Verena Pichler

Der Sitzungssaal platzte am Donnerstag aus allen Nähten: So groß war das Interesse am Beschluss des Gemeinderats zu den vorgezogenen ökologischen Ausgleichsmaßnahmen für die A 98.5, dass manche Zuhörer während der rund zweieinhalbstündigen Diskussion stehen mussten. Das Ergebnis fiel denkbar klar aus: 20 Räte stimmten zu, fünf SPD-Räte dagegen und die Grünen sowie Eckhart Hanser (CDU) enthielten sich.

Voll war’s nicht nur in den Zuschauerreihen, sondern auch am Platz der Verwaltung. „Der geballte Sachverstand des RP“ (OB Klaus Eberhardt) war gekommen, um noch einmal ausführlich zu erklären, warum es die vorgezogenen Maßnahmen braucht und was das genau bedeutet. Den Anfang machte Heidi Götz, stellvertretende Leiterin der Abteilung Straßen und Verkehr.

  1. Was sagt das Regierungspräsidium? Der geplante Abschnitt führt durch einen hochwertigen Naturraum, weshalb viele Ausgleichsmaßnahmen nötig sind. Diese müssen greifen, bevor mit dem Bau begonnen werden kann. „Das Planfeststellungsverfahren ist sehr weit fortgeschritten“, so Götz. Dabei spielten die ökologischen Ausgleichsmaßnahmen eine maßgebliche Rolle. „Wenn wir damit nicht zu Streich kommen, will ich nicht bedenken, was das bedeutet“, so Götz im Hinblick auf die Forderung der BI und der Ortschaftsräte Karsau und Minseln, die Maßnahmen mit der Verhandlung über eine bessere Überdeckelung zu verknüpfen.

Neben dem Autobahnbau gibt es ein weiteres Großprojekt, das Ausgleichsflächen in großem Maße beansprucht: das Pumpspeicherkraftwerk Atdorf. Darauf wies auch Forstsachverständige Petra Binder hin. „2010, 2011 stand das Konzept. Dann kam es wegen Atdorf zu einer enormen Verknappung der Flächen.“

  1. Was hat es mit der Fledermaus auf sich? Im Mittelpunkt des ökologischen Ausgleichs steht die Bechsteinfledermaus. Diese streng geschützte Art wurde 2008 bei Karsau entdeckt. „Sie hat einen Aktionsradius von ein bis zwei Kilometern und siedelt vornehmlich in Buchen, Spechthöhlen, aber auch vereinzelt in Obstbäumen“, erläuterte Robert Brinkmann, vom Institut für angewandte Tierökologie in Freiburg. Der größte Eingriff durch den Trassenbau ist der Verlust des Lebensraums. Die BI argumentiert, dass eine Überdeckelung auch für die Fledermäuse besser sei – dem schlossen sich die Gutachter nicht an.

Für den Ausgleich ist der Bereich nördlich der Autobahn besonders geeignet. Dieser Wald würde demnach nicht mehr bewirtschaftet werden, die Tiere fänden Alt- und Totholz vor, hätten ein großes Jagdgebiet. Zusätzliche Nistkästen würden die Aufzucht verbessern. Diese Maßnahmen kämen nicht nur der Bechsteinfledermaus, sondern auch anderen Tieren, wie dem Abendsegler oder der Haselmaus zugute. Heiner Lohmann (Grüne) wollte wissen, ob eine weitere Population überhaupt Platz fände, weil die Ausgleichsflächen bereits besiedelt seien. Brinkmann versicherte, dass dies der Fall und die Wahrscheinlichkeit sehr hoch sei, dass die Tiere die angebotenen Höhlen annehmen werden.

Auf insgesamt rund 6,8 Hektar wäre eine Bewirtschaftung nicht mehr möglich, weshalb die Stadt als Eigentümer eine Entschädigung bekommen wird. Auch deren Höhe von knapp 170 000 Euro stieß bei den Ortschaftsräten Minseln und Karsau auf Kritik. Allerdings kann dieses Waldstück wegen des Artenschutzes schon heute kaum noch bewirtschaftet werden, wie Forstbezirksleiter Martin Groß erklärte. Jede Baumfällung muss mit der Unteren Naturschutzbehörde abgestimmt werden.

  1. Wie verlief die Diskussion? Zweieinhalb Stunden dauerte die größtenteils sehr sachlich geführte Diskussion. Die Bürger bekamen die Möglichkeit, Fragen zu stellen – hauptsächlich gaben sie jedoch Statements ab. Zwölf Fragen hatte die BI Tunnel im Vorfeld ausgearbeitet. Einmal aber drohte die Stimmung zu kippen: Ein Warmbacher Bürger erklärte, man müsse die Diskussion beenden und die Autobahn zügig bauen, denn die Menschen in der Stadt bräuchten dringend die Entlastung. Das quittierten einige Zuhörer mit Buhrufen und wütenden Gegenreden.

„Wir dürfen die Belastung nicht gegeneinander ausspielen und auch nicht Natur gegen Mensch“, erklärte Heiner Lohmann für seine Fraktion, die sich „aus Sympathie für die BI“ komplett enthielt. Es habe auch im Gemeinderat böses Blut gegeben, was er sehr bedauere. „Wir sind für die 400-Meter-Lösung und gegen die 80, glauben aber nicht, dass auch nur ein Meter mehr gebaut wird.“

Geschlossen traten auch die Freien Wähler auf. „Die vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen sind wichtig für die Offenlage“, so Karin Reichert-Moser. Die Freien Wähler unterstützten die Forderung nach der langen Überdeckelung. „Wir sehen aber hier keinen Zusammenhang.“ In Richtung der BI, die im Vorfeld in einem Brief die Gemeinderäte aufgefordert hatte, für ihr Anliegen zu stimmen, sagt sie: „Ja, wir haben die gesamte Region im Blick.“ Bis auf Hanser stimmten die CDU-Räte alle für die Vereinbarungen mit dem RP. „Wir sehen keinen direkten Zusammenhang zwischen Tunnel und Ausgleichsmaßnahmen“, so Paul Renz. Die Bürger erwarteten einen zügigen Weiterbau der A 98. Richtung BI erklärte er, dass die Forderung nach der Überdeckelung im Planfeststellungsverfahren laufen müsse. „Da gehört es hin.“

Von Geschlossenheit kann in der SPD-Fraktion keine Rede sein – schließlich sitzen mit Uwe Wenk und Eveline Klein Mitglieder der Ortschaftsräte am Ratsrund, die weitere Verhandlungen mit dem RP gefordert hatten. Alfred Winkler (SPD) sprach deshalb für den Teil der Fraktion, die der Vereinbarung zustimmte. „Der Bund plant nach seinen gesetzlichen Vorgaben“, so der ehemalige Landtagsabgeordnete, der dafür Buhrufe aus dem Publikum kassierte. „Die Ablehnung der Ausgleichsmaßnahmen bringt keine 400 Meter.“

Eveline Klein war die Enttäuschung und Spannung in der Fraktion deutlich anzusehen. „Alles, was wir wollen, sind weitere Verhandlungen und ein Kompromiss“, so die Ortsvorsteherin von Minseln. „Unser Antrag verhindert nichts und verzögert nichts.“ Dies belege die Historie des Projekts. „Wir standen immer wieder kurz vor der Offenlage. Unser Antrag verzögert nicht einen Tag den Moment, in dem das erste Auto über die A 98 rollen wird. Nicht einen.“

Stimmen aus der Gemeinderatssitzung

  • „Wenn man da wegen der Fledermaus jetzt schon nicht arbeiten darf, frage ich mich, wie man dann eine Autobahn durchbauen kann.“

Eveline Klein (SPD)

  • „Die 80-Meter-Lösung und Mitfinanzierung der Stadt ist nicht auf meinem persönlichen Mist gewachsen.“

Klaus Eberhardt (OB)

  • „Welche Person oder Stelle kümmert sich eigentlich um den Schutz des Menschen?“

Johann Koch (Bürger)

  • „Wir glauben, dass kein Meter Tunnel mehr gebaut wird.“

Heiner Lohmann (Grüne)

  • „Der Brief von Regierungspräsidentin Bärbel Schäfer war nicht zielführend und steht einer Landesbeamtin nicht zu.“

Eckhard Hanser (CDU)

  • „Verstehen Sie die Bedenken der Bürger aus Minseln und Karsau. Sie sind eigentlich nichts anderes als Hilferufe.“

Uwe Wenk (SPD)