Jürgen Scharf

Als wäre es die Großherzogin von Baden: Die Trauerfeier für Mary Codman am 19. August 1929 vor dem Laufenburger Schlössle war einer Fürstin würdig und gestaltete sich zu einer beeindruckenden Kundgebung kollektiver Dankbarkeit zu Ehren der hochgeachteten und mit fast 90 Jahren hochbetagt gestorbenen Ehrenbürgerin: „Die Trauerfeier begann um halb zwölf vor dem Schlössle, wo der reich geschmückte Eichensarg in einem Hain von Palmen und Lorbeer stand. Die Feuerwehr hielt Ehrenwache. Die Stadt- und Feuerwehrmusik und der Männergesangverein umrahmten die Abdankung, der katholische Stadtpfarrer sprach ein Gebet für das frühere Mitglied der anglikanischen Kirche und dankte für ihre Spenden, Bürgermeister Alois Häffner hielt einen ehrenden Nachruf.“

Ansicht der Grabstätte der Familie Codman: Juniper Hill Cemetery, Bristol.
Ansicht der Grabstätte der Familie Codman: Juniper Hill Cemetery, Bristol. | Bild: Ralph Kinder

So hat der Laufenburger Stadtarchivar Martin Blümcke die Szenerie einmal anschaulich beschrieben. Als Vorlage diente ihm eine Fotoserie des Säckinger Fotografen Gersbach, der Aufnahmen von dieser Zeremonie, der Abschiedsfeier, der Abdankung und dem Weg des langen Trauerzugs gemacht hatte. Auf diesen historischen Fotodokumenten sieht man, wie ein mit vier Pferden bespannter schwarzer Totenwagen sich den Heilig-Geist-Buckel hinabbewegt, durch die Hauptstraße zum Bahnhof Laufenburg/Baden. Den Weg säumen Fahnen auf Halbmast. Am Bahnhof angekommen, wird der Sarg in einen Güterwaggon verladen. „Von der Höhe des Städtchens erdröhnten drei Böllerschüsse, unter den Klängen des Sternenbannermarsches, dem Lieblingsstück der Verblichenen, erfolgte die Abfahrt des Zuges“, schrieb die Lokalzeitung.

Mary Belknap Codman im Profil, schätzungsweise zwischen 45 und 50 Jahre alt.
Mary Belknap Codman im Profil, schätzungsweise zwischen 45 und 50 Jahre alt. | Bild: Frowald Rünzi

Der Leichnam wurde, wie es Mary Codman verfügt hatte, in einem Metallsarg nach Amerika überführt, ins Land ihrer Heimat. Dort fand sie, wie sie es bestimmt hatte, ihre letzte Ruhestätte im Familiengrab auf dem Juniper Hill Cemetery in Bristol, State of Rhode Island. Da in ihren letzten Lebensjahren Hermann Brutsche, der spätere Wirt des „Rebstocks“, ihr Sekretär, Schlossverwalter und Haushaltsvorstand war, sollte er die Überführung des Leichnams begleiten, mit der Eisenbahn bis Bremen und dann per Schiff nach New York.

Bürgermeister Alois Häffner (Mitte, mit Amtskette) bei der Trauerfeier für Mary Elizabeth Codman. Rechts neben Häffner Stadtpfarrer ...
Bürgermeister Alois Häffner (Mitte, mit Amtskette) bei der Trauerfeier für Mary Elizabeth Codman. Rechts neben Häffner Stadtpfarrer Heimgartner. | Bild: Stadtarchiv Laufenburg/Fotostudio Höckendorff

In diesem Jahr gibt es gleich zwei Gelegenheiten, an die Grande Dame, hochherzige Stifterin und warmherzige Wohltäterin der Stadt zu erinnern: Heute jährt sich der Todestag von Mary Codman zum 90. Mal, ihr 180. Geburtstag steht am 26. September an. Die Laufenburger Romanautorin Petra Gabriel schreibt im Auftrag der Stadt an einer Biografie über die Ehrenbürgerin, die im Herbst 2020 erscheinen soll, und hat sich bereits intensiv auf Spurensuche begeben. Ihre historische Forschung führt auch nach Amerika und will das Leben, die Herkunft und das Wirken der „Schlössle-Madame“, um die sich eine gewisse Verklärung und Mythenbildung ranken, neu beleuchten. In der Amerikanerin Mary Elizabeth Belknap Codman sieht Gabriel eine Persönlichkeit mit vielen Facetten.

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Mit dem Schlössle, der Codman-Anlage, dem Pavillon am Rhein und dem Haus Mariagrün habe Codman „Dinge für die Ewigkeit geschaffen, die sie weit über ihren Tod hinaus in der Stadt präsent erhalten,“ so Petra Gabriel, die auch einen Blick auf die Zeitgeschichte und das Leben der Familie vor dem Hintergrund des amerikanischen Bürgerkriegs, des Frauenwahlrechts und des Ersten Weltkriegs werfen will.

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Bei ihren Recherchen hat sie entdeckt, dass die amerikanischen Belknaps auf Vorfahren aus dem altenglischen Adel verweisen, und zwar auf Sir Robert Belknap, einen 1401 gestorbenen englischen Richter, den gemeinsamen Urahnen. Zu dessen Nachfahren habe nicht nur der Amerika-Auswanderer Abraham Belknap gehört, der mit seiner Frau Mary 1635 ausgewandert ist und die amerikanische Familienlinie der Belknaps begründet hat, sondern sogar Lady Diana Spencer und, in weitläufiger Verwandtschaft über sechs Linien hinweg, die englische Königin Elizabeth II – man höre und staune.

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Der Hang zum Adel und zu den Oberen Zehntausend bei der als sehr standesbewusst und mondän geltenden Mary Codman kommt nach Ansicht von Petra Gabriel nicht von ungefähr. Die Codmans, die Familie ihres ersten Mannes Arthur, zählte zu den „Boston-Brahmins“, die diese Bezeichnung von den indischen Brahmanen, der obersten Kaste, ableiteten und ihre Herkunft auf die ersten Siedler in Neuengland zurückführten. „Es war ein weit verzweigter Clan“, so Gabriel, „Geschäftsleute gehörten dazu, vermutlich Sklavenhändler, aber auch Künstler und Architekten. Sie spielten in einer Liga mit den Vanderbuilts und den Rockefellers. Bei diesen Familien war das Reisen üblich, insbesondere nach Europa, ebenso das Mäzenatentum“.

Kinder liegen ihr am Herzen

„Kinder hatten es ihr besonders angetan“, so Petra Gabriel über die Wohltätigkeit von Mary Codman, die der Stadt Laufenburg einen Kindergarten im Haus Mariagrün einrichtete. Codman habe zudem eine tiefe Sympathie für die Deutschen gefühlt. Bis heute sichtbares Zeichen dafür seien der von ihr finanzierte Adler auf dem Kriegerfelsen und die Codman-Anlage.

Mary Codman und ihre Vermögensverhätnisse

Als ihr nach dem Kriegseintritt der USA die Internierung drohte, sah sich Mary Codman veranlasst, Deutschland 1918 zu verlassen, sie kehrte aber nach zwei Jahren zurück. Mit ihrem zweiten Mann, dem Pianisten Robert Freund, veranstaltete sie in ihrem Zürcher Stadthaus denkwürdige Soireen und exklusive Soupers, zu denen sie eigens den Koch und „Meerfräulein“-Wirt Hermann Probst aus Laufenburg kommen ließ. In Zürich und den Musikzentren Paris, Berlin, St. Petersburg lag der gesellschaftliche und künstlerische Mittelpunkt des Ehepaars Freund. Wie waren die Vermögensverhältnisse der legendären Schlössle-Besitzerin? Dass sie bei ihrem Tod am 9. August 1929 in Laufenburg verarmt gewesen sein soll, verweist die Biografin anhand der Steuerbescheide des Finanzamts Säckingen ins Reich der Legende: Mary Codman sei nicht als arme Frau, sondern als Millionärin gestorben.