Frau Händel, für wie wichtig erachten Sie Bürgerbegehren für die Demokratie?

Eine Demokratie lebt vom Mitmachen. Deswegen ist es ganz entscheidend, dass nicht nur die gewählten Politiker Entscheidungen treffen können, sondern auch die Bürger selbst. Durch einen Bürgerentscheid kann auch überprüft werden, ob eine Mehrheit der Bevölkerung hinter einer Entscheidung des Gemeinderates steht oder nicht. So sind die Bürger immer aufgerufen, sich auch selbst Gedanken über die Entwicklungen in ihrer Kommune zu machen und wenn sie es für nötig halten die Initiative zu ergreifen.

Nehmen die Bürger ihrer Meinung nach ihr Recht auf ein Bürgerbegehren oft genug wahr?

Immer wieder bekommen wir mit, dass die meisten Bürger vor einer Beratung durch unseren Verein nicht wussten, dass es Bürgerbegehren gibt oder wie sie genau funktionieren. Alles in allem gibt es im Durchschnitt im Jahr knapp 30 Bürgerentscheide in den 1101 Gemeinden in Baden-Württemberg. Das bedeutet, dass pro Jahr gerade mal um die fünf Prozent aller Bürger direkt abstimmen dürfen. Eine Gemeinde erlebt im Schnitt seltener als alle 30 Jahre einen Bürgerentscheid. Das ist leider noch viel zu wenig, denn direkte Demokratie klappt dann am besten, wenn wir gemeinsam viele Erfahrungen damit machen können.

Denken Sie, dass es einfach genug ist, ein Bürgerbegehren auf den Weg zu bringen?

Es gab bereits 2015 eine lang überfällige Reform, die es für die Bürger endlich leichter gemacht hat, ein Bürgerbegehren zu starten. Doch manche Schwierigkeiten bestehen immer noch. Zum Beispiel ist es für die Bürger sehr schwer, einen sogenannten Kostendeckungsvorschlag zu erstellen. Ohne Insider-Fachwissen ist das kaum machbar. Ein weiterer Punkt ist die Drei-Monatsfrist speziell bei größeren Bauprojekten. Hierdurch sind die Bürger gezwungen, sehr früh in der Planungsphase zu einem Bürgerbegehren zu greifen, auch wenn noch gar nicht genau klar ist, wie sich das Projekt entwickeln wird. Würde man die gesamte Bauleitplanung für Bürgerbegehren öffnen, so wie es in Bayern der Fall ist, könnten die Bürger entspannt abwarten, wie sich ein Projekt entwickelt und dann entscheiden, ob sie wirklich ein Bürgerbegehren dazu starten wollen.

Können Bürgerentscheide auch Nachteile haben?

Wie vor einer Wahl auch kann es auch vor einem Bürgerentscheid heftige Diskussionen geben. Wir haben aber immer wieder die Erfahrung gemacht, dass, wenn das Verfahren fair geregelt ist und alle Beteiligten sich auf Augenhöhe begegnen, dann auch nach heftigerem Argumentaustausch alle mit dem Ergebnis gut leben können. In der Tat ist eine direktdemokratische Entscheidung, an der alle teilnehmen konnten, ein sehr guter Weg, um Konflikte zu befrieden.

Sarah Händel ist als Landesgeschäftsführerin Baden-Württemberg für den Verein Mehr Demokratie e.V. tätig
Sarah Händel ist als Landesgeschäftsführerin Baden-Württemberg für den Verein Mehr Demokratie e.V. tätig | Bild: Mehr Demokratie e.V.