In der Reihe Gedächtnis der Region blicken wir zurück in die 80er Jahre. Damals gab es eine Großzahl an landwirtschaftlichen Betriebe im Wutachtal. Stühlingens Vorsitzender des Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverbands (BLHV), Wilfried Kaiser, erläutert die Entwicklung der Landwirtschaft. Bei der Produktion von Lebensmitteln wird laut Kaiser heute großer Wert auf artgerechte Tierhaltung und nachhaltige Landwirtschaft gelegt. Doch wie sah es in den 80er Jahren aus?

In den 80er Jahren entschied sich die Familie Kaiser aus Wangen gegen die Milchviehhaltung und für die Geflügelzucht. Im Archivbild sind ...
In den 80er Jahren entschied sich die Familie Kaiser aus Wangen gegen die Milchviehhaltung und für die Geflügelzucht. Im Archivbild sind Milchkühe im Dorf zu sehen, direkt daneben die Kirche St. Michael in Oberwangen. Damals wurden Schweine, Hühner und Kühe gehalten, es war ein landwirtschaftlicher Mischbetrieb. | Bild: Yvonne Würth

Im Mischbetrieb hatte Familie Kaiser einen großen Vollerwerbsbetrieb mit Ackerbau und Grünland, inklusive Wald waren es 21 Hektar. Von sieben Kühen wurde in den 80er Jahren auf 20 aufgestockt, nebenbei wurden Mastschweine gehalten. Auf dem Platz, auf dem heute das Wohnhaus steht, war damals der Mastschweinestall mit bis zu 80 Schweinen, im oberen Stockwerk wurden bis zu 600 Hühner gehalten.

Zurück in die Zukunft

„Die Mechanisierung war sporadisch, es war ein Zeitwandel zwischen Eigenmechanisierung und Dienstleistung“, erläutert Wilfried Kaiser. „Hatte in den 60er und 70er Jahren noch jeder seinen eigenen Traktor und Mähdrescher, schritt in den 80er Jahren die Technik schneller voran, als dass das Geld gereicht hat. Damals ist die Familie mit einem Picknickkorb aufs Feld und hat dort mittags gegessen.“

In der Reihe Gedächtnis der Region blickt Familie Kaiser zurück in die 80er Jahre. Damals musste sie zwischen Milchviehhaltung und ...
In der Reihe Gedächtnis der Region blickt Familie Kaiser zurück in die 80er Jahre. Damals musste sie zwischen Milchviehhaltung und Geflügel entscheiden. Wurden in den 80er Jahren noch viele Landwirtschaften im Vollerwerb betrieben, gibt es heute nur noch 20 im Wutachtal. | Bild: Privat

Lebhaft erinnert sich die Familie noch daran, dass es eine Zeit gegeben hat, als die Landwirtschaft regelrecht verpönt war. Seniorbäuerin Elfriede Kaiser (82) erzählt von dem Sonntag, als Pfarrer Wolfgang Morath (bis 1976/77 in Bettmaringen mit den Filialen Wangen und Mauchen tätig) den Gottesdienst unterbrochen hatte, weil er sich durch die Kühe draußen auf der Weide gestört fühlte. „So geht es nicht, da stinkt‘s“, soll er auch später noch gesagt haben. Am Montag nach dem Vorfall im Sonntagsgottesdienst gab es „Streich“ (Schläge) für Sohn Wilfried im Schulunterricht vom Pfarrer.

Bauernhöfe bestanden auch bei Familie Kaiser aus der Einheit von Wohnbereich und Ökonomiebereich unter einem Dach. Im Wohnbereich wurde ...
Bauernhöfe bestanden auch bei Familie Kaiser aus der Einheit von Wohnbereich und Ökonomiebereich unter einem Dach. Im Wohnbereich wurde der erste Hühnerstall eingerichtet, nachdem das neue Wohnhaus an anderer Stelle aufgebaut worden war. | Bild: Privat

Ein Strukturwandel setzte in den 80er Jahren ein und brachte auch Probleme. Bis 1985 wuchsen die Betriebe und wurden mit Fördergeldern vom Land Baden-Württemberg stark bezuschusst. „Da hieß es wachsen auf Teufel komm raus, es wurde stark gedüngt.“ Die Folge davon waren unter anderem hohe Nitratmengen im Grundwasser. „Wir mussten uns entscheiden – entweder für die Landwirtschaft und stark investieren oder zumachen und Arbeitnehmer werden.“

Die Entscheidung

Familie Kaiser entschied sich gegen Milchvieh und für Hühnerhaltung. „Damals sind die ersten Laufställe gekommen.“ Als die Milchsammelstellen geschlossen wurden, fielen kleinere Betriebe durch das Raster. „Uns wurde die Entwicklung der Betriebe aufdiktiert“, mit der Einführung des Milchkontingents, einer Deckelung der Milchmenge, wurde die Milchviehhaltung für Familie Kaiser unwirtschaftlich. So hat sie sich für Geflügel entschieden.

Im Wohnbereich wurde der erste Hühnerstall eingerichtet, nachdem das neue Wohnhaus an anderer Stelle aufgebaut worden war.
Im Wohnbereich wurde der erste Hühnerstall eingerichtet, nachdem das neue Wohnhaus an anderer Stelle aufgebaut worden war. | Bild: privat

Wer heute den Geflügelhof Kaiser kennt, auf dem Wert auf artgerechte Tierhaltung und nachhaltige Landwirtschaft gelegt wird, wundert sich über den 1986 gebauten Käfigstall. „Nur der Käfigstall war genehmigungsfähig; außerdem war dies für 20 Jahre verpflichtend“, erläutert Wilfried Kaiser.

Heute: Auf dem Geflügelhof Kaiser und Kaiser Biohof gibt es Eier, Nudeln und mehr in Stühlingen-Wangen. Dabei wird Wert auf artgerechte ...
Heute: Auf dem Geflügelhof Kaiser und Kaiser Biohof gibt es Eier, Nudeln und mehr in Stühlingen-Wangen. Dabei wird Wert auf artgerechte Tierhaltung und nachhaltige Landwirtschaft gelegt. | Bild: Yvonne Würth

Durch die Einführung des Milchkontingents erzielte ein Großbetrieb mit 150.000 Litern Milch zu 30 Cent einen Umsatz von 45.000 Euro, das entspricht einem betrieblichen Jahreseinkommen von 15.000 Euro, was nicht sehr viel ist. Deshalb mussten die Betriebe wachsen, um rentabel zu sein. Im Vergleich dazu die Kosten: Kostete ein Traktor in den 80er Jahren um die 70.000 D-Mark, sind es heute bis zu 500.000 Euro. Meistens erfolgte dadurch in den landwirtschaftlichen Betrieben eine Spezialisierung, oder es werden für die Erntezeit Lohnunternehmen angeworben. Im Fuhrpark seien oft nur die Hauptfahrzeuge und -geräte vorhanden.

Beim Tag der offenen Tür im Jahr 2017 hatte die Landwirts-Familie Kaiser aus Stühlingen zusammen mit weiteren Dienstleistern rund um die ...
Beim Tag der offenen Tür im Jahr 2017 hatte die Landwirts-Familie Kaiser aus Stühlingen zusammen mit weiteren Dienstleistern rund um die Landwirtschaft sowie den Wangener Vereinen den zahlreichen Gästen ihren Betrieb vorgeführt. Im Bild ist eine der Maschinen des Fuhrparks zu sehen. | Bild: Yvonne Würth

Die Vorschriften machen es den Landwirten heute noch schwer, wie die Umstellung von der Großvieheinheit 0,2 GV pro Hektar auf 0,6 GV. Im trockenen Sommer 2020 konnte das Vieh gerade noch so ernährt werden, eine Bestandserhöhung sei gar nicht so schnell möglich, denn zur Schlachtviehreife dauere es mindestens zwei Jahre. Kontraproduktiv seien in diesem Zusammenhang auch die Forderungen in den Medien, den Fleischkonsum zu reduzieren.

Familie Kaiser aus Wangen (von links): Wilfried Kaiser (61), Vorsitzender des BLHV Stühlingen, sowie die Seniorbäuerin Elfriede (82) und ...
Familie Kaiser aus Wangen (von links): Wilfried Kaiser (61), Vorsitzender des BLHV Stühlingen, sowie die Seniorbäuerin Elfriede (82) und Seniorbauer Klaus (86). Die drei Töchter (nicht im Bild) sind im Familiengeschäft aktiv mit dabei. Jennifer (30) leitet die Nudelproduktion, Johanna (25) die Landwirtschaft und Sabrina (26) ist ebenfalls in der Nudelproduktion. Ehefrau Bettina Kaiser (60) ist für den Verkauf zuständig. | Bild: Yvonne Würth

Landwirte wie Wilfried Kaiser, die sich mit dem Projekt „Bruderhahn“ gegen das Kükentöten entschlossen haben, stehen durch die Gesetzesänderung vom Mai 2021 vor einem weiteren Problem. Die Schutzgebühr von 4 Euro pro Hahn bedeutet bei 10.000 Hennen im Jahr 40.000 Euro Mehrausgaben. „Bei uns gibt es eine große Diskussion. Das Vermeiden des Kükentötens ist nachvollziehbar. Leider führt dies letztlich nur zu einer Verlagerung in andere Länder, zerstört beispielsweise den Markt in Afrika, ganz zu schweigen vom CO2-Verbrauch durch den Transport. Ob damit trotzdem der Hahn gerettet wird, stelle ich infrage.“

„Was macht ein Landwirt? Diese Frage sollte ins Bewusstsein der Bevölkerung rücken“, sagt Wilfried Kaiser. „Ein Landwirt erzeugt Lebensmittel.“ Durch die Wetterkapriolen müsse er sich immer wieder neu ausrichten, damit er es schafft, die Bevölkerung zu ernähren. Hier sei die Wertschätzung verloren gegangen.

Effektivere Landwirtschaft

„Wie schaffe ich es, die Landwirtschaft effektiver zu machen?“ Diese Frage hat Familie Kaiser beschäftigt und führte zur Urproduktion, Weiterverarbeitung und Veredlung. Die kleinen Hühnereier können verarbeitet oder weggeworfen werden. So startete die Familie mit der Produktion von Nudeln, um so wenig wie möglich wegzuwerfen. „Das ist auch ein ethischer Hintergrund.“ Damit der Betrieb das ganze Jahr bestehen kann, wurde der Zweig Lohnunternehmen einbezogen. Mit drei Mähdreschern unterstützt Familie Kaiser die umliegenden Betriebe.

Der Wandel der Mentalität

Früher wurde alles verwertet, von der Schnauze bis zum Schwanz, erinnert sich Wilfried Kaiser. Auf das Kesselfleisch bei der Schlachtung im Herbst freute man sich lange. Heute ist der Verbraucher gewohnt, eingeschweißte Portionen vorzufinden. Wo das Fleisch herkommt, bemerkt er meist nur, wenn ein neuer Fleisch-Skandal in den Medien auftaucht. „Es gibt heute kein Verständnis mehr für die Landwirtschaft. Was die Natur mit einem macht, die Gegensätze zwischen dem nassen Sommer dieses Jahr mit Schnecken und Fäule und letztem Jahr mit Trockenheit.“