Mit dem Wort Zeitenwende sollte man sorgsam umgehen, aber das Ende des Zweiten Weltkriegs mit der Kapitulation des Großdeutschen Reichs am 8. Mai 1945 war sicher eine solche. Für die Rheinschiene von Wallbach bis Waldshut endete am Mittwoch, 25. April, nach nur zwölf Jahren das Tausendjährige Reich der Nazis, ihre auf Angst und Repression angelegte Herrschaft und ihre gewaltbetonte Machtausübung. Bei einem Rückblick kann man leider keine Augenzeugen mehr befragen, man muss sich auf die schriftliche Überlieferung stützen.

Nach der Befreiung des Elsasses stehen sich im Südwesten das 1. Armeekorps unter General de Lattre de Tassigny und die 19. deutsche Armee unter Einschluss des XVIII. SS-Armeekorps gegenüber. Die französischen Truppen stoßen nach Karlsruhe, Stuttgart und Freudenstadt vor und kesseln die Deutschen ein. Um die Nordgrenze seines Landes zu sichern, bittet der Schweizer General Henri Guisan sein französisches Pendant, eine Division über Freiburg, Lörrach und weiter an den Hochrhein zu dirigieren. Das geschieht und am 24. April besetzt die Heeresspitze das Wehratal und Öflingen.

Am nächsten Morgen nähert sich gegen 9.15 Uhr die Vorhut aus fünf Panzern amerikanischer Herkunft und einem Jeep Säckingen, das sich kampflos ergibt. Ebenso Murg und um 9.40 Uhr wird vor Rhina aus die Laufenburger Stadtgrenze angefahren. Dort begegnet ihnen der städtische Amtsdiener Karl Booz mit einer weißen Fahne, den kurz zuvor noch ein SS-Unteroffizier mit seiner Waffe bedroht hat, bis Booz seine Pistole zieht. Die Widerstandsgruppe aus Booz, Josef Matt, Stadenhausener Obstbauer und Sozialdemokrat, Franz Wildner, ein Elektriker aus der Oststadt, und Rudolf Zachmann, Oberinspektor und später der von den Franzosen eingesetzte Bürgermeister, hat am Morgen des 25. April im Rathaus gegenüber einigen Unverbesserlichen ertrotzt, dass sich der Ortsgruppenleiter der Partei und Bürgermeister Bertold Bohnert, ein Lehrer seines Zeichens, bereit findet, Laufenburg kampflos zu übergeben.

Booz, Matt und Bohnert machen sich auf den Weg. Nach der „Krone“ – heute „Bückle“ – geht Karl Booz allein weiter, denn der enttäuschte Bürgermeister muss noch in der Wirtschaft ein Viertele trinken, Matt ihn bewachen. Im Protokoll der Widerstandsgruppe ist zu lesen: „Die Truppen hielten und Booz wurde vor einen franz. Offizier geführt. Dieser frug ihn, wer er sei, warum er und nicht der Bürgermeister zur Übergabe erscheine, ob sich SS oder andere Truppen in Laufenburg befänden und ob die Stadt verteidigt werden sollte. Booz erwiderte, dass der Bürgermeister unterwegs sei, und dass die Stadt nicht verteidigt werde. Der Offizier sagte darauf, dass die Übergabe durch den Bürgermeister, nicht von ihm, sondern vor der Stadt zu erfolgen habe. Sodann setzten sich die franz. Truppen wieder in Bewegung. Nach etwa 700 Meter stießen sie bei Kaufmann Schlageter in Rhina dann auf Bohnert und Matt, und Bohnert übergab sodann die Stadt offiziell dem franz. Befehlshaber.“
Der Weg zur kampflosen Übergabe
Im Oktober 1944 rief der Führer seine letzten personellen Mittel auf: zum Volkssturm, dem alle Männer im Ort von 16 bis 60 Jahren angehören mussten. Hier sind dies etwa 250 Personen, die in vier Aufgebote eingeteilt werden: Jünglinge, Männer für die Front, für die Heimatverteidigung und für besondere Dienste. Ihr Kommandant wurde Robert Voegele, Prokurist bei der Firma Enag und Hauptmann der Reserve, der nach einer schweren Verwundung zu Hause lebt. Von den Militärs ist Laufenburg als Hauptstützpunkt vorgesehen, der auch gegen eine Übermacht zu verteidigen ist.

Anfang Dezember kommt eine Pionierkompanie mit 30 Mann in die Hans-Thoma-Schule, um den Volksstürmlern beim Schanzen zu helfen. Eine westliche Verteidigungslinie führt vom Kraftwerk zur Oberen Sitt und nach Niederhof mit Laufgräben, MG-Ständen und Mannschaftsunterkünften. Im Osten geht der Gürtel von der Brunnenmatt zum Haus Jasmin und zur Seidenweberei Eggemann, Lange & Co, auch entlang der Reichsstraße 34. Eine Kernzone umschließt die Siedlung Berg, Schlössle und Heilig-Geist-Kirche. Zu den 38 Befestigungsanlagen gesellen sich noch Panzersperren mit Baumstämmen vor dem Dreispitz, am Heiliggeistbuckel, vor dem Rathaus und im Städtle unten. Die Bewaffnung des Volksturms war minimal: 36 Gewehre mit je 70 Schuss, zwei Maschinengewehre und 40 Panzerfäuste.
Mutige verhindern Schlimmeres
Die Ortskommandanten von Säckingen, Murg und Laufenburg sind sich einig, dass militärischer Widerstand völlig sinnlos ist. Nach außen hin müssen sie jedoch Einsatz zeigen, um nicht als Rebellen kaltgestellt zu werden. Voegele zieht den Kompanieführer Erich Hollerbach ins Vertrauen, weiterhin die Herren Knab und Weisser, Schneidermeister Bächle, Sattlermeister Ücker, den Lehrer Weiß, Alfons Weber aus Rhina, Huber aus dem Binzger Loch und Fritz Huber aus Luttingen. Zum Schluss tragen sie unter der Uniform zivile Kleidung, um ungefährdet untertauchen zu können.
Am 24. April erlaubt Voegele, einige Panzersperren zur Hälfte abzutragen, Dafür gibt es Beifall aus der Bevölkerung. Ein alarmierter Offizier aus Säckingen kann zum Glück besänftigt werden. Um 17 Uhr bricht Panzeralarm mit den Sirenen los, die Sperre am Dreispitz wird besetzt, Gruppenführer Bongartz ist eingeweiht. Gegen Mitternacht zieht sich die Wehrmacht zurück. Die 30 Pioniere versuchen vergeblich, über die Brücke in die Schweiz zu gelangen. Ein Oberleutnant droht ihnen mit Erschießen wegen Fahnenflucht; sie ziehen nach Waldshut ab. Die Panzerfäuste werden vergraben. Keine Spur bleibt mehr von SS-Einheiten.
Am 25. April um 7 Uhr ruft Hauptmann Voegele seine Männer bei der Sperre am Dreispitz zusammen und erklärt ihnen, Laufenburg werde unter keinen Umständen verteidigt. Der Volkssturm sei hiermit aufgelöst und alle entlassen. Jubel der Umstehenden folgt. Danach entrollt man die weiße Fahne und versenkt die restlichen Waffen im Rhein. Voegele übergibt die Befehlsgewalt an Bürgermeister Bohnert im Rathaus.
Sprengt das Kraftwerk!
Ebenso dramatisch, wenn auch weniger öffentlich, geht es im Kraftwerk Laufenburg zu, das zur einen Hälfte auf Schweizer, zur anderen auf deutschem Staatsgebiet liegt. Am 19. März erlässt Adolf Hitler den Nero-Befehl zur Zerstörung aller Brücken und Kraftwerke im Reichsgebiet. Bald bemerken die Schweizer Grenzsoldaten unter Leutnant Louis Lang, dass Sprengstoff in den Minenkammern eingelagert wird. Der Offizier pflegt verbindlichen Kontakt mit dem stellvertretenden Leiter des militärischen Hilfsdienstes Zelewski. In der Nacht zum 25. April um 2 Uhr treffen sich Lang und Zelewski, der vor dem Abmarsch seiner Truppe den Schlüssel übergibt. Als gegen Morgen die Sprengabteilung eintrifft, sind die 2000 Kilogramm Sprengstoff längst an die Schweizer Armee übergeben.
Keine sichtbaren Schäden
Beim Einmarsch der Franzosen in Laufenburg ist niemand getötet oder verletzt worden, zu größeren materiellen Verlusten ist es nicht gekommen. Die inneren Schäden und Verletzungen aus der Nazizeit in den Köpfen und Psychen der Bewohner haben sie aber noch Jahrzehnte lang begleitet, verängstigt, und belastet.