Roswitha Frey

Als er knapp 20 war, wollte er nichts wie weg, raus aus dem Dorf. Also zog Valentin Moritz, der in Niederdossenbach aufgewachsen ist, zum Studium nach Berlin. Dort wohnt der 33-Jährige heute noch. Ende Mai hat er sein erstes Buch herausgebracht: Unter dem Titel „Kein Held“ versammelt es Erinnerungen seines Großvaters Josef Mutter, der 2016 mit 94 Jahren gestorben ist. Verwoben ist die Lebensgeschichte des Landwirts und Holzhändlers mit Episoden aus Kindheit und Jugend des Enkels, der sein Aufwachsen im dörflichen Milieu und in der bäuerlichen Großfamilie beschreibt.

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Valentin Moritz hat Literaturwissenschaft studiert, machte ein Lehramtspraktikum an der Kunstschule Neukölln und arbeitete fünf Jahre lang als Literaturagent in der Agentur Ruge in Berlin. Seit 2019 ist er freischaffender Autor. Etliche Erzählungen sind von ihm bereits erschienen. Auch erhielt er einige Auszeichnungen und Stipendien. Zuletzt hielt er sich im Rahmen eines Kultur-Austauschstipendiums sieben Wochen in Kolumbien auf.

Autobiographische Rückblicke

Bei einem Familientreffen zum 90. Geburtstag seines Großvaters Josef Mutter hatte dieser den Wunsch geäußert, seine Lebensgeschichte aufzuschreiben. In vielen Gesprächen hat Moritz die autobiografischen Rückblicke seines Opas im Original-Ton festgehalten. Während dieser Gespräche setzte sich der Autor selbst intensiv mit seiner Herkunft, Familie und Heimat auseinander und kam auf die Idee, auf Spurensuche in der eigenen Kindheit zu gehen. So wechseln sich in dem Buch zwei Erzählstränge ab: Die authentischen Berichte des 1922 geborenen Großvaters über Kindheit, den harten Alltag und die Arbeit auf dem Hof sind in mündlicher Sprache aufgezeichnet. Die Kindheits- und Jugenderlebnisse des Enkels sind in einem erzählerisch-szenischen Stil geschrieben. „Ich nenne das autofiktionales Erzählen“, sagt Moritz über die Szenen aus seinem Heimatdorf.

Letzte Begegnung mit dem Großvater

Das Buch beginnt mit der berührenden letzten Begegnung des Enkels mit seinem Großvater kurz vor dessen Tod. „Wie ein alter Vogel sieht er aus, Haut und Knochen. Die Hände dagegen scheinen unverändert. Groß sind sie, gepflegt und kräftig. Keine großen Pranken, aber Bauernhände, ganz eindeutig.“ Dann setzen die Erinnerungen von Josef Mutter an seine Kindheit in den 1920er Jahren ein. „Unser Hof war nicht sehr groß, ein einfaches Kleinbauernhaus. Da lebten wir unter einem Dach mit zwei bis drei Kühen, einigen Jungtieren und einem Stier.“ Damals hätten alle in Niederdossenbach Landwirtschaft gehabt, manche arbeiteten zusätzlich als Sattler, Waldhüter oder in der Fabrik.

Erfahrungen im Krieg

„Die Eltern haben uns schon früh mit aufs Feld genommen, alle mussten anpacken.“ Elf Jahre alt war Mutter, als die Nazis an die Macht kamen. Sein Vater wollte nicht, dass er und sein Bruder zum Jungvolk gingen, „er hatte schon länger gegen die NSDAP und den Hitler gewettert“. 1941, mit 19, wurde Mutter zur Wehrmacht eingezogen, kam als Soldat nach Frankreich, dann nach Tunesien, wo er als Fahrer eingesetzt wurde: „Ich musste nie auf einen Menschen schießen. Dafür bin ich dankbar.“ Es sei seinem Großvater wichtig gewesen, offen über die Erfahrungen im Krieg und in der Kriegsgefangenschaft in Amerika zu sprechen, so Moritz. Unter dem Kapitel „Familie und Arbeit“ schildert sein Großvater, wie er nach der Rückkehr in der Nachkriegszeit mit seiner Frau Erna eine Familie gründete, die Landwirtschaft auf dem Hof versorgte, ein Geschäft mit Holzhandel aufzog, und später auf dem Aussiedlerhof zwischen Niederdossenbach und Schwörstadt lebte.

Aus der Sicht zweier Generationen

Zwischen die Kapitel des Großvaters sind die Erzählungen von Valentin Moritz eingeschoben, in denen er sein Heranwachsen auf dem Dorf reflektiert. Er habe eine unbeschwerte „Jungs-Kindheit“ verbracht, sei viel mit den anderen draußen gewesen. In dem Alter, als sein Großvater mit dem Nazi-Regime konfrontiert war, habe er mit Plastikwaffen James Bond gespielt: eine Jugend zwischen Traktorfahren, Tamagotchi, Hüttenbauen, Computerspielen und Partys auf dem Acker. Raus aus der Dorfenge wollte er als Jugendlicher, der in einer Band Gitarre spielte und sich im alternativen Schopfheimer Jugendzentrum „Irrlicht“ tummelte. Wie sehr ihn das Aufwachsen auf dem Dorf geprägt hat, in einer Großfamilie, und wie nahe er seinem Großvater ist, das bringt der Autor in diesem Buch zum Ausdruck. Ein Stück Dorf- und Zeitgeschichte aus der Sicht zweier Generationen.

Das Buch „Kein Held“ von Valentin Moritz ist im Badischen Landwirtschafts-Verlag Freiburg erschienen.