Auf Schritt und Tritt begegnet man in Schopfheim Häusern mit besonderer Geschichte. Wie sie einst genutzt wurden, wer darin gewohnt und gearbeitet hat, erzählt die ehemalige Museumsleiterin und Stadtarchivarin Ulla K. Schmid bei ihrer Stadtführung „Häuser und ihre Menschen“. So das Grether-Kymsche-Palais.

„Verschwundene Pracht“ nennt Ulla K. Schmid das einstige prachtvolle Grether-Kymsche-Palais in der Hauptstraße, das bis Mitte des 20. Jahrhunderts ein „Wahrzeichen der Innenstadt“ war. Nach dem Umbau in drei Geschäftshäuser und dem Teilabriss ist von der imposanten repräsentativen Villa äußerlich fast nichts mehr erkennbar. Aber in der Erinnerung älterer Schopfheimer Einwohner und auf alten Fotografien ist das Palais noch präsent.

Der Fabrikant Carl Wilhelm Grether aus Lörrach, der die Schopfheimerin Elisabeth Gottschalk heiratete und ein erfolgreicher Geschäftsmann und Pionier in der Wiesentäler Textilindustrie war, ließ die Villa als Wohnsitz erbauen. Die Bauzeit zog sich von 1856 bis 1865 hin. Bevor das Palais gebaut werden konnte, hatten erst andere Gebäude weichen müssen, wie Schmid bei Archivrecherchen herausfand. So wurden an dieser Stelle zwei Gasthäuser, das „Rössle“ und die „Sonne“, abgerissen, um Platz zu schaffen.

Ehrenbürgerin Anna Kym-Krafft lebte über 60 Jahre lang im Palais. Sie war wegen ihrer karitativen Ader bekannt und empfing im imposanten ...
Ehrenbürgerin Anna Kym-Krafft lebte über 60 Jahre lang im Palais. Sie war wegen ihrer karitativen Ader bekannt und empfing im imposanten Gebäude unter anderem Großherzogin Luise. | Bild: Stadtarchiv

Da im Archiv keine Baupläne mehr vorhanden sind, können die Details nicht exakt rekonstruiert werden. Auf jeden Fall war es ein ambitioniertes Projekt unter Regie des Landesbaumeisters Bergmüller. Es gab 75 Entwürfe zum Eingangsportal, zu Fenstern, Grundriss, Gartenportal, Fassade und Erker. Laut Schmid könnten die Entwürfe von dem Schopfheimer Architekten und Ehrenbürger Carl August Friesenegger stammen, genau überliefert ist es aber nicht. Belegt seien für 1896 ein gewölbter Keller und ein Backofen im Kellergeschoss. Zwei neue Kamine und eine Verbesserung der Abortanlage waren kleinere Veränderungen.

1861 hat Grether das Gelände zwischen Wuhr und Bahntrasse erworben und sein stattliches Areal erweitert. Laut Kaufbedingung hätte er die Parzelle bebauen müssen, doch er machte der Stadtverwaltung einen anderen Vorschlag: das Anlegen eines parkähnlichen Gartens.

Grether hatte 1846 die Spinnerei Atzenbach und drei Jahre später die Spinnerei Eichthal in St. Blasien übernommen und wandelte mit seinem Schwiegersohn Ernst Friedrich Krafft die Eisenhütte in Hausen in eine Florettspinnerei um. Ulla K. Schmid geht davon aus, dass Grether, dessen Ehefrau früh verstorben war, das Anwesen bis zu seinem Tod 1890 bewohnte. Als seine Enkelin Anna Krafft 1878 den Kaufmann Camyll Kym heiratete, der Miteigner der Schopfheimer Spinnerei Gottschalk wurde, zog das Ehepaar in das Palais.

Camyll Kym starb nach sechs Ehejahren kurz vor der Geburt des dritten Kindes, der Tochter Elisabeth. Die junge Witwe musste in den Folgejahren auch den frühen Tod ihrer Söhne Ernst und Robert hinnehmen. Als Stütze erwies sich in dieser schweren Zeit ihr Bruder Karl Krafft, der ebenfalls im Palais wohnte. Anna Kym-Krafft, heute Ehrenbürgerin der Stadt, wirkte als sozial engagierte Gönnerin und Wohltäterin, kümmerte sich um die Wohlfahrtspflege und war 25 Jahre lang Präsidentin des Schopfheimer Frauenvereins, der sich für die Schwächeren, Armen und Kranken einsetzte.

Viele Aktivitäten des Frauenvereins fanden im Palais in der Hauptstraße statt. So wurde das Haus im Ersten Weltkrieg zur Sammelstelle für Spenden aus der Bevölkerung, die dort verpackt und an Soldaten an der Front geschickt wurden. Außerdem zeigte Anna Kym-Krafft ein Herz für Kinder. So öffnete sie zu Ostern für Kinder des Kindergartens den Park des Palais, der sonst der Öffentlichkeit verborgen blieb. Die Kinder konnten dort Ostereier und Osterhasen suchen. Anna Kym-Krafft empfing im Palais auch illustre Gäste wie Großherzogin Luise, der die soziale, karitative Arbeit der Frauenvereine ein Anliegen war.

Tochter Elisabeth Kym, die zur Rot-Kreuz-Helferin ausgebildet wurde, half im Ersten Weltkrieg im Lazarett des Frauenvereins. 63 Jahre lang blieb sie im Palais wohnen, bevor sie 1947 nach Möhlin zog. Viele großzügige Schenkungen von ihr gingen an das städtische Museum. Nach ihrem Wegzug wurde das Palais vermietet, bevor die Stadt 1957 das Anwesen erwarb. 1958 beschloss die Stadt den Verkauf des Gebäudes, während das Grünareal in ihrem Besitz blieb. Aus dem einstigen Garten der Familie wurde der Anna-Kym-Stadtpark gestaltet. Das Café im städtischen Park ist ein original erhaltener Bau aus der Zeit der Familie.

Proteste gegen Verkauf

Ulla K. Schmid berichtet von Protesten der Bevölkerung gegen den Verkauf des Palais. Viele sahen in dem Bau einen idealen Standort für das geplante Stadtmuseum. Doch schließlich erwarben 1958 der Konsum, das Schuhhaus Egetemeyr und das Radiogeschäft Link gemeinschaftlich das Palais. Das Palais wurde in drei separate Einheiten getrennt und zu Geschäftshäusern der Konsumgenossenschaft Oberbaden Fahrnau, des Schuhhauses Egetemeyr und „Radio Link“ umgebaut. Anfänglich war der Plan, die einheitliche Fassade zu belassen. Doch im Zuge weiterer Umbauten, Modernisierungen und Aufstockungen an den Geschäfts- und Wohnhäusern verschwand das ursprüngliche Aussehen des Palais immer mehr, nur die Mauersubstanz blieb erhalten. Wechselnde Bekleidungs-, Mode-, Radio-, Schmuck- und Optikergeschäfte sind nun seit mehr als 60 Jahren dort angesiedelt.