Dauerklingeln, Warteschleife, Anrufbeantworter: Wer Ärzte telefonisch erreichen will, dringt oft schon nicht mehr durch. Zahlreiche Praxen sind mittlerweile personell so ausgedünnt, dass niemand mehr den Hörer abnimmt. Einige Praxen wollen lieber, dass Termine online gebucht werden. Oder versuchen, den Patientenansturm mit künstlicher Intelligenz zu steuern. Kontaktaufnahme via App wird immer mehr zum Thema. Diese Erfahrung machte jetzt auch Günter Lanz aus Beringen in der Schweiz. Er hat sich mit seiner Geschichte an diese Zeitung gewandt, voller Empörung.
Zum Hintergrund: Seine 88-jährige, in Waldshut lebende Mutter Lucia Lanz lag mit einer Lungenentzündung zu Hause im Bett und brauchte dringend neue Medikamente. Sohn Günter versuchte daraufhin, beim Hausarzt der Mutter vorstellig zu werden. Er kontaktierte die Praxis per Telefon und E-Mail – in beiden Fällen vergeblich. Schließlich kam auf die E-Mail eine automatische Antwort der Praxis.
Praxis verweist auf App
Der Tenor: Anfragen per Telefon und E-Mail sind zwecklos, sie werden nicht beantwortet. Erfolgreich sei allein der Weg via App namens Gesund.de. Darüber sei es möglich, Nachrichten zu schreiben, Rezepte zu empfangen und einzulösen, Termine und sogar Videosprechstunden zu buchen und zu verwalten. „Vielen Dank für Ihr Verständnis und Ihre Unterstützung bei der Umstellung auf diese digitale Lösung“, hieß es noch zum Schluss.
Günter Lanz hat dafür kein Verständnis. Er findet diesen Trend „erschreckend“, wie er sagt. „Schlimm, wie inzwischen mit den Leuten umgegangen wird“, findet er – gerade mit Seniorinnen und Senioren, die teils gar kein Smartphone besitzen und wenn doch, mit der Installation, der Registrierung und der Benutzung einer App überfordert sind.
„Meine Mutter kommt mit 88 Jahren jedenfalls mit keiner App klar“, sagt er. Und ihm sei der Download der App, da er kein deutsches Handy besitze, aus technischen Gründen nicht möglich. Auch von zu Hause in der Schweiz kenne er das so nicht: „Bei uns wird auch in der Hausarztpraxis das Telefon noch immer abgenommen. E-Mails werden beantwortet und keine Praxis verweist auf irgendwelche Apps“, betont er. Nicht im aktuellen, sondern bei einer vorherigen Erkrankung der Mutter habe er sich nicht mehr zu helfen gewusst, als persönlich in der Waldshuter Praxis vorbeizugehen.
„Dann haben sie sich um mich kümmern müssen, ob sie wollten oder nicht“, erzählt er. Dabei hätte es die Praxis bei einer Antwort per E-Mail zumindest selbst in der Hand gehabt, den Zeitpunkt der Beantwortung zu bestimmen.
Arztpraxen personell am Limit
„Dass es einer 88-jährigen Patientin schwer bis unmöglich ist, plötzlich eine App zu nutzen, das ist verständlich“, kommentiert den aktuellen Fall Gabriele Kiunke, Pressereferentin bei der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg. Für alte und wenig digital affine Menschen könne es zum Problem werden, wenn immer mehr Arztpraxen für die Terminbuchung auf eine digitale Lösung setzen, erkennt sie an.
Sie möchte aber auch „darauf hinweisen, dass viele Arztpraxen am Limit arbeiten und die Flut von Anfragen von Patientinnen und Patienten teilweise sehr hoch ist, sodass eine zeitnahe Beantwortung von Mails kaum möglich ist und auch die Telefonkapazitäten zeitweise überlastet sind.“
Die personellen Nöte von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten will auch Peter Grieble, Leiter Abteilung Versicherung, Pflege, Gesundheit bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg, nicht wegdiskutieren. Er hält die elektronische Terminvereinbarung grundsätzlich für in Ordnung und gerade in Form einer App auch für effizient.
Aber ohne Alternativen ausschließlich darauf zu setzen, hält er für falsch. „Eine telefonische Erreichbarkeit sollte gerade in schon länger bestehenden Praxen immer gegeben sein, sei das Zeitfenster dafür auch noch so klein“, sagt er. Dann müsse sich der Patient, die Patientin auch nicht als Bittsteller vorkommen, so Grieble. Aber er weiß auch: Der Arzt, die Ärztin sitze am längeren Hebel – wer als Patient überhaupt einen Hausarzt hat, kann froh sein.
Letztlich hat Lucia Lanz ihre Medikamente doch noch bekommen. Eine Apotheke war so hilfsbereit, hat das Rezept beim Arzt persönlich eingeholt und die Medikamente der 88-Jährigen nach Hause geliefert. Die Probe aufs Exempel, ob die Benutzung der App wirklich zum Ziel geführt hätte, ist also ausgeblieben.