Der 8. Mai 1945 markiert mit der deutschen Kapitulation das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa. Für die Stadt Waldshut und Teile des damaligen Landkreises war der Krieg allerdings bereits am 25. April 1945 vorbei. An diesem Tag besetzten aus Richtung Wehr vorrückende französische Panzerverbände die Kreisstadt, die weiße Fahnen gehisst hatte. Die Stadt wurde kampflos übergeben. Sinnloser Widerstand, der viele Menschenleben gefordert und massive Schäden verursacht hätte, war durch umsichtiges Handeln verhindert worden.
Landrat verhindert Schlimmeres
Dabei hatte es wenige Tage zuvor noch danach ausgesehen, als würden ein in Waldshut stationierter Wehrmachtsverband und der Volkssturm den Befehl der „verbrannten Erde“ befolgen und versuchen, in Waldshut das Vordringen der Franzosen in den Osten des Landkreises mit allen Mitteln zu verhindern. Landrat in Waldshut war seit November 1944 der nach Verwundung aus einem Lazarett entlassene Offizier, Jurist und Verwaltungsmann Dr. Waldemar Ernst, der von Mitte 1942 an für einige Monate schon einmal als Kreischef in Waldshut gewirkt hatte.
Der Werdegang
Ernst war zu Beginn der 1930er Jahre in die Partei eingetreten und hatte in der NS-Zeit Karriere gemacht. Nach seinen Einsätzen 1943 als Wehrmachtsoffizier in Frankreich und Russland war ihm wohl bewusst, dass der Krieg verloren war. Jedenfalls war sein Handeln als Landrat in diesen letzten Kriegstagen darauf ausgerichtet, unsinniges Blutvergießen zu verhindern.

Zunächst galt es, einige Tausend vor allem russischer und jugoslawischer Kriegsgefangener, die beim Bau des Schluchseewerks eingesetzt waren, zusammen mit zivil untergebrachten Fremdarbeitern über den Grenzübergang Stühlingen-Schleitheim in die Schweiz zu bringen. Zwischen dem 21.¦und 25. April 1945 wurden 5000¦Menschen, darunter auch deutsche Soldaten, in der Schweiz aufgenommen. Dies ersparte der deutschen Bevölkerung die anderswo nach Kriegsende vorkommenden Racheakte von Kriegsgefangenen.
NS-Leitung flieht mit Bussen
Während am Nachmittag des 24. April die NS-Kreisleitung samt ihren Familien in einem beschlagnahmten Bus aus Waldshut flüchtete, standen noch immer Wehrmacht und Volkssturm Gewehr bei Fuß in der Stadt. Würden sie Widerstand leisten, wenn die französischen Panzer Waldshut erreichten? Dem damals 36-jährigen Landrat Dr. Waldemar Ernst gelang es, in nächtlicher Verhandlung den Kommandeur der Wehrmachtsabteilung zu überzeugen, mit seiner Truppe Waldshut in Richtung Rothaus zu verlassen und sich dort stehenden deutschen Kräften anzuschließen. Die Truppe rückte um 4.30 Uhr am Morgen des 25. April ab. Der Waldshuter Volkssturm, der vom bisherigen Waldshuter Bürgermeister und Ex-Offizier Birkenmaier befehligt wurde, befolgte den Auftrag, das Abrücken der Wehrmacht bei Albbruck und im Albtal zu decken und sich danach bei Feindannäherung aufzulösen. Jetzt waren alle militärischen Einheiten, die Widerstand hätten leisten können, außerhalb der Stadt.
Geheime Treffen
Nun war die „Stunde X“ gekommen, auf die sich Hermann Dietsche, der spätere Bürgermeister der Stadt, Dr. Schwörer vom Ernährungsamt, Rechtsanwalt Joachim Straub, Sparkassendirektor Romacker, Medizinalrat Dr. Gerteis und der Arzt Dr. Baumgartner vorbereitet hatten. In geheimen Treffen hatten sich die sechs Männer darüber ausgetauscht, wie die Stadt vor Zerstörungen bewahrt werden könnte. Nun forderten sie Landrat Dr. Ernst zu einer Aussprache auf, die in den frühen Morgenstunden des 25. April stattfand.
Der Landrat ging auf die Forderungen der Delegation ein. Es wurde festgelegt, der Bevölkerung durch mündliche Bekanntmachung mitzuteilen, dass die Stadt nicht verteidigt werde, weiße Fahnen gezeigt werden können, die Panzersperren geöffnet beziehungsweise vernichtet werden sollen und der Landrat die Polizei anweise, keinerlei Maßnahmen gegen diese Vorhaben zu ergreifen. Und so geschah es.
Das Ende
Der von Landrat Dr. Waldemar Ernst zum kommissarischen Bürgermeister von Waldshut ernannte Regierungsrat Grän, bisher zweiter Beamter des Landratsamtes, hatte nun die Aufgabe, die Stadt den Franzosen zu übergeben. Um 13.30 Uhr kam die Spitze der Panzerkolonne die Reichsstraße am Ochsenbuckel herauf. Beim Waldschloss – heute Landratsamt – erklärte Bürgermeister Grän dem Offizier des ersten Panzers, dass die Stadt nicht verteidigt werde. Danach rollte die Panzer- und Kraftwagenkolonne durchs Untere Tor in die Kaiserstraße. So war für Waldshut der Krieg zu Ende.
Dieser Artikel wurde erstmals im April 2020 veröffentlicht.