Rheinfelden Ein einsamer Wanderer, namenlos und fremd in der Stadt, eine junge Frau, die sich in ihn verliebt, und ein Rivale, der um ihre Gunst kämpft: Diese Figuren stehen im Mittelpunkt der „Ballade vom Rattenfänger“, die vom Spielzeitteam des Lörracher Theaters Tempus fugit am Montag und Dienstag im Bürgersaal Rheinfelden gelungen aufgeführt wurde.

Regisseur Vaclav Spirit hat sich in seiner packenden Bühnenfassung an die gleichnamige Novelle des tschechischen Autors Viktor Dyk angelehnt. Darin taucht der Rattenfänger, der lange Zeit durch Länder und Städte gezogen ist, eines Tages in der Stadt Hameln auf. Mit Weste, Umhang und einer magischen Pfeife gibt Fabian Meier die Titelfigur. Sein Rattenfänger ist ein geheimnisumwitterter Ausgestoßener, ein Unbehauster, ein Verzweifelter, umgeben von Melancholie, Einsamkeit und auch von Düsternis.

In der ersten Szene des Stücks trifft er auf die liebliche Agnes (Liliane Rieckmann). Es kommt zu Momenten voller Innigkeit, Zärtlichkeit und brüchigem Glücksgefühl. Doch ihre Liebe steht unter keinem guten Stern, denn sie wird verraten und enttäuscht. Der gut betuchte Christian (Merlin Stefan), der auf das Erbe seines Onkels spekuliert, wirbt ebenfalls um die Gunst der schönen Agnes. „Die Zukunft gehört mir, Agnes gehört mir“, ist sich der großspurige Christian sicher.

Der Rattenfänger dagegen ist in dieser Version getrieben von düsteren Gedanken. Von Stadt zu Stadt ist er gezogen, und nun, in Hameln, hat er die Stadt von den lästigen Ratten befreit. Doch den versprochenen Lohn hat er dafür nicht erhalten, die Oberen der Stadt rücken die vereinbarten 100¦Taler nicht heraus. Der geschäftstüchtige Frosch (Angelika Ebert, mit dicker Zigarre, weiß geschminktem Gesicht und rotem Gehrock) feilscht mit ihm um das Geld, versucht die Forderung des Rattenfängers herunterzuhandeln. Frosch ist einer der Prototypen der Stadt, die von Kleinbürgern, Handwerkern, Kaufleuten und Ratsherren bevölkert ist.

Diese Figuren, auch die affektierten jungen Damen, treten stilisiert auf. Die weiß geschminkten Gesichter, die Perücken, die barock anmutenden Kostüme lassen sie als das erscheinen, was sie sind: heuchlerisch, geldgierig, arrogant, nur auf ihren Vorteil bedacht, und ablehnend gegenüber dem Fremden, dem Rattenfänger. Als Kontrast zu diesen theatralisch herausgeputzten und tragikomisch überspitzten Gestalten gibt es auch Figuren, die menschlich und anrührend daherkommen und echte Emotionen verkörpern. So wie die Hauptfiguren, der Rattenfänger und Agnes, aber auch die Außenseiterin Jorga, die von Luzie Kühn bewegend in ihren emotionalen Ausbrüchen dargestellt wird. Jorga, ärmlich gekleidet, wird von den anderen ausgelacht und verspottet. Die Drossel im Käfig, deren herrlicher Gesang sie beruhigt, ist das Liebste, was das Mädchen hat. Als sie das Vögelchen verliert, trauert sie wehklagend: „Sie war alles, was ich hatte.“

Eindrücklich spielen die jungen Darstellerinnen und Darsteller im Alter von 18 bis 21¦Jahren die Figuren dieser rätselhaften Ballade, die auf die berühmte Sage vom Rattenfänger von Hameln zurückgeht. Manche der Spielerinnen und Spieler wechseln zwischen mehreren Rollen. So gibt Leonie Blöchlinger die Lora, das Kätchen und – in einer gespenstischen Szene – den schwarz gewandeten Magister Faustus aus Wittenberg, der den Rattenfänger aufsucht. Angelika Ebert mimt neben dem Frosch auch den Teufel und Astrid Iberg ist mal Mutter, mal Fremde, mal eine Bettlerin, die an den Stadtmauern kauert.

Mit Gerüsten auf mehreren Ebenen, weißen Vorhängen und einfachen Holzkisten wird die Stadt angedeutet. Mit wenigen Handgriffen werden die Bühnenelemente eingesetzt, die Kisten werden zu Tischen im Wirtshaus, wo die Bürger einkehren und die Wirtin den besten Wein der Stadt anpreist.

Das junge Ensemble agiert wandlungsfähig und ausdrucksstark in dieser tragischen Außenseitergeschichte, die Vaclav Spirit mit wirkungsvollen Mitteln wie Verfremdung, Stilisierung, geheimnisvollen Stimmen und Live-Musik umgesetzt hat. Am Schluss folgen alle der verhängnisvollen Pfeife des Rattenfängers, die Reichen und die Bettler, nur Jorga bleibt allein zurück in der Stadt – ein starkes Schlussbild.