue Mykola wieder ein Stück weit auf.

Trio: Mykola Zdor (Mitte) mit seinen beiden 16-jährigen Brüdern Nikita Kardash (links) und Aleksandr Balyuta (rechts).
Trio: Mykola Zdor (Mitte) mit seinen beiden 16-jährigen Brüdern Nikita Kardash (links) und Aleksandr Balyuta (rechts). | Bild: Antonina Kardash

Fronturlaub in Deutschland unter strengen Auflagen

Um nach Deutschland ausreisen zu dürfen, hat er sich in Lviv nahe der polnischen Grenze bei einer zentralen Stelle mit Angabe einer Destinationsadresse abmelden müssen und muss sich nach Ablauf seines Urlaubes dort auch wieder zurückmelden. Er hält es aber für wahrscheinlich, dass viele dies ausnutzen könnten und nicht wieder in die Ukraine zurückgehen werden.

Für Mykola komme das aber nicht infrage, wie er sagt. Zum einen verspüre er eine Verpflichtung gegenüber seinen „Brüdern“, wie er seine Kameraden nennt. Und zum anderen sei er auch fest davon überzeugt, dass man die Russen in der Ukraine aufhalten müsse, um eine Ausweitung des Kriegs auf andere Teile Europas zu verhindern.

„Ich kämpfe auch dafür, dass meine Eltern und andere Menschen weiterhin in Deutschland sicher sind“, sagt Mykola Zdor abschließend.

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