„Willst du die Spuren eines Autounfalls verwischen?“ Diese Antwort erhalte ich, als ich einen Freund frage, ob er Interesse hätte, zu erfahren, wie Dachsfleisch schmeckt. Denn ich habe vor kurzem 500 Gramm Dachsgulasch gekauft – einfach so an der Frischetheke. Ein Zufallskauf bei einem Waldshuter Metzger. Weil ich mich zu ungewöhnlichen Nahrungsmitteln hingezogen fühle und mir beim Lesen des Etiketts in der Frischetheke zum ersten Mal im Leben bewusst wurde, dass wohl auch Dachse essbar sind. Und auch genießbar, der Metzger vergleicht den Geschmack mit Wildschwein.
Natürlich war der ursprüngliche Gang zum Metzger längst Nebensache geworden, ich sicherte mir 500 Gramm Gulasch. Es sollte allerdings einige Wochen dauern, bis ich in den Genuss des Dachses kam – das Fleisch fror ich auf Anraten des Metzgers ein. Denn Freiwillige in meiner Bekanntschaft zu finden, die bereit sind, Dachsfleisch zu probieren, ist gar nicht so einfach. Ich blicke oft in verdutzte Gesichter.
„Du kriegst bestimmt Streifen, wenn du Dachs isst“, sagt mir meine Tante. Und einige Tage nach dem Dachsgulasch-Schmaus schickt mir eine Freundin eine Fotomontage: Das Bild zeigt mich als Imbissbetreiber, neben mir ein Dönerspieß, auf dem ein Dachs aufgespießt ist.
Fraglos: Dachs auf dem Teller polarisiert. Im Internet finde ich einen Artikel des Boulevardblattes BILD, das sich 2018 darüber empörte, dass ein Berliner Restaurant Dachs-Ravioli anbietet. Wenig überraschend waren die Tierschützer von PETA nicht begeistert. In Österreich gründete hingegen laut der Wiener Tageszeitung Der Standard ein Tierarzt einen „Dachs-Ess-Club“, der sich für die Enttabuisierung des Dachsverzehrs einsetzt.
Warum ist das Dachsfleisch so ungewöhnlich?
Natürlich war auch ich überrascht, als ich das Dachsgulasch in der Fleischtheke entdeckte. Doch es handelt sich immerhin um ein heimisches Wildtier wie Reh, Hirsch und Wildschwein, die aus der winterlich-gutbürgerlichen Küche schließlich nicht wegzudenken sind.
Es scheint fast, als wäre Känguru-, Straußen- und Krokodilfleisch vielen Menschen weniger suspekt. Google zeigt für alle diese drei Fleischsorten mehr Ergebnisse an als für Dachsfleisch. Dabei sind diese Tiere aus deutscher Perspektive exotischer als der Dachs, sie müssen aus Ländern der Südhalbkugel importiert werden.
Aus ökologischer Sicht ist ein heimisches Wildtier die umweltschonendeste Variante, Fleisch zu konsumieren. Denn während für die Verpflegung von Nutztieren Regenwälder abgeholzt und durch Soja-Monokulturen ersetzt werden, sucht sich der Allesfresser Dachs seine Nahrung selbst. Auch für das Tierwohl ist die Jagd in freier Natur schonender als ein Leben in Massentierhaltung.
Dachsfleisch ist nahrhaft
Zudem ist Dachsfleisch nahrhaft. Der Anteil ungesättigter Fettsäuren im Dachsfleisch ist gemäß einer Studie der Universität Wien besonders hoch, das Gulasch ist also gesünder als beispielsweise Schweinefleisch. Wie auch Wild- und Hausschweine muss der Dachs jedoch vor der Verarbeitung auf Trichinen untersucht werden. Diese parasitären Fadenwürmer können bei Allesfressern auftreten. Ich vertraue dem Metzger einfach mal, dass er in dieser Hinsicht gründlich war.
Die aktuelle deutsche Jagstatistik zeigt für das vergangene Jahr fast 89.000 erlegte Dachse an – es wurden zuletzt also mehr Dachse geschossen als Wildkaninchen. In einem Magazinbeitrag lese ich, dass Dachse früher vor allem bei der ärmeren Landbevölkerung als Braten auf den Tellern landeten. Aus dem Fett der Tiere wurden Rheumasalben, aus ihrem Fell Rasierpinsel gemacht. Ganzheitliche Verwertung – nachhaltiger geht‘s nicht!
Doch diese Argumente ziehen nicht, die wenigsten Bekannten können sich für ein Dachs-Dinner begeistern. Auf Nachfrage wird oft mit der Putzigkeit des Dachses gegen seinen Verzehr argumentiert. Fraglos hat diese auch an mir genagt. Als mir im Buchladen ein herziges Kinderbuch mit dem Titel „Der Dachs hat heute schlechte Laune“ begegnet, bekomme auch ich Skrupel.
Doch ich wehre mich gegen den Gedanken: Ferkel und Kälber sind auch süß und die wenigsten Fleischesser haben mit deren Schlachtung ein Problem. Zudem finde ich den Gedanken zynisch, aufgrund des Aussehens eines Tiers zu entscheiden, welches sterben muss und welches am Leben bleibt.
Das Rezept
Zwei Freunde erklären sich dann doch bereit, mit mir gemeinsam das Dachsgulasch zu essen. Hätte ich nicht bereits ein Rezept, würde ich online in Jagd-Blogs Rezepte für Dachspfeffer finden. Doch der Metzger hat auf den Kassenbon ein Rezept für das Gulasch gedruckt. Da die Mengenangaben fehlen, muss ich dennoch ein bisschen improvisieren.
Das Dachsfleisch schneide ich klein und brate es scharf an. Kleingehacktes Wurzelgemüse – ich nehme Karotten, Sellerie und eine Pastinake – wird mit Brühe oder Wildfond gekocht und gewürzt. Ich nehme hierzu Salz, Pfeffer, Thymian, Wildgewürz, Nelken, Wacholder- und Preiselbeeren, Rotwein sowie Speisestärke zum Andicken. Dann gebe ich das Fleisch hinzu und schiebe das Gulasch für drei Stunden in den Ofen. Später wird das Gulasch noch mit Cognac und geriebenem Lebkuchen abgeschmeckt.
Zum Gulasch gibt es Spätzle, Preiselbeeren, Eisbergsalat, den restlichen Kochwein und Jazz. Und das Fleisch? Der Dachs schmeckt nach Wild. Die viel gelesenen Vergleiche mit Wildschwein sind angebracht, das Fleisch ist zart und knorpelfrei. Nur einmal schwabbelt ein Fettfetzen durch meinen Mund, den ich bei bestem Willen nicht zerkauen und runterschlucken kann und dessen ich mich entledigen muss. Den anderen schmeckt der Dachs auch, wir leeren den kompletten Topf.
Wer nun ebenso experimentierfreudig sein will, muss sich allerdings noch etwas gedulden. Die Jagdsaison für Dachse ist in Deutschland sehr kurz: von 1. August bis 30. Oktober. Dass ich nächstes Jahr dann nochmal ein Dachs-Dinner zur Dachs-Saison zubereiten werden, glaube ich allerdings nicht. Denn mein guter Vorsatz für 2022 wird sein, meine Ernährung auf vegetarisch umzustellen.
(Dieser Artikel erschien erstmals im Dezember 2021)