Wieso werden Narrenbäume überhaupt gestellt?
„Die Herkunft des Narrenbaums ist nicht genau geklärt“, sagt Volker Gegg, Pressereferent der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte (VSAN), zu der auch die Narro-Zunft Waldshut gehört. „Der Narrenbaum gilt als Herrschaftssymbol und wurde stets an einem zentralen Platz im Ort platziert“, fügt Gegg hinzu.
So wie beispielsweise in Albbruck, wo der mit bunten Bändern geschmückte und 36 Meter hohe Narrenbaum seit dem Narrentreffen der Alb-Gaischter Anfang Februar in der Schulstraße vor dem Rathaus in den Himmel ragt.
Für den Narrenbaum gibt es laut der VSAN gleich mehrere historische Ansätze: „So könnte sich der Narrenbaum aus dem Brauch des Maibaumstellens entwickelt haben. Aber auch aus Sicht der Bibel gibt es eine Erklärung und könnte eine Abwandlung des Baumes der Erkenntnis von Gut und Böse im Paradies gelten“, sagt Gegg.
Gab es jemals einen Narrenbaum in Waldshut?
Um diese Frage zu beantworten, haben wir eine Chronik über die Waldshuter Fasnacht gewälzt und uns durch die Narro-Zunft Waldshut gefragt. Doch weder konnten uns das Buch noch die Brauchtumsbeauftragte der Zunft Auskunft geben. Christiane Maier, die sich zwar ein großes Wissen über die Waldshuter Fasnacht angeeignet hat, beim Thema Narrenbaum jedoch passen muss, gibt uns aber den Tipp, bei den ältesten Mitgliedern der Zunft nachzufragen.
Adolf Bornhauser, von 1957 bis 1981 Zunftmeister, bringt schließlich Licht ins Dunkel. „Ich kann mich eigentlich nur an ein einziges Mal erinnern, dass in Waldshut ein Narrenbaum gestellt wurde“, sagt der heute 91-Jährige. Es war Ende der 1940er-Jahre, als der damals 18-Jährige zuschaute, wie der Narrenbaum vor dem damaligen Gasthaus Rebstock (heute Modehaus May) in der Kaiserstraße gestellt wurde. „Man wollte nach dem Krieg die Fasnacht wiederbeleben und hat sich an der Umgebung wie den Ortsteilen und an Tiengen orientiert“, sagt Bornhauser auf die Frage, warum der Baum damals aufgestellt wurde, obwohl es kein Brauch in Waldshut war.
Warum wurde der Narrenbaum wieder abgeschafft?
Obwohl damals nur wenige Autos in der Kaiserstraße fuhren (die Fußgängerzone entstand erst in der 1980ern), sei das Aufstellen des Narrenbaums mit Gefahren verbunden gewesen. „Das Risiko war zu groß“, sagt Adolf Bornhauser. Also wurde das Fasnachtssymbol kurzerhand wieder abgeschafft. Ein Erinnerungsfoto an den einzigen Waldshuter Narrenbaum hat Adolf Bornhauser nicht: „In der Besatzungszeit wurden alle Fotoapparate eingezogen.“
Gibt es Überlegungen, in Zukunft einen Narrenbaum in Waldshut zu stellen?
„Nein, für uns ist das Narrenbaumstellen kein Thema“, sagt Zunftmeister Joe Keller. Vom Vorschlag, künftig beispielsweise einen Narrenbaum auf dem Viehmarktplatz zu stellen, halte er nichts, „weil das Narrenbaumstellen bei uns keine Tradition und keinen historischen Hintergrund hat“. Es sei das erste Mal, dass Joe Keller mit dieser Idee konfrontiert werde, sagt er auf Nachfrage dieser Zeitung.
Besonderheiten der Waldshuter Fasnacht
In Waldshut gibt es an Fasnacht zwar keinen Narrenbaum, aber es gab oder gibt ganz andere spezielle Bräuche.
- Narro-Auswürfeln: Auf dem Narrenbrunnen vor dem Oberen Tor findet jedes Jahr das Auswürfeln des Narros statt. Jeder Bewerber – er muss aktiver Narr der Zunft sein – würfelt zweimal. Der Teilnehmer mit der höchsten Gesamtsumme scheidet aus. So wird jeder Durchgang gewürfelt, bis nur einer übrig bleibt: der Narro. Der älteste Beleg für das Narro-Auswürfeln findet sich im Protokollbuch der Waldshuter Junggesellen aus dem Jahr 1778. Eine der Aufgaben des Narros besteht darin, die beim Umzug am Schmutzigen Donnerstag gespendeten Gaben einzusammeln und sie an die Kinder zu verteilen. Amtierender Narro ist Paul Maier. Ein neuer Narro wird am heutigen Schmutzigen Dunschdig nach dem Mehlsuppeessen ausgewürfelt.
- Brunnenwerfen: Der älteste Nachweis für einen weiteren Waldshuter Fasnachtsbrauch geht auf das Jahr 1755 zurück. Damals war es üblich, am Abend vor Aschermittwoch den Narro in einen Brunnen zu werfen. Diese Tradition fand 1869 ein jähes und trauriges Ende: Der Narro, der ins kalte Wasser geworfen wurde, zog sich nach dem Brunnenwerfen eine schwere Erkältung zu, an deren Folgen er wenig später starb. Daraufhin wurde der Brauch abgeschafft. Stattdessen verbrennen die Narren seitdem am Vorabend von Aschermittwoch den Narro in Gestalt einer Strohpuppe.
- Narrenzeitung: Tradition hat es auch in Waldshut, Anekdoten aus dem Stadtgeschehen und Missgeschicke, die den Obrigen im Laufe des Jahres passiert sind, aufzuschreiben und in Form einer Zeitung unters Volk zu bringen. Die erste Narrenzeitung erschien 1902 unter dem Titel „Waldshuter Klatschbase“. Deren Nachfolgerin „Der Filzhut“ wurde von 1909 bis 1914 sowie in den Jahren 1922 und 1925 veröffentlicht. 1933 kam die Narrenzeitung „Waldshueter Narro“ heraus. 1937 folgte „D’Geltetrummler“, der ab dem Jahr 1958 im neuen Gewand und unter dem Namen „De Geltedrummler“ seitdem jährlich bis heute das närrische Treiben in Waldshut mit spitzer Feder begleitet.
Quelle: „Waldshuter Fasnacht“, herausgegeben von der Narro-Zunft Waldshut im Verlag des SÜDKURIER Konstanz, 1985.
Pflumeschlucker reiten auf dem Baum durch Bonndorf
In Bonndorf im Schwarzwald wird der Narrenbaum nicht gestellt, sondern es wird darauf geritten. Die Narrenräte der Pflumeschlucker sitzen, ausgestattet mit Steigbügeln, auf dem bis zu 30 Meter langen Stamm und werden von einem Pferdegespann durch die Stadt gezogen. Der Brauch erinnert an die Zeit, als das Holz mit Fuhrwerken aus dem Wald transportiert wurde. „Die Kraft des frisch geschlagenen Baumes geht dann auf die Narren über“, sagt Clemens Podeswa, Narrenvater der Pflumeschlucker, auf Anfrage dieser Zeitung.
Der Ritt auf dem Narrenbaum führt vom alten Bahnhof durch die Martinstraße, wo an drei verschiedenen Stellen die Fasnacht verkündet wird, bis zum Rathaus, dem vierten und letzten Haltepunkt, wo der Bürgermeister abgesetzt wird. Wenn der Narrenbaum als Reitgefährt ausgedient hat, wird er an ein Sägewerk verkauft. Nur zwei Mal gab es bislang Ausnahmen: Anlässlich der Narrentreffen 1987 und 2013 wurde in Bonndorf doch noch ein Bäumchen in die Senkrechte gehievt. „Wir haben gute Kontakte zur Stockacher Zimmerergilde, die uns den Narrenbaum gestellt hat“, erinnert sich Podeswa an das jüngste Narrentreffen.
Eigene Clique für den Stühlinger Baum
Selbst wer noch nicht aktiv am Aufstellen eines Narrenbaums beteiligt war, kann sich vorstellen, dass der Baum nicht so einfach in die Senkrechte kommt. Auch wenn Hilfsmittel wie Traktor oder Kran das Aufrichten der mehrere dutzend Meter hohen Bäume erleichtern, bedarf es jeder Menge Muskelkraft und Präzisionsarbeit. Im östlichen Landkreis gibt es mit den 16 Zäche eine eigene Untergruppe der Narrenzunft Hungrige Stühlinger, die diese Aufgabe übernimmt.
Gegründet wurden die 16 Zäche 1993, nachdem der Narrenbaum am Schmutzigen Donnerstag jenes Jahres "nur mit großer Mühe und unter Gefahr" gestellt werden konnte, wie es in der Vereinschronik heißt. Die Idee zu einer eigenen Baumstellergruppe hatte der damalige Zunftmeister Arnfried Winterhalder. Die 16 Zäche tragen die traditionelle Kleidung der Zimmerleute. Der Stühlinger Narrenbaum wird übrigens jedes Jahr am Fasnachtsdienstag verlost. Den Ertrag spenden die Narren an soziale oder kulturelle Einrichtungen in der Region.
