Schrill knarrt die wuchtige Massivholztüre, die Stadtführer Willy Riegger kraftvoll an diesem Nachmittag für uns aufzieht. Wir sind im tiefen Kellergewölbe unter dem Rathaus. Die Luft ist feucht und riecht leicht moderig.

Was sich dahinter verbirgt? Ein geheimer Tunnel, der rund 20 Meter weit unter der Kaiserstraße bis hinüber zur Drogerie Müller (Nummer 27-29) führt und am Ende zugemauert wurde.

„Viele Menschen waren in den letzten 50 Jahren nicht hier unten“, sagt Riegger ehrfürchtig. Er führt mich und meinen SÜDKURIER-Kollegen Nico Talenta heute durch die Unterwelt von Waldshut. Mit seinen 1,90 Metern kann Riegger kaum aufrecht im Tunnel stehen.

Stadtführer Willy Riegger kann mit seinen 1,90 Metern im Tunnel unter der Kaiserstraße kaum aufrecht stehen. Der 20 Meter breite ...
Stadtführer Willy Riegger kann mit seinen 1,90 Metern im Tunnel unter der Kaiserstraße kaum aufrecht stehen. Der 20 Meter breite Geheimgang führt vom Rathaus hinüber zur Drogerie Müller. | Bild: Sira Huwiler-Flamm

Wassertropfen und tropfsteinartige Kalkfäden hängen an der Decke. Der Stadtführer berichtet von vier unterirdischen Gängen, die es unter der Kaiserstraße gegeben haben oder sogar noch geben soll. „Da sich die meisten Häuser in Privatbesitz befinden, weiß das keiner so genau“, sagt er.

Über die Geheimgänge ist nicht viel zu erfahren

Weder im Rathaus, noch im Stadt- oder Kreisarchiv erfahren wir bei unserer Recherche Genaueres. Vielleicht liegt das Problem gerade im Sinn und Zweck von Geheimgängen, dass diese, um sie geheim zu halten, eben nicht in Plänen und Karten vermerkt wurden.

Aber ein zweiter Stadtführer, Nachtwächter Thomas Völk, bestätigt, dass er vor wenigen Jahr in einem Tunnel war, der von der Bäckerei Küpfer (Kaisertraße 72) zum Kaufhaus May (Kaiserstraße 57) führte.

Warum gibt es diese Tunnel?

„Die Tunnel dienten vermutlich als Fluchtwege und Unterschlupf in Kriegszeiten und bei Bränden“, sagt Willy Riegger, „ich gehe davon aus, dass die angrenzenden Häuser der jeweiligen Häuserzeile einst im Keller- oder Dachgeschoss ebenfalls eine Fluchtverbindung zum Nebenhaus hatten, sodass man sich durchgängig im Verborgenen bewegen konnte.“

Stadtführer Willy Riegger kann mit seinen 1,90 Metern im Tunnel unter der Kaiserstraße kaum aufrecht stehen. Der 20 Meter breite ...
Stadtführer Willy Riegger kann mit seinen 1,90 Metern im Tunnel unter der Kaiserstraße kaum aufrecht stehen. Der 20 Meter breite Geheimgang führt vom Rathaus hinüber zur Drogerie Müller. | Bild: Sira Huwiler-Flamm

Ein Indiz dafür liefert auch Geschäftsfrau Anette Wartner von Stulz Mode (Kaiserstraße 64): „Hier haben wir einen Gewölbekeller in dem nach links und rechts klar erkennbar Durchgänge zugemauert wurden“, sagt sie.

Sichtbare Keller in Waldshut

Weil der Rathaus-Tunnel nicht aus Naturstein, sondern aus Mauersteinen besteht, schätzt Riegger, dass er entweder nachträglich gesichert wurde oder erst nach dem zweiten Stadtbrand (1726) entstand.

Auf Nachfrage sagt Heimathistoriker Franz Falkenstein aus Dogern: „Ich schätze, dass die vorhandenen mittelalterlichen Gewölbekeller erst nachträglich mit unterirdischen Gängen verbunden wurden, um bei den Weltkriegen Flucht und Schutz zu bieten.“

In der Unterwelt von Waldshut Video: Nico Talenta

Diese Einschätzung teilt auch das Landesarchiv, welchem einer der genannten Tunnel bekannt ist: „Es wird vermutet, dass dieser Gang im Kontext des Zweiten Weltkrieges als Fluchtweg aus einem als Luftschutzraum genutzten Gewölbekeller gedient haben könnte. Darauf deutet unter anderem eine Splitterschutztür aus Holz in einem der Wohnhäuser hin.“

Die Tunnel könnten also auch deshalb nirgends vermerkt sein, weil sie zu Kriegszeiten entstanden und in der Eile und Not keine Zeit für Bauanträge war.

Tiefe Kellergewölbe überdauern Stadtbrände

An der Seite von Willy Riegger ziehen wir bei unserer Unterwelt-Tour weiter durch die Waldshuter Altstadt. Denn unter den meisten Häusern gibt es ein-, zwei- und sogar dreigeschossige Gewölbekeller. Während bei den großen Stadtbränden die oft aus Holz gebauten Wohn-, Kauf- und Handelshäuser der Feuerbrunst zum Opfer fielen – im Jahr 1492 wurden 182 Häuser zerstört, 1726 noch einmal 45 und mit den Gebäuden auch nahezu alle Unterlagen – blieben die oft mittelalterlichen Keller aus Kalkstein weitestgehend verschont.

Über eine knarrende Holzluke im Boden erreicht man den uralten Gewölbekeller im Greiffeneggschlösschen. Heute dient er als privater ...
Über eine knarrende Holzluke im Boden erreicht man den uralten Gewölbekeller im Greiffeneggschlösschen. Heute dient er als privater Partykeller, früher lagerten hier wuchtige Weinfässer. | Bild: Sira Huwiler-Flamm

Und Riegger weiß, in welche wir hineinschauen dürfen. Im Greiffeneggschlösschen (Amthausstraße 8), einem der ältesten Gebäude der Stadt, öffnet uns das Besitzerehepaar Weh-Berger die Türe. Kurz an einem Seilzug gezogen, dann öffnet sich knarzend eine hölzerne Luke im Boden und wir schreiten hinab.

Uralte, wuchtige Holzbalken, auf welchen einst hölzerne Weinfässer lagerten, sind zu erkennen. Heute ist das Gewölbe ein privat genutzter Partykeller.

Über eine knarrende Holzluke im Boden erreicht man den uralten Gewölbekeller im Greiffeneggschlösschen. Heute dient er als privater ...
Über eine knarrende Holzluke im Boden erreicht man den uralten Gewölbekeller im Greiffeneggschlösschen. Heute dient er als privater Partykeller, früher lagerten hier wuchtige Weinfässer. | Bild: Sira Huwiler-Flamm

‚Weil Waldshut mit seinen vielen Süd-Sonnenhängen einst eine echte Winzerstadt war, lagerte in vielen Kellern Wein‘, weiß Willy Riegger zu berichten. Zeitungsquellen verweisen etwa auf ein zweistöckiges Kellergewölbe in der Kaiserstraße 80 (First Reisebüro) in dem „Fass an Fass“ lagerte, sowie einen verbundenen Fasskeller unter den Häusern der Kaiserstraße 4 bis 6 (Bäckerei Gamp und Nebengebäude) Ende des 19. Jahrhunderts, der einen Eingang von der Straße her hatte.

Wo gibt es noch Gewölbekeller?

Stadtarchivar Ingo Donnhauser nennt außerdem die Hausnummern 51 (Maja Mode) und 75 (Militaria), die „jeweils über sehr tiefe und sehr alte Gewölbekeller verfügen und vermutlich der Weinlagerung dienten“. Auch unter dem alten Feuerwehrhaus (Johannisplatz 2), der Engelapotheke (Kaiserstraße 93), Fielmann (Kaiserstraße 52 bis 54, doppelstöckig) und dem ehemaligen Gasthaus „Zum Meerfräulein“ (Wallstraße 24) befinden sich laut Zeugen uralte Gewölbe. Der größte war der Kornhauskeller, der als Amtskeller viele Jahrzehnte als städtisches Weinlager diente.

Schräg gegenüber des Greiffeneggschlösschens, im Vorhof des Königsfelder Hofes (Amthausstraße 1), zieht Willy Riegger erneut eine laut ächzende Massivholztüre auf und eine sehr lange und steile Holztreppe führt hinunter in die einstigen Keller des Amtshauses des Schweizer Klosters Königsfelden.

Schlagartig fühlen wir uns wie im Mittelalter. Die geschwungenen hohen Decken der zwei Räume, die mit einem Rundbogengang verbunden sind, sind eigentlich viel zu schade, um hier unten in Vergessenheit zu geraten.

Unter dem Königsfelder Hof in der Amthausstraße versteckt sich ein wunderschönes Gewölbe, das mit Rundbögen und einer fast 500 Jahre ...
Unter dem Königsfelder Hof in der Amthausstraße versteckt sich ein wunderschönes Gewölbe, das mit Rundbögen und einer fast 500 Jahre alten Holztreppe Mittelalter-Stimmung aufkommen lässt. Stadtführer Willy Rieger deutet nach oben und staunt über die gewaltige Deckenhöhe. | Bild: Sira Huwiler-Flamm

„Vermutlich war der Keller als Zehntscheuer des Klosters ein Lager für Wein und Getreide“, sagt Riegger und deutet auf eine hölzerne Treppe, „ich gehe davon aus, dass diese Stufen aus dem Jahr 1550 stammen.“

Ein ähnlich schmucker Keller soll sich laut einem Zeitungsbericht vom 21. September 1956 unter dem heutigen Waldshuter Hof (Kaiserstraße 56) befinden. Darin heißt es: „Das Haus [...] hat zwei derart riesige Keller aufzuweisen, deren Deckengewölbe an romantische Kreuzgänge erinnern.“

Haben die Stadttore auch Keller?

Und was befindet sich eigentlich unter den Stadttoren? „Die haben keine Keller“, sagt Willy Riegger, „aber direkt neben dem Oberen Tor, im alten Schulhaus, lagern die Gelten der Narro Zunft und im Untergeschoss der neueren Heinrich-Hansjakob-Schule von 1908, hat sich seit Bau die städtische Badestube befunden.“

Bis in die 1960er-Jahre, als noch nicht jedes Haus fließendes Wasser hatte, kam man wöchentlich zur Körperpflege hier her. „Als ich ein kleiner Bub war, haben das noch viele gemacht!“

Wissen Sie mehr? Leser, die weitere Informationen über Tunnel und Geheimgänge unter der Altstadt von Waldshut wissen, dürfen sich gerne bei uns melden. Am besten per E-Mail an waldshut.redaktion@suedkurier.de.

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