Nicolai Ernesto Kapitz

Es waren Szenen, wie sie die Stadt – wenn überhaupt – schon sehr lange nicht mehr erlebt hat: Ein Großaufgebot der Polizei mit mehr als 20 Einsatzwagen und mehr als 100 Beamten war am Montagabend angetreten, um den neuerlichen sogenannten „Spaziergang“ von Gegnern der Corona-Maßnahmen im Zaum zu halten. Das hatte zum einen den Effekt, dass der montägliche Spaziergang nicht so stattfinden konnte, wie es die Teilnehmer gewohnt waren. Zum anderen gab es aber auch Stimmen, die den Einsatz für überzogen hielten.

Der Marktplatz gleicht schon lange vor dem üblichen Abmarsch-Zeitpunkt der Corona-Demonstranten um 18 Uhr dem Parkplatz eines Polizeipräsidiums: Seite an Seite stehen Kastenwagen und Streifenwagen der Einsatzkräfte. Das Technische Hilfswerk (THW) hat Beleuchtungsmasten aufgestellt, statt dunkel-schummrig wie gewohnt ist der Marktplatz hell bestrahlt. Es ist nicht schwer zu erkennen, dass hier eine Hundertschaft der Bereitschaftspolizei angefordert worden war. „Schwerpunkte setzen“, nennt es Polizeisprecher Thomas Batzel am Montagabend. Auch Batzel ist unter den Frauen und Männern in Uniform, die zu dieser neuerlichen – von den Organisatoren als „Spaziergang“ bezeichneten – Protestaktion nach Schopfheim ausgerückt sind und die rund um das Rathaus, ausgerüstet mit Helmen und Schlagstöcken, warten.

In kleinen Gruppen zogen zahlreiche Menschen durch die Stadt.
In kleinen Gruppen zogen zahlreiche Menschen durch die Stadt. | Bild: Nicolai Kapitz

Auf was warten sie eigentlich? In der Vorwoche hatte die Polizei die Teilnehmerzahl überraschend hoch geschätzt: 1200 Menschen sollen durch Schopfheim gegangen sein, während unabhängige Beobachter und sogar die in Telegram-Gruppen aktiven mutmaßlichen Organisatoren nur von rund 400 sprachen.

Nun also die Reaktion der Ordnungskräfte: Stadt und Polizei wollten eine Antwort finden auf diesen Ansturm und – so Batzel – „vorbereitet sein, falls noch mehr kommen. Man weiß es ja nicht.“ Was man nun wieder nicht weiß: Wie viele Menschen sind denn da nun in Protest-Absicht am Montag nach Schopfheim gekommen? Schätzungen der Polizei reichen von 250 bis 300 Personen, aber das Bild am Abend ist völlig diffus. Denn viele stehen nur als Schaulustige an den Straßenrändern. Mitspazieren wollen sie nicht. Sicher ist: Kurz vor 18 Uhr fängt es in der Stadt an zu wuseln. Aus den Seitenstraßen und vom Bahnhof her kommen Menschen, auch von der Altstadt her, viele tragen erneut Kerzen und Laternen. Direkt auf den Marktplatz möchten diesmal aber nur wenige kommen, viele drehen beim Anblick des Polizeiaufgebots ab. Ein paar wenige beginnen Diskussionen mit den Beamten.

Die meisten scharen sich um die Hauptstraße und in der Scheffelstraße in kleinen Gruppen zusammen, offensichtlich nicht wirklich sicher, wie es weitergehen soll mit dem Corona-Spaziergang. Wie umgehen mit dieser polizeilichen Gegendemonstration der massiven Art? In einschlägigen Foren wird diskutiert: Wiesenparkplatz, Bahnhof, Viehmarkt, Stadthalle – wo soll man sich treffen, wenn der Marktplatz blockiert ist? Manche werden deutlich: „Mit denen spielen wir Katz‘ und Maus“, meint einer, der kurzerhand mit rund 15 anderen in der Altstadt verschwindet, gefolgt von mehreren Bereitschaftspolizisten. Zum selben Zeitpunkt setzt sich vor dem Rathaus ein Zug der Beamten in Marsch Richtung Stadthalle – es ist offensichtlich, dass die Polizei diese alternativen Treffpunkte kennt.

„Anti-Konflikt-Team“ macht Durchsagen

In der Scheffelstraße stehen mehrere Damen mit Kerzen in der Hand etwas ratlos zusammen. „Wir sind hier, weil wir mit der Impfpflicht vor allem für Kinder nicht einverstanden sind“, sagt eine Frau Mitte 30. Ihre gleichaltrige Nachbarin findet die Corona-Regeln überzogen und unsinnig. Gesprächsthema Nummer eins ist aber die Polizei-Hundertschaft: „Es ist völlig krass, was hier abgeht“, sagt die Schopfheimerin. In der nahen Bahnhofstraße wird die Polizei per Durchsage zum ersten Mal deutlich: Ein Beamter, den seine gelbe Weste als Mitglied des an diesem Abend zahlreich vertretenen „Anti-Konflikt-Teams“ ausweist, fordert die Menschen auf, ausreichend Abstand zu halten und Masken zu tragen. Andernfalls werde die Polizei Personalien aufnehmen und Bußgelder erheben.

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Plötzlich ein Zugriff im Stadtpark, ein Mann wird abgeführt. Er soll laut Umstehenden Beamte bepöbelt und bedroht haben. Schnell wird klar: Er gehört nicht zu den Protestierenden, sondern saß schon länger im Park, offenbar nicht ganz nüchtern.

Das lässt sich auch über den Mann sagen, der wenig später, als es auch auf dem Marktplatz Durchsagen der Polizei gibt, nach mehreren Pöbeleien eine leere Sektflasche durch die Luft schleudert. Beamte bahnen sich den Weg über die Hauptstraße und nehmen den Werfer fest – es ist offensichtlich, dass er betrunken ist und nicht zu den übrigen Protestierenden zählt. Über den Wurf, der glücklicherweise niemanden trifft, macht die Polizei später widersprüchliche Angaben: In einer ersten Pressemitteilung heißt es, die Flasche sei auf Demonstranten geworfen worden. Tatsächlich schlägt sie direkt vor dem Rathaus ein, wo sich zu dem Zeitpunkt beinahe ausnahmslos Polizisten aufhalten – auch Thomas Batzel, der beinahe stoisch die Scherben aufliest und in den Mülleimer wirft.

„Man muss sagen, dass es weitgehend friedlich verläuft“, sagt Batzel. „Es ist in Schopfheim eine ganz andere Szene als zum Beispiel in Lörrach oder Freiburg.“ Wohl auch deshalb bietet die Polizei dieser „Szene“ kurz vor 19 Uhr an, den Marktplatz für eine Versammlung zu nutzen. Weil sich aber niemand als Organisator oder Versammlungsleiter bei der Einsatzleitung meldet, wiederholt der Beamte vom Anti-Konflikt-Team mehrmals eine Warnung: Wenn sich niemand meldet, wird die Polizei die abendliche Zusammenkunft auflösen. „Weil Sie nicht kooperieren und keinerlei Auflagen beachtet haben, wird Ihre Versammlung aufgelöst“, heißt es aus den Lautsprechern. Ein paar Menschen applaudieren, ein paar schimpfen. „Schämt euch“, schreit eine Frau. Dann lösen sich die Kleingruppen in der Stadt langsam auf.