Laut Bundesfamilienministerium leben in Deutschland rund 50.000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit einer unheilbaren Krankheit – Fehlbildungen wie Gendefekte und Krebs gehören zu den häufigsten Ursachen. „Lebensverkürzend“ heißt das Fachwort – und Simone Frache, Koordinatorin beim ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst Lörrach/Hochrhein weiß:
„Die Diagnose ist für betroffene Familien erschütternd! Zukunftspläne und Lebensentwürfe zerbrechen, der Alltag muss von einem Tag auf den anderen angepasst, Ängste und Seelenschmerzen ertragen werden.“Simone Frache
Seit Juni 2017 bietet der ambulante Hospizdienst des Malteser Hilfsdienstes in den Landkreisen Lörrach und Waldshut genau in solchen Situationen Unterstützung. „Von der Diagnose an, stehen wir Familien bei und schenken Zeit“, so Frache, „unser Anliegen ist es, Eltern und Großeltern zu entlasten und Betroffenen sowie Geschwisterkindern Momente der Freude zu schenken.“
19 ehrenamtliche Mitarbeitende stehen mittlerweile für den Einsatz bereit. In einer rund 120 Stunden dauernden Qualifizierung, bestehend aus Theorie und Praktikum, haben sie unter anderem gelernt, was ein todkrankes Kind für eine Familie bedeutet, wie sich Familiengefüge dadurch verändern und was das zum Beispiel für Geschwisterkinder bedeutet, die oft weniger Zeit und Anerkennung bekommen.

Zu den Mitarbeitenden gehören Erzieherin Claudia Trimpin (63) aus Grenzach-Wyhlen und die kaufmännische Angestellte Elke Schöne (61) aus Schopfheim.
„Viele denken: ‚Einem sterbenden Kind die Hand halten – das ginge mir zu nahe‘, aber unsere Arbeit ist so viel mehr: Wir bringen Kinderaugen zum leuchten, verbringen so wertvolle und schöne Momente mit betroffenen und Geschwisterkindern.“Claudia Trimpin
Manchmal nur in der intensiven Sterbephase, aber oft sogar über Jahre hinweg: Wenn der erste Schock der Diagnose überwunden ist, wenn sich der herausfordernde Alltag mit dem schwerstkranken Kind oder Jugendlichen eingestellt hat oder sogar noch, wenn der Abschied vom verstorbenen Kind längst genommen, die Trauer aber immer noch jeden Tag präsent ist.
„Vor dem ersten Einsatz in einer Familie hatte ich einen riesigen Respekt“, erinnert sich Elke Schöne, die erst seit diesem Jahr dabei und Mutter eines Sohnes ist. „Doch ich möchte mich für Kinder engagieren und habe mich deshalb für die Mitarbeit entschieden.“ Claudia Trimpin ist Mutter einer erwachsenen Tochter, verlor vor vielen Jahren ihren Sohn kurz nach der Geburt und ist schon seit Beginn an im Einsatz: „Familien mit Kindern zu helfen, ist eine echte Herzensangelegenheit von mir“, sagt sie.
Das Kinder- und Jugendhospiz
Den Tod eines Kindes, haben beide in ihren Einsätzen noch nicht erlebt. Doch die Einsätze waren vielseitig: Familien mit einem Kind, das an einem lebensverkürzenden Gendefekt leidet, ein sehr frühes Frühchen im Krankenhaus, dem rund um die Uhr Körpernähe und Beschäftigung gut tat, jugendliche Geschwister, die ein Elternteil durch eine schwere Krankheit verloren hatten – und einfach nur jemanden gebraucht haben, der da ist, ihnen zuhört und ihre Trauer ernst nimmt.
Trimpin und Schöne haben strahlende Gesichter, wenn sie von ihren Einsätzen sprechen und erzählen, wie sehr sie an ihren Aufgaben und Herausforderungen gewachsen sind – und wie viel ihnen die Dankbarkeit der Betroffenen zurückgibt. Und trotzdem gibt Schöne zu: „Ich hatte Sorge, dass mich diese Arbeit zu sehr mitnimmt.“
Doch in regelmäßigen Supervisionen sprechen alle Ehrenamtlichen gemeinsam über ihre Einsätze, stehen sich in schwierigen Situationen bei und besinnen sich auf einen ganz entscheidenden Grundsatz ihrer Ausbildung:
„So hart es klingt: Wir können die Familie nicht retten, das müssen wir akzeptieren: Die Diagnose steht fest, aber wir können etwas Fröhlichkeit in eine schwere Zeit bringen, in dem wir kämpfenden Familien Zeit schenken. Das ist unsere Aufgabe.“Simone Frache
Die Mitarbeitenden besuchen und begleiten Familien in der Klinik oder zu Hause, spielen, lesen vor, begleiten Ausflüge. „Und wir sind da und hören zu“, sagt Claudia Trimpin, „und zwar ohne Floskeln wie ‚es wird schon wieder‘ – das ist so wichtig für Betroffene, in einer Gesellschaft, in der Trauer, Tod und Krankheit zu Tabuthemen gehören, die gerne verharmlost und kleingeredet werden.“
Oft befänden sich betroffene Familien in sozialer Isolation, ohne Zeit für Freunde oder Privatleben. Bei den Ehrenamtlichen darf eine Mutter ohne Scheu fragen: „Wie wird es sich anfühlen, wenn mein Kind stirbt? Wie wird das Leben weiter gehen?“ Und auch Geschwisterkinder, die ihren Kummer oft hinunterschlucken, um die Eltern nicht noch mehr zu belasten, hätten mit den Helferinnen einen neutralen Ansprechpartner.
Natürlich berühre das auch die Mitarbeiterinnen.
„Wir sind so nah an den Familien dran – da gehören auch intensive Gefühle dazu, aber ich nehme das nicht mit nach Hause. Das Wichtigste ist, dass wir uns in unserer Freizeit auch um uns selbst kümmern und tun, was uns gut tun, um Kraft zu tanken für den nächsten Einsatz.“Claudia Trimpin
In Ruhe eine Tasse Tee trinken, Hobbies ausleben, Freunde treffen, die Seele baumeln lassen bei einem langen Spaziergang in der Natur – das seien Strategien zum Abschalten.

Interview mit Simone Frache: „Eltern dürfen das Thema Tod nicht zum Tabuthema werden lassen“
Auch Simone Frache hat stets ein offenes Ohr: „Bei mir können sich die Mitarbeitende aussprechen und auch weitere Hilfe anfordern“, sagt die einzige Festangestellte des ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienstes, die Erstgespräche mit Familien führt und alles koordiniert, „wir arbeiten eng mit den verschiedensten Institutionen zusammen, wie Ärzten, Sozialarbeitern und Kliniken.“
Geht das Leben eines Kindes oder Jugendlichen zu Ende, wird das spezialisierte ambulante Palliativ Care Team vom Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin der Uniklinik Freiburg verständigt, um den Schwerstkranken oder Sterbenden im Endstadium zu Hause oder in der Klinik medizinisch zu unterstützen, etwa mit schmerzlindernden Medikamenten. „Auch in dieser Phase sind unsere Mitarbeitenden da – wenn es die Familie wünscht“, sagt Simone Frache, „wir sind da, solange wir gut tun und Familien unterstützen können.“