Der Landkreis Waldshut ist in Baden-Württemberg mit am stärksten vom Lehrermangel betroffen. Vor allem an den Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrum (SBBZ) ist die Not groß. So auch an der Carl-Heinrich-Rösch-Schule für geistigbehinderte Kinder und Jugendliche in Tiengen. Dort ist nur noch jede zweite Stelle mit einer Fachkraft besetzt, 20 Prozent der Stellen sind vakant.
Vertreter der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) aus dem Landkreis, dem Landes- und Bundesverband zeigten sich bei einem Besuch dennoch beeindruckt, wie die Schule mit der gegenwärtigen Situation umgeht.
Die meisten Lehrkräfte sind Quereinsteiger
An der großen Stellwand, die bei Schulleiter Roland Zettel-Kreide im Büro steht, ist es auf einen Blick zu erkennen: Die Lehrer mit Ausbildung haben in der Belegung der Klassen die Farbe grün, die Lehrer ohne Ausbildung die Farbe gelb. Gelb überwiegt.

Der Unterricht wird zum Großteil mit sogenannten Pols (Personen ohne Lehramtsbefähigung) gestemmt – von Erzieherinnen, Schreinern, Einzelhandelskaufleuten, Bankkauffrauen, Friseurinnen oder Bürogehilfen. Zettel Kreide schätzt ihre Arbeit und den Einsatz für die Schüler, ärgert sich aber über die nicht angemessene Entlohnung. „Sie werden unglaublich schlecht bezahlt, machen aber eine gute Arbeit.“ Einige von ihnen bringen jahrelange Erfahrungen als Erzieher mit, „müssen bei uns aber auf der niedrigsten Stufe anfangen. Das ist nicht richtig“.
Aktuell sind an der Schule 60 Lehrer tätig. Diese Zahl wirke auf den ersten Blick groß, so der Schulleiter, und relativiert: „Dass wir so viele Lehrer haben, liegt an der kleinen Gruppen-Größe. Der Teiler für eine Klasse liegt bei sechs Schülern.“ Für eine Klasse werden viele betreuende Personen benötigt, zudem sind zahlreiche Kinder auf eine Eins-zu-eins-Betreuung angewiesen.
Zuvor wurden Quereinsteiger in den Lehrerberuf wegen der fehlenden pädagogischen Ausbildung als sogenannte Nichterfüller bezeichnet. Auch mit dem Begriff „Pol“ sind Vertreter der Gewerkschaft und der Schule alles andere als zufrieden. Zettel Kreide nennt ein Beispiel: „Unsere Musiklehrerin, von Haus aus Bankkauffrau, verdient wenig Geld, macht aber eine Arbeit, die wichtig ist und sonst keiner kann.“
„Quereinsteiger helfen uns sehr, da sind richtige Perlen darunter“, sagt auch Rudolf Schick, Leiter des Staatlichen Schulamts Lörrach. Aber: Eine voll ausgebildete Lehrkraft könnten sie nicht 1:1 ersetzen.
Was sind die Gründe für den Lehrermangel?
„So attraktiv der Landkreis Waldshut für Arbeitskräfte in der Industrie ist, so unattraktiv ist er für Lehrkräfte“, erläutert Rudolf Schick.
Die Pädagogischen Hochschulen in Freiburg, Karlsruhe und Tübingen sind weit weg, vor allem junge Lehrer zieht es eher in diese Städte, als auf das Land. Erschwerend hinzu kommt die Nähe zur Schweiz, wo deutlich höhere Gehälter gezahlt werden.
Warum sind vor allem SBBZ betroffen?
„Weil die Prognosen falsch waren. Die Landratsämter haben prophezeit, dass die Schülerzahlen zurückgehen, also wurden Ausbildungskapazitäten abgebaut“, sagt Schick. An der Carl-Heinrich-Rösch-Schule hätten sich die Schülerzahlen hingegen verdoppelt. „Wir sind unglaublich schnell unglaublich gewachsen“, berichtet Schulleiter Zettel-Kreide.
Bis ein Lehrer fertig ausgebildet ist, vergehen laut Schulamtsdirektor sieben Jahre. Er vergleicht die Lehrerversorgung daher mit einem großen Tanker. „Es braucht lange, bis die Bewegung am Steuer ankommt.“ Das befürchtet auch Roland Zettel Kreide. Zwar wurde jetzt für die Schulart eine Studienmöglichkeit in Freiburg mit Ausbildungsmöglichkeit in der Region geschaffen, der jetzt akute Lehrermangel lasse sich damit aber nicht lösen.
Wie sieht es an anderen Schulen im Landkreis Waldshut aus?
„Alle Schulen sind funktionsfähig“, sagt Schick. Konkrete Zahlen, und welche Schulen besonders betroffen sind, möchte er in diesem Zusammenhang nicht nennen. „Ausfälle konnten wir durch Elternzeit-Rückkehrerinnen ausgleichen“, so Schick. Zudem wechselten drei Lehrkräfte aus einem anderen Bundesland in den Schulamtsbezirk, davon eine in den Landkreis Waldshut.
Im Vergleich zum Schuljahresanfang habe sich die Versorgung an den Grundschulen leicht verbessert. An den Schulen der Sekundarstufe I könne es in einzelnen Fächern, wie etwa Französisch oder Physik, zu Ausfällen kommt.
Wie ist die Perspektive?
„Wir bräuchten eine Ausbildungsstätte in der Region. Leute, die in der Region ausgebildet werden und dann auch hier bleiben wollen“, sagt Schick.
Das fordern auch die Vertreter der Gewerkschaft, zudem adäquate Anstellungsverträge, eine ausreichend Aus- und Weiterbildung der Quereinsteiger vor Ort und Anreize für die Arbeit an Schulen in ländlichen Regionen. Letzteres ist auch für Schulleiter Zettel-Kreide ein Ansatz. „Wir müssen dafür sorgen, dass es hier ein unglaublich gutes Schulklima gibt, das zu uns noch mehr Lehrer kommen wollen.“ Dazu zähle für ihn aber auch die entsprechende Ausstattung.
Bei all den Nachteilen habe der Landkreis Waldshut laut Schick aber im Vergleich zu anderen Landkreisen oder großen Städten: „Wer sich für den Landkreis Waldshut entschieden hat, bleibt auch dort“, so Schick.
Die GEW-Vertreter zeigten sich nach ihrem Besuch beeindruckt: „Es ist eine tolle Schule, wo Schüler gut unterstützt und begleitet werden. Es ist beeindruckend, unter welchen schwierigen Bedingungen das geht. Aber das kann nicht dauerhaft so bleiben“, fordert die GEW-Bundesvorsitzende Maike Finnern. Auch die Landesvorsitzende Monika Stein lobt das Engagement der Fachkräfte und Quereinsteiger. „Man sieht es den Menschen an, dass sie gerne hier arbeiten.“

Zu ihnen gehört auch Katja Gethke aus Dogern.

Die 53-Jährige ist Gruppenleiterin im Schulkindergarten und hat vorher 20 Jahre als Erzieherin gearbeitet. Seit 2019 hatte sie fünf Verträge und unbezahlte Sommerferien. Mittlerweile wurde ihr Vertrag entfristet. „Ich wollte etwas Neues machen. Es war ein harter Weg und ich brauchte viel Geduld. Die Arbeit mit den Kindern macht mir viel Spaß.“