Für die meisten Deutschen ist Weihnachten nach Silvester beendet, spätestens aber dann, wenn der Tannenbaum abgeschmückt ist und zur Abholung an die Straße gelegt wird. Orthodoxe Christen dagegen feiern das Fest erst am 6. und 7. Januar.

So auch die Ukrainerinnen Antonina Kardash und Svitlana Kutsenko. Normalerweise würden sie die Feiertage mit Familie und Freunden genießen, doch dieses Jahr ist alles anders. Kardash ist Anfang März mit ihrem Mann und drei Kindern nach Deutschland geflüchtet und lebt seit Dezember in einer Wohnung im Feuerwehrgebäude in Dogern.

Die 34-Jährige leitete in der Ukraine zusammen mit ihrem Mann eine Kette von Fitnessstudios und gründetet mit ihm einen ehrenamtlichen Verein, der Kinderheime betreut und renoviert. Sie kommt aus der Stadt Zaporizhzhia. Dafür hat sie sich als Psychologin weiterbilden lassen.

Antonina Kardash mit ihrem Mann Alexej und Sohn Nikita vor einige Jahren in Zaporizhzhia bei einem Schul-Weihnachtsball.
Antonina Kardash mit ihrem Mann Alexej und Sohn Nikita vor einige Jahren in Zaporizhzhia bei einem Schul-Weihnachtsball. | Bild: privat

Kutsenko liegen Kinder auch am Herzen. Die zweifache Mutter war Inhaberin eines Taxi-Unternehmens und eines Kinderzentrums, in dem Kinder Unterstützung jeglicher Art finden konnten. Beide Einrichtungen existieren heute nicht mehr. Kutsenko ist seit April in Deutschland und wohnt seit September in Waldshut. Sie kommt aus der Stadt Rubezhnoe (Rubischne).

Ihren Mann hat sie seit der Flucht nicht mehr gesehen, denn er kämpft seit Kriegsbeginn für die Ukraine und der Kontakt per Textnachricht ist sporadisch. Bei einem Treffen im Feuerwehrgebäude in Dogern beschreiben die jungen Frauen genau, wie sich die Feiertage in der Ukraine gestaltet haben. Die langjährige Deutsch-Ukrainerin Elena Korocencev dolmetscht.

Das orthodoxe Weihnachtsfest

Es ist ein Gespräch über Familie und Gemeinschaft und Traditionen, die Generationen verbinden. Denn das orthodoxe Weihnachtsfest bringt nach einer 40-tägigen Fastenzeit die ganze Familie über mehrere Generationen zusammen.

Zuerst wird gemeinsam im Kerzenschein gebetet, dann beginnt das Essen. Das anfängliche Fasten wird meist nicht mehr so streng eingehalten wie früher bei Oma und Opa, so Kutsenko, aber das Weihnachtsessen spielt eine wichtige Rolle.

Zwölf Gerichte muss es geben, für die zwölf Apostel. Jedes Gericht symbolisiert etwas und ist ein Fastengericht. Deswegen gibt es an Heiligabend keine Fleisch-, Fisch-, oder Eiergerichte. Besonders beliebt ist Kutja: Ein Weizenbrei mit Honig und Walnüssen, der zuerst gegessen wird und Fruchtbarkeit, Wohlempfinden und Gesundheit bringen soll. Außerdem wird beim Essen des Weizenbreis an die Verstorbenen gedacht.

An den Feiertagen nehmen die orthodoxen Christen an der Kolada teil. Kinder kleiden sich in bunten, regionalen Trachten und ziehen von Haus zu Haus mit sogenannten Kolada-Gesängen oder tragen Gedichte vor.

Dabei werden sie mit Geld und Leckereien belohnt, die im Osten der Ukraine zwischen den Kindern aufgeteilt werden und im Westen für ein gemeinsames Spendenziel gesammelt werden. Die Kinder bringen ihren Paten, während der Kolada Essen und können sich aussuchen, ob sie den Rest des Tages bei ihnen verbringen.

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Am ersten Weihnachtsfeiertag werden weitere Familie und Freunde besucht. An diesem Tag grüßt man sich mit der Phrase „Christ ist geboren“. Zusammen wird gegessen, denn das Fasten ist vorbei und je mehr Gastfreundschaft die Gastgeber an diesem Tag zeigen, desto besser wird das ganze Jahr.

Wahrsagen hat eine lange Tradition und wurde früher weit verbreitet praktiziert ab Heiligabend bis Mitte Januar. Junge Mädchen befolgen allerlei Bräuche, die ihnen verraten sollen, wenn sie einmal heiraten werden. So hat Kutsenkos Mutter den Beruf ihres Zukünftigen aus dem Schattenspiel einer zerknüllten Zeitung im Kerzenlicht erkennen können: Ein Schweißer sollte es werden. Tatsächlich kam es auch so, erzählt Kutsenko.

Weihnachten in Deutschland

Diese Weihnachten können viele dieser Traditionen nicht erfüllt werden. Kutsenko feiert Heiligabend nur mit ihren Kindern, denn die haben sich ein kleines privates Fest gewünscht. Zwar wird es nicht alle zwölf Gerichte geben, aber zumindest Kutja wird gekocht. Davor ist sie am 6. Januar mit ihren Kindern von Haus zu Haus gezogen, um zu singen und Spenden zu sammeln.

Die Ukrainerin Svitlana Kutsenko steht mit ihren Kindern vor einem Weihnachtsbaum. Das große Familienfest wird nur klein gefeiert.
Die Ukrainerin Svitlana Kutsenko steht mit ihren Kindern vor einem Weihnachtsbaum. Das große Familienfest wird nur klein gefeiert. | Bild: Privat, Kutsenko

Eigentlich habe sie keine richtige Lust auf Weihnachten. Denn sie vermisse ihre eigenen vier Wände und vor allem ihre Familie, aber die Kinder brauchen das Gefühl von Sicherheit und Stabilität. Deswegen reiße sie sich zusammen, um den Kindern Traditionen und Gebräuche weiterzugeben, erzählt sie.

Kutsenko gibt sich Mühe, alle Aktivitäten und Projekte der Kinder zu dokumentieren. All diese Bilder und Videos schickt sie an ihren Mann „für Kraft und Unterstützung“, sagt sie. Denn er sei glücklich, wenn er wisse, dass wenigstens seine Familie sicher ist und selbst in diesen Umständen frohe Momente finde.

Kardash verzichtet dieses Jahr auf ein richtiges Fest. Bei der Flucht nach Deutschland hat sie ihre Eltern verloren und somit hat niemand in der Familie den Willen, Weihnachten zu feiern. Bloß Kutja wird sie kochen, um ihren Eltern zu gedenken.

Ungutes Gefühl beim Feuerwerk

Ukrainer, die nicht geflohen sind und es sich leisten können, feiern wie immer, aber eben ohne Strom. Kutsenko zeigt ein Bild von einem Teil ihrer Familie, der im Kerzenlicht vor einem schönen Tannenbaum stehen. Eine große Veränderung in der Ukraine, die auch nach dem Krieg erhalten werde, sei das strenge Verbot von Feuerwerken.

Das habe auch viele Ukrainer dieses Jahr in Deutschland gestört, da das laute Knallen an Raketen erinnert. Korocencev bemängelt, dass bei all der Diskussion über Feuerwerke niemand an den Effekt der Böller auf die ukrainischen Flüchtlinge gedacht habe.

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Trotzdem sind Kutsenko und Kardash dankbar für die Sicherheit und den großzügigen Anschluss an die Leute hier. Kutsenko hat viel Kontakt mit Ukrainern, die in anderen Ländern angekommen sind und hat im Vergleich den Eindruck, dass es ihnen hier gut geht.

Sie schätzen es wert, dass es Möglichkeiten gibt, um sich nützlich zu machen. Denn Ablenkung sei wichtig, erzählt Kutsenko. Auch ihre deutschen Freunde würden sich immer wieder Projekte überlegen, um sie und ihre Familie zu beschäftigen.

Deutsches Weihnachtsfest mit neuen Familien

Zu Weihnachten haben sie Tickets für den Alpen-Express geschenkt bekommen und an den deutschen Feiertagen im Dezember verbrachten sie Heiligabend bei der Familie, die sie nach der Flucht anfangs gelebt haben. Da die gesamte Familie begeistert von der ukrainischen Küche sei, hat Kutsenko viel gekocht für den 24., aber der Tag habe ihr gefallen. Es sei eine herzliche und familiäre Atmosphäre gewesen.

Auch Kardash verbrachte den ersten Weihnachtsfeiertag bei der Familie, die sie anfangs aufgenommen hat. Das sei ein schöner Tag gewesen, erzählt Kardash. Sowieso habe ihr die weihnachtliche Deko an den Häusern mit all den Lichtern gut gefallen, denn die würde sie aus der Ukraine gar nicht kennen.

Alexej und Antonina Kardash auf einem Weihnachtsmarkt. Wegen des Krieges verzichtet sie auf das Feiern. Bilder: privat
Alexej und Antonina Kardash auf einem Weihnachtsmarkt. Wegen des Krieges verzichtet sie auf das Feiern. Bilder: privat | Bild: privat

Auf die Frage, was sie sich für diese Weihnachten und das neue Jahr wünschen, lächeln die drei Frauen nur traurig. Die Antwort muss Korocencev nicht übersetzten. „Wir haben nur einen Traum“, sagt sie. Der Krieg soll enden, damit sie wieder zurück nach Hause können. „Die Kinder sollen wieder träumen können“, wünscht sich Kutsenko. Kardash erzählt, dass ihr Pflegekind zurück in die Ukraine ist, um zu kämpfen als es 18 Jahre wurde und sie ihn leider nicht stoppen konnte.

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Viele Ukrainer schauen zurück und sehen, wie gut das Leben eigentlich war, auch wenn sie sonst viel zu meckern fanden. Alle sind sich aber auch einig, dass das Leben nach dem Krieg nicht einfach werde. Eine traumatisierte Gesellschaft müsse den Weg zurück in den Alltag finden, doch die drei Ukrainerinnen haben noch Hoffnung. „Wir träumen, dass die Ukraine wieder blüht.“