Die Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt in Tiengen ist endlich wieder an ihrem gewohnten Platz. Jahrelang hat sie gefehlt, nun wurde sie wieder rekonstruiert. Die neue Kirche ist ungefähr fünf Zentimeter lang, ebenso hoch, und besteht aus Balsaholz. Und sie fügt sich wieder perfekt in das maßstabsgetreue Modell der Stadt Tiengen ein. Und das dank Modellbauer Klaus Michalski.
Kirche als wichtiger Orientierungspunkt
Seit vielen Jahren steht dieses Stadtmodell – eine Art Relief – im oberen Stock des Storchenturms. Es zeigt, wie Tiengen etwa um das Jahr 1600 herum aussah. Nur die Pfarrkirche fehlte bereits seit Längerem. „Was mit der genau geschehen ist, wissen wir auch nicht“, erklärt Stadtführerin Renate Buchmüller bei der Besichtigung. Denn das Modell würde bei Führungen immer auf großes Interesse stoßen.

Und das fehlende Gotteshaus sei dabei immer Thema: „Bei jeder Stadtführung – egal ob bei Kindern oder bei Erwachsenen – immer war die erste Frage: wo ist die Kirche? Ich mache die Führungen bereits seit vier Jahren und schon da war die Kirche nie da. Das heißt, sie muss schon länger weg sein“, erinnert sich die Stadtführerin. „Die Kirche ist auch ein wichtiger Orientierungspunkt, um beim Stadt-Relief zu erkennen, wo was ist.“

Und hier kommt Klaus Michalski ins Spiel. Der 67-jährige Elektroingenieur und Hobby-Modellbauer lebt zwar eigentlich „im Schwäbischen“, hat aber starke Verbindungen ins Städtle am Hochrhein: „Ich war schon immer mit Tiengen verbunden. Ich wohne jetzt seit über 40 Jahren im Kreis Böblingen und fahre von Anfang an ganz bewusst mit dem Autokennzeichen BB-WT“, schmunzelt der Modellbauer.
Dass er dazu kam, die fehlende Kirche im Stadtmodell zu ersetzen, war ein glücklicher Zufall. Renate Buchmüller, die Klaus über Freunde kennt, erinnert sich: „Klaus war gerade in Tiengen, als er für ein anderes Modellprojekt den Storchenturm vermessen hat. Da habe ich ihn einfach darauf angesprochen, ob er auch die Kirche restaurieren könnte. Er hat ganz spontan zugesagt.“
Doch bevor sich der 67-Jährige an das Erstellen des neuen Modells machen konnte, galt es, die Kirche und das Stadtmodell zu vermessen. „Die Vermessung selbst war kein Zeitproblem, sie dauerte etwa zwei mal 20 Minuten.“ Allerdings sei es dabei nicht um die Erfassung eines genauen Maßstabs gegangen. „Die Kirche war von der Größe optisch ins Gesamtmodell zu integrieren, unabhängig von irgendeinem Maßstab. Es gab für mich auch keinerlei Unterlagen für den Nachbau der Kirche. Ich schätze den Maßstab aber auf ca. 1:200.“

Beim Fototermin im Storchenturm hat Klaus Michalski gleich vier verschiedene Varianten der neuen Pfarrkirche dabei. Jedes in einer leicht abgewandelten Färbung. Denn das Erstellen des Modells war nicht das Problem, „die größere Herausforderung war die Bemalung.“ Um die Farben besser abschätzen zu können, hat Klaus Michalski von der originalen Pfarrkirche Fotos gemacht. „Doch die Digitalbilder zu Hause erschienen dann anders als das Original vor Ort. Und die nasse Farbe unterschied sich von der trockenen Farbe.“

Michalski platziert die vier Varianten nacheinander im Stadtmodell und begutachtet, wie sich die Färbungen des Dachs und der Fassade ins Gesamtbild einfügen. Dann fällt die Entscheidung für eines der Modelle. Mit einer Kunstharzspachtelmasse wird die neue Pfarrkirche aufgeklebt – passt. Das Stadtrelief ist wieder komplett und Tiengen hat sozusagen seine Pfarrkirche wieder zurück.
Klaus Michalski arbeitet in seiner Werkstatt übrigens noch an drei weiteren, größeren Modell-Projekten, die mit Gebäuden in Tiengen zu tun haben. Was genau er vorhat, ist aber noch offen.
Die Odyssee eines Stadtreliefs
Ebenso spannend, wie die Frage nach dem Verbleib des ursprünglichen Kirchenmodells, ist auch der Werdegang des gesamten Stadtreliefs. Laut Maximilian Reich, Mitglied im Betreuungsteams des Klettgaumuseums, stand das Modell lange Zeit in einem Schaufenster in der Weihergasse. Dies geschah wohl auf Betreiben des früheren Realschulrektors und Stadtführers Kurt Benda, der das Modell gerne im Rahmen seiner Führungen zeigte.

Von der Weihergasse kam es später in die Zunftstube und von dort dann schließlich auf den Storchenturm. „Dies musste eine ziemliche Tortur gewesen sein“, so Maximilian Reich im Gespräch. Mitglieder der Narrenzunft hätten demnach das sperrige Modell den viel zu engen Treppenaufgang hochgetragen. Dies schien wohl so anstrengend gewesen zu sein, dass einer der Zunftbrüder darauf erbost gesagt hätte, das Modell würde beim nächsten Umzug „den direkten Weg durch das Fenster nach unten“ nehmen.
Wer das Modell übrigens gebaut hat, ist unklar, Maximilian Reich hat aber eine Vermutung: Demnach sei es gut möglich, dass das Relief unter Rektor Kurt Benda im Werkunterricht der Realschule in Tiengen entstand.