Das Lokal war Kultkneipe und Szenetreff: Seit Dezember hat das Café „Verkehrt“ im Murger Ortsteil Oberhof geschlossen. Damit ging eine 40-jährige Geschichte zu Ende. Für viele junge Menschen hat das „Kaffe“ zeitweilig die Welt bedeutet. Es war ein soziokultureller Ort, wo man sich kennenlernte. Angesichts der Schließung hat der SÜDKURIER Stimmen eingeholt, was der Verlust dieser Kulturbühne für die Region bedeutet, aber auch, was diese Kultkneipe für sie einmal bedeutet hat.
Sonja Sarmann: „Ich bin davon überzeugt, dass sich viele Künstler aus der ganzen Welt mit Freude an ihre legendären Auftritte erinnern.“
Sonja Sarmann, Mitglied der ersten Stunde der Hotzenwälder Kleinkunstbühne und mehrmals deren Vorsitzende, hat im Café Verkehrt einen Großteil ihres Leben mitgewirkt. Die Sozialarbeiterin hat nicht nur die Crêpes gebacken, sondern war die Seele der Kulturkneipe. Sie schildert, wie alles angefangen hat:
„An meinen ersten Abend im Café ‚Verkehrt‘ kann ich mich noch sehr gut erinnern. Es war der 13. Oktober 1983, ein Sonntagabend. Ein Konzert mit Roland Schaeffer von Guru Guru mit Paramashivam, einem südindischen Tempeltrommler, war angekündigt. Mir gefiel die Räumlichkeit mit den verschiedenen Ebenen und Nischen sehr gut. Durch das Programm erfuhr ich Inspiration und es war klar, ich möchte keine Veranstaltung mehr verpassen.

Mich führte es dann nach Köln, um Sozialarbeit zu studieren. Aber eine Heimat wie das Café ‚Verkehrt‘ konnte ich nicht entdecken und so war mir klar, wenn ich auf Heimaturlaub bin, werde ich mich im Café engagieren. Mein erster Einsatz war, zusammen mit Klaus Reymann die legendäre Knoblauchbutter zuzubereiten.
1985 wurde die Hotzenwälder Kleinkunstbühne gegründet. Diese übernahm dann die finanzielle Verantwortung und trug durch verschiedene AGs wie Musik und Kunst dazu bei, dass weiterhin ein vielfältiges Programm möglich wurde. Nach dem Tod von Klaus war es zumindest ein Treffpunkt für die Kleinkunst.
Reymann war seiner Zeit voraus. Einen solchen Treffpunkt wie damals, der für viele junge Menschen ein wichtiger Ort der Sozialisation war, wird es nicht mehr geben. Dafür braucht es auch das Interesse der Jugend, da hat sich vieles verändert. Ich bin davon überzeugt, dass sich viele Künstler aus der ganzen Welt, denen die Werte der Gastfreundschaft ebenfalls wichtig waren und die meistens auf das Honorar verzichteten, mit Freude an ihre legendären Auftritte erinnern.

Mir ist besonders der Auftritt von Stiller Has im Gedächtnis geblieben. Es war ein Freitag im Dezember, die Heizung fiel aus und wir mussten mit Gasbrennern die Innentemperatur einigermaßen hinkriegen. Es war ausverkauft und hinzu kam, dass Stiller Has mit einem Filmteam kam. Bei einer Temperatur von 18 Grad erledigte Endo Anaconda den Rest im Wintermantel, Pudelmütze und Schal und dem Einstieg: ‚Ich hab Sehnsucht nach dem Süden!‘ Ansonsten war es für mich eine Ära, über die ich noch lange erzählen könnte.“
Renata Vogt: „Ein Besuch im Café war, wie einzutauchen in eine Welt, in der so vieles möglich war.“
Renata Vogt, Laufenburger Buchhändlerin und langjährige Kulturmacherin, begann im Café „Verkehrt“ bei der Hotzenwälder Kleinkunstbühne mit der Kulturarbeit. Sie sagt über diese Zeit:
„Es war ein Ort, an dem sich Gleichgesinnte trafen. Es spielte keine Rolle wie alt man war, woher man kam – es herrschte ein bestimmter Freigeist. Die bereits bestandenen finanziellen Verpflichtungen lagen uns schwer auf dem Magen. Schlussendlich wurden sie von unserem damaligen Kassierer gut gelöst.
Nach dem Tod des Cafégründers Klaus Reymann hatte sich für mich die Atmosphäre schon bald verändert. Klaus war nicht unanstrengend, aber er hatte ein Superhändchen für ausgefallene Musik, für ausgefallenes Kabarett.
Ich habe heute noch Kontakt zu Freunden, die ich damals im Café kennenlernte. Ein Besuch im Café war, wie die eigene Realität für kurze Zeit zu verlassen und einzutauchen in eine Welt, in der so vieles möglich war. Ich glaube schon, dass das auch heute möglich wäre. Es war für die damalige Zeit außergewöhnlich. Ich habe im Café nicht nur Pippo Pollina, auch Valter Rado, Endo Anaconda und Holger Paetz kennengelernt. Und die alljährlichen Waidele-Konzerte, bei denen einfach die Post abging, sind unvergessen.
Der Verlust dieser Kulturbühne ist einerseits sehr schade und dennoch kann ich mit meiner reichen Erfahrung sagen: Etwas endet und etwas Neues wird beginnen. Das ist das Leben.“
Bernd „Blondie“ Wallaschek: „Durch Till Erb als Tontechniker wurde das Café zu einem Konzertraum erster Güte.“
Bernd „Blondie“ Wallaschek, Bluesmusiker aus Herrischried und grünes Urgestein, kam vor mehr als 40 Jahren in den Hotzenwald. Er kennt das Café „Verkehrt“ gut, ist hier oft aufgetreten:
„Damals in den 80ern waren Rock- und Blueskonzerte am Hochrhein rar und so stieß Klaus mit seinem Konzept in eine Marktlücke. Er kam damals bei uns vorbei, um uns seine Ideen vorzustellen, weil wir als Musiker und Grüne einen Bekanntheitsgrad in der Szene hatten. Natürlich habe ich mit vielen Bandprojekten immer wieder gerne im Café gespielt wie zum Beispiel Kohldampf, Anselm-König-Band, Central Station Blues Band oder Blue Station. Klaus nahm sich dann nach dem Gig backstage gerne die Zeit für eine ausführliche Kritik, unterfüttert mit reichlich Alkohol.
Ich bin kein Kneipengänger, schon weil ich lieber Kuhmilch als Alkohol trinke. Für mich war das Café in erster Linie eine kulturelle Einrichtung, wo mit Gleichgesinnten Beziehungen gepflegt wurden.
Nach dem Tod von Klaus wurde vor allem durch Till Erb als Tontechniker das Café zu einem Konzertraum erster Güte. Da es zu dem Zeitpunkt nur noch für Veranstaltungen geöffnet war, trat der soziale Aspekt der Kneipe in den Hintergrund. Damit ein solches Konzept auch heute noch funktionieren kann, braucht es vor allem Menschen, die mit Leidenschaft solch ein Projekt organisieren, siehe Gerard Reichert in der Schlosserei in Wehr. Aber inzwischen sind Kreis- und Stadtverwaltungen aufgewacht und bieten Veranstaltungen an, die privatwirtschaftlich betriebenen Musik- und Kulturkneipen das (Über-)leben schwerer machen.

Es ist schade, wenn solch eine Einrichtung mit sehr gutem Ruf und ausgewählten Programm mit internationalen und regionalen Künstlerinnen und Künstlern schließt. Peter Maier hat in den letzten Jahren viel Kapital und Herzblut investiert, so wie auch der Kleinkunstverein mit seinen Veranstaltungen im Lokal. Dass sich niemand gefunden hat, der das engagiert weiterbetreibt, ist schade. Aber nichts bleibt, wie es war. Und es wird immer wieder neue Ideen für Kultur und Gemeinsamkeit geben, wie in der Gemeinde Murg die Initiatoren des Zechenwihler Hotzenhauses zeigen.“
Heike Faller: „Manchmal schmiss Klaus Reymann all seine Gäste raus. Dadurch wurde der Ort noch interessanter.“
Heike Faller, die in Niederhof aufgewachsen ist, lebt heute in Berlin als Autorin für das Zeit Magazin und schreibt Bücher. Die preisgekrönte Journalistin erinnert sich an ihre Kultursozialisation im Café „Verkehrt“:
„Als Jugendliche war ich oft im ‚Kaffe‘, wie es abgekürzt hieß, es gab ja auch keine anderen Cafés, die gemeint hätten sein können, und habe es geliebt. Dort gab es alternative Menschen, Crêpes und immer frische Blumen, ein tolles Kulturprogramm – es war halt einfach der Treffpunkt der alternativen Szene, einen anderen gab es nicht. Wichtig war auch Klaus Reymann, der launische und arrogante Besitzer, der seine Gäste nicht besonders freundlich behandelte. Manchmal bekam er auch Wutanfälle und schmiss alle raus. Irgendwie wurde der Ort dadurch noch interessanter, umso mehr wollte man dazu gehören. Ich glaube selbst in München sind Barbesitzer freundlicher.
Nachdem ich Anfang der neunziger Jahre weggezogen bin, war ich nur noch ganz selten da, aber natürlich war es schön zu sehen, dass andere Leute etwas anderes daraus machten. Und jetzt? Kann es sein, dass die Region enger zusammengewachsen ist, wer in Murg lebt, lebt auch mit einem Bein in Basel oder in Freiburg und das, was früher alternativ war, ist heute Mainstream – vielleicht braucht es das ‚Kaffe‘ einfach nicht mehr so sehr.“