Susann Klatt-D'Souza

Herr Golshani, wie sind Sie zur Flüchtlingsarbeit gekommen?

Mich hat ein Kollege gefragt, ob ich jemanden kenne, der Farsi spricht. Ich musste ein wenig schmunzeln, weil ich ja aus dem Iran stamme. Jedenfalls ging es um zwei Kinder aus dem Iran, die in der Tiengener Flüchtlingsunterkunft leben. Ich sollte sie auf ihre schulischen Vorkenntnisse testen, damit sie für die Schule eingestuft werden konnten. Dann stellte sich heraus, dass sie weder das Alphabet kannten, noch die Zahlen. Uns blieben drei oder vier Wochen bis die Schule anfing. Dann habe ich versucht, ihnen zumindest die Grundlagen beizubringen. Dafür habe ich zwei Mal die Woche Nachhilfe angeboten, vor allem in Deutsch und Mathematik. Und dann kamen immer mehr Kinder und Erwachsene dazu, so dass die Gruppe schnell auf fast 20 Flüchtlinge wuchs. Das war im Februar diesen Jahres. Und so habe ich den einen oder anderen kennengelernt. Für den Unterricht bekam ich im Laufe der Zeit aber auch immer mehr Unterstützung von Ehrenamtlichen, die in der Unterkunft tätig sind. Mein Vorteil war, dass ich auf Persisch bestimmte Dinge erklären konnte. Und so bin ich dann hängengeblieben.

Und Sie unterrichten noch heute?

Nein, jetzt kümmere ich mich um die persönlichen Anliegen der Menschen, fahre sie zum Arzt, betreue sie beim Gang zum Amt und kümmere mich auch um die Kinder. Ich dolmetsche, wenn sie Hilfe brauchen. Das ist ein Vollzeitjob, deshalb bleibt für das Unterrichten keine Zeit mehr.

Wie oft sind Sie pro Woche im Einsatz?

Fast täglich. Ich organisiere von den Arztterminen bis hin zum Fahrdienst fast alles. Und das ist zeitintensiv. Außerdem bin ich eigentlich rund um die Uhr über WhatsApp zu erreichen, wenn jemand Hilfe braucht, falls beispielsweise ein Brief angekommen ist, den sie nicht verstehen. Ich fahre zum Beispiel auch immer mittwochs zur Unterkunft und nehme über zehn Kinder mit zum Basketballtraining. Am Freitag fahre ich ein paar Mädchen zum Turnen. Das ist wichtig für die Integration. Die Kinder können sich dort auch austoben und freuen sich, dass sie heraus kommen. Deshalb suchen wir auch immer weiter Ehrenamtliche, die uns bei diesen Aufgaben unterstützen.

Bekommen Sie einen finanziellen Zuschuss, etwa für Benzin?

Ich bezahle alles aus meiner Tasche. Pro Monat sind das zwischen 150 und 200 Euro. Aber so lange ich mir das leisten kann, macht mir das nichts aus. Ich mache das aus Freude. Und ich möchte die Menschen nicht im Stich lassen.

Es ist schön, gebraucht zu werden?

Ja, für mich sehr. Ich bin so etwas wie eine Säule für sie, an der sie sich festhalten können, um sich zu retten. Und es ist doch normal, wenn man in einem Land neu ist, dass man jemanden braucht, der einen auffängt.

Kümmern Sie sich nur um Iraner?

Nein, auch um Afghanen, weil die Sprache sehr ähnlich ist, und wir uns verständigen können.

Kennen Sie die Fluchtursachen ihrer Schützlinge?

Ich habe sie nicht danach gefragt. Aber je besser man sich kennenlernt, desto mehr erfährt man. Einige von den Flüchtlingen werden im Iran aufgrund ihrer Religion – sie sind Christen – verfolgt.

Wie ist es für Sie, so intensiven Kontakt zu Menschen aus ihrer Heimat zu haben?

Ich habe das sehr gerne. Wir haben beispielsweise am 20. März, da ist unser Neujahr, alle zusammen gefeiert. Wir haben uns Zelte mit Gasheizung aufgestellt, gegessen und einen tollen Tag verbracht. Endlich einmal hatte ich wieder Erinnerung an meine Jugend. Die Mentalität ist schon anders, wir haben beispielsweise auch viel getanzt. Und wir sind über das Feuer gesprungen, was für uns zur Tradition gehört.

Nach zwei Jahren müssen die Flüchtlinge in der Regel die Unterkunft verlassen. Wie schwer ist es, eine Wohnung zu finden?

Noch ist die Frist bei meinen Flüchtlingen nicht abgelaufen, aber es wird bald soweit sein, dass die ersten ausziehen müssen. Das wird sehr schwierig werden. Ich suche beispielsweise aktuell für eine Mutter, die gerade ein Baby bekommen hat, eine Wohnung. Sie lebt mit ihrem Mann und dem Kind in einem Container, der gerade einmal 2,20 Mal fünf Meter groß ist. Der Mann geht teilweise arbeiten und kann die Nacht nicht schlafen, weil das Kind die ganze Zeit schreit. Ich habe versucht, der kleinen Familie noch ein weiteres Zimmer in der Unterkunft zu vermitteln. Aber das hat leider nicht geklappt. Ich habe als Antwort vom Landratsamt bekommen: ‚Sie müssen ja keine Kinder bekommen, sie wissen ja wo sie wohnen.‘ Das war schon eine extreme Aussage, denn wissen Sie, viele Flüchtlingen sind noch recht jung und haben erst kurz vor der Flucht geheiratet.

Und für viele gehört eine Familie zu gründen ja auch zum Leben.

Genau. Das verstehen aber einige der zuständigen Mitarbeiter nicht. Es gibt noch eine weitere Frau, von der ich weiß, dass sie vorzeitige Wehen hat, weil sie seelisch krank ist und unter psychischem Druck leidet aufgrund der Wohnverhältnisse. Sie hat dies sogar von ihrem Arzt bescheinigt bekommen. Aber viele Vermieter haben Bedenken, Flüchtlinge aufzunehmen. Teilweise aber ohne Grund, denn sobald die Flüchtlinge beim Jobcenter gemeldet sind, wird die Miete – ähnlich wie bei Hatz-IV-Empfängern – direkt auf das Konto überwiesen.

Sie selbst wurden im Iran geboren. Weshalb sind Sie nach Deutschland gekommen?

Für das Studium. Speziell im Bereich Maschinenbau, was ich dann in München studiert habe, war Deutschland bekannt. Während meines Studiums habe ich dann auch meine Frau kennengelernt. Wir haben dann später vier Jahre in der iranischen Hauptstadt Teheran gewohnt, bevor es die Demonstrationen gegen der Schar gab. Dann habe ich meine Frau und die beiden Kinder geschnappt und wir sind 1978 zurück nach Deutschland gegangen. Wir waren zuerst in München und sind dann wegen der Arbeit nach Lauchringen gezogen, wo wir bis heute leben.

Fragen: Susann Klatt-D‘Souza

 

Zur Person

Feridon Golshani wurde im Iran geboren. Mit 19 Jahren kam der heute 70-Jährige nach München, wo er Maschinenbau studierte. Dort lernte er seine Frau kennen, mit der er drei Kinder hat. Bis zu seiner Pension arbeitete er als Informatiker. Zu seinen Hobbys zählt er Fitness und Basketball. 1998 hat er die Abteilung Basketball beim TV Lauchringen gegründet. Er ist Mitglied des Caritasverbandes Hochrhein, wo er vor allem Schwangere betreut.