Verena Pichler

Welche Werte machen eine Stadtgesellschaft aus? Wie wollen wir zusammen leben? Mit diesen Fragen wollten sich verschiedene Akteure das gesamte Jahr über beschäftigen. Dann kam Corona und die Krise hat das Bewusstsein für Werte nochmals geschärft – aber die Organisationen auch vor Herausforderungen gestellt.

Einige Aktionen werden nun digital angeboten, andere auf einen Zeitraum verschoben, in dem hoffentlich gemeinsame Treffen wieder möglich sind.

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Rückblick

Der Wunsch, über einen längeren Zeitraum eine nachhaltige und gesamtgesellschaftliche Diskussion über Werte anzustoßen, entstand während der Arbeit am „Konzept 2025 für Integration und Teilhabe“. Die Kick-off-Veranstaltung im Januar war sehr gut besucht.

„Es sind gleich viele Akteure auf den Zug aufgesprungen“, erinnert Bürgermeisterin Diana Stöcker, die gemeinsam mit Stefanie Franosz (Gambrinus und Freiwilligenagentur), Dario Rago (Stabstelle Integration und Flüchtlinge) sowie Armin Zimmermann (Amt für Familie, Jugend und Senioren) die Steuerungsgruppe bildet. „Wir sind die Moderatoren und helfen den Akteuren, das Wertejahr in die eigenen Institutionen zu tragen“, so Stöcker.

Familienzentrum, Caritas, die Kirchengemeinden, die Schulen sind mit im Boot, ebenso die Kaltenbach-Stiftung oder das St. Josefhaus.

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Im März sollten etliche Veranstaltungen stattfinden – doch Corona und die damit verbundenen Einschränkungen machten und machen viele Aktionen unmöglich. Die Steuerungsgruppe war aber nicht untätig und hat sich Gedanken gemacht, wie es weitergehen soll.

„Corona hat auch Impulse gesetzt“, so Stöcker. In Videokonferenzen wurde diskutiert, welche Veranstaltungen man vielleicht digital umformen kann, welche zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden können. Dankbar sind die Organisatoren, dass das Ministerium für Soziales und Integration, welches das Projekt mit 40.000 Euro fördert, gleich reagiert und den Förderrahmen verlängert hat. „Deshalb heißt es jetzt Wertejahr 2020/21 und geht bis zum 31. Juli 2021“, so die Bürgermeisterin. Etwa 20 Projekte sind angemeldet, aber es können noch mehr werden. „Der Antrag ist recht unkompliziert und wir fördern Projekte mit bis zu 1000 Euro“, so Stöcker. Diese Summe werde häufig aber gar nicht gebraucht.

Ausblick

Durch Corona sind auch neue Projekte dazu gekommen. Die Chrischona-Gemeinde engagiert sich zum Beispiel in der internationalen Nähwerkstatt und näht Alltagsmasken. 300 Masken sind so entstanden. „Die werden an Menschen verteilt, die sich eine teurere Maske im Geschäft nicht leisten können“, so Stefanie Franosz. Neu sind auch die Rheinfelder Jugendgespräche. Die können wegen Corona nicht „zu viert auf dem Sofa“ stattfinden, aber das Jugendreferat bereitet sie in digitaler Form auf.

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Die Workshops zum Thema Hasskriminalität – eine Initiative des Bundeskriminalamts und der türkischen Gemeinde in Baden-Württemberg – werden nun als Webinare angeboten. „Aber sie wollen mit ihren Referenten gerne zu uns kommen und wir hoffen, dass wir im September oder Oktober eine Präsenzveranstaltung machen können“, so Stöcker. Ein Modul beschäftige sich etwa mit Hass gegen Polizisten. Durch die Vorfälle in Stuttgart sei dies nun „leider aktueller denn je“, so Dario Rago.

Im Sommer wird es außerdem eine Fotoaktion und ein Filmprojekt geben. Die Organisatoren rufen die Menschen dazu auf, Bilder von sich, ihrem Alltag oder besonderen Situationen während der Corona-Krise einzusenden. Diese sollen dann als Online-Galerie dargestellt werden. In Planung ist ein Filmprojekt, in dem Menschen, die sich gesellschaftlich engagieren, in den Fokus rücken.

Von Juli bis Oktober wird im Rathaus eine Wanderausstellung der Theodor-Heuss-Stiftung zu sehen sein. „Die ist wirklich sehenswert“, sagt Franosz. Und stark nachgefragt. Daher sei es nicht möglich gewesen, die Ausstellung zu verschieben. Die interaktive Ausstellung beschäftigt sich mit dem Leben und Wirken des ersten Bundespräsidenten und seiner Frau Elly Heuss-Knapp, die an Fortbildungsschulen für Frauen lehrte. Offen ist, wie die Besucher unter Einhaltung der Corona-Regeln die Ausstellung besuchen können.

Ein Strohfeuer soll das Wertejahr nicht werden. Die Verantwortlichen wünschen sich ein nachhaltiges Wirken. „Auf jeden Fall wollen wir die Reihe mit einer Veranstaltung ähnlich des Kick-off beenden“, so Stöcker. Jedes Projekt stellt die gesammelten Erfahrungen zusammen. „Wir werden dann über die Bücher gehen und zusammen überlegen, wie es weitergehen könnte“, so Rago. Eine Idee ist, die Erkenntnisse in eine Art Leitbild zu überführen.

Solidarität, Achtsamkeit und Engagement

Das Wertejahr soll auch zum Nachdenken über die eigenen Wertvorstellungen anregen. Diana Stöcker, Stefanie Franosz und Dario Rago erklären, welche Werte wegen Corona neu entdeckt haben und welche Werte für eine Gesellschaft besonders wichtig sind.

  • Dario Rago: „In der Corona-Krise ist mir bewusst geworden, wie wichtig Zusammenhalt ist. Das klingt vielleicht banal, aber in der Krise hat es sich noch mal anders gezeigt, sei es in der Familie, unter Freunden oder Nachbarn. Das gilt auch für die Stadtgesellschaft. Wenn jeder bereit ist, anderen zu helfen oder auch Probleme zu erkennen, dann hilft das auch jedem.“
Dario Rago.
Dario Rago. | Bild: Ralf H. Dorweiler
  • Diana Stöcker: „Stadtgesellschaft braucht Solidarität, sie ist der Schmierstoff, der alles zusammenhält. Mich hat während der Krise hoffnungsfroh gestimmt, wie viele auch junge Leute sich solidarisch zeigen und helfen. Ich persönlich habe Zeit in der Natur als Wert für mich wiederentdeckt. Als Bürgermeisterin hat man einen 24-Stunden-Job an sieben Tagen in der Woche. Corona hat mir ein Zeitfenster geschenkt, in dem ich viel in der Natur sein konnte. Das möchte ich mir bewahren, auch wenn die Alltagsgeschäfte wieder anlaufen.“
Bürgermeisterin Diana Stöcker.
Bürgermeisterin Diana Stöcker. | Bild: Horatio Gollin
  • Stefanie Franosz: „Mir hat die Krise noch mal sehr deutlich gezeigt, wie wichtig bürgerschaftliches Engagement ist. Es vergingen nicht mal Tage nach Ausbruch der Pandemie, bis die ersten Menschen da waren und ihre Hilfe angeboten haben. Das war beruhigend zu sehen. Ganz persönlich habe ich mitgenommen, dass man den Kopf nie in den Sand stecken und nach neuen Wegen suchen sollte, wenn der geplante nicht funktioniert. Das ist eine Erfahrung, die ich zum Beispiel aus dem Homeoffice mitgenommen habe.“
Stefanie Franosz.
Stefanie Franosz. | Bild: Horatio Gollin