Reinhard Valenta

Würde Alois Meier heute durch den Öflinger Wasen spazieren, käme er aus dem Staunen nicht heraus. Verwundert nähme er zur Kenntnis, dass das von ihm 1912 erbaute Haus nicht mehr allein auf weiter Flur steht. Vor allem würde sich Meier darüber wundern, dass er, der einfache Zimmermann, inzwischen eine Persönlichkeit der Öflinger Geschichte ist. Denn er hat ein Dokument von unschätzbarem Wert hinterlassen.

Das von Alois Meier in der Öflinger Brühlstraße erbaute Haus wird von den heutigen Besitzern liebevoll gepflegt.
Das von Alois Meier in der Öflinger Brühlstraße erbaute Haus wird von den heutigen Besitzern liebevoll gepflegt. | Bild: Reinhard Valenta

Was mag den bereits 40-jährige Landsturmmann am 31. Juli 1914 dazu bewegt haben, ein „Kriegstagebuch“ zu beginnen? Ahnte er, dass dieser Krieg als erste industrielle Massenvernichtung in die Geschichte eingehen würde? Oder wollte er seiner Ehefrau und der fünfjährigen Tochter Maria Johanna eine Botschaft hinterlassen für den Fall, dass er auf dem Schlachtfeld bleiben würde?

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Wir wissen es nicht. Dafür wissen wir genau, was der Landsturmmann Alois Meier von 1914 bis 1918 tagtäglich erlebt hat. Stichpunktartig hat er das Geschehen fast jedes einzelnen Tages in sein Kriegstagebuch eingetragen. Meist nur Kurznotizen, aus denen jedoch noch heute das Grauen des Krieges sprich.

Porträtfoto von Alois Meier um 1914/16.
Porträtfoto von Alois Meier um 1914/16. | Bild: Buchenau

Meier beginnt mit der Mobilmachung am 31. Juli 1914. Wir bekommen eine Ahnung, wie aufgeladen die Atmosphäre war: „31. Juli Aufstellen der Kommandos zur Bahnbewachung. Station Öflingen 18 Mann stark. Gegen Abend, Erklärung des Kriegszustandes durch Trompetensignal. 1. August Nachmittag 6 ½ Uhr: Mobil! Trommelschlag und Sturmläuten; 2. August Sonntag, 1. Mobilmachungstag, Einrücken der Kavallerie, Artillerie und Infanterie, mit Musik an die Bahn. 11 Uhr Vormittag: Besetzen der Bahnhöfe mit Landwehr, Durchfahrt von Güterzügen mit 60 Waggons.“

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Am 22. August wurde Meier in Wehr gemustert, genau einen Monat später notiert er die „Ankunft von 30 Verwundeten ins hiesige Lazarett (Schulhaus)“ – der Krieg kam unerbittlich näher. Am 2. Dezember dann der bittere Moment: Meier muss einrücken. Als Soldat im Landsturmregiment 109 kam er nach Mühlhausen und wurde an der Sundgaufront zwischen der Schweizer Grenze bei Lützel und dem Hartmannsweilerkopf eingesetzt.

Sowohl die französischen als auch die deutschen Soldaten hatten für den 956 Meter hohen Vogesenberg einen grausigen Namen: „Menschenfresser“. Über 30 000 Mann verloren hier in einem sinnlosen Stellungskampf ihr Leben.

Einsatz am „Menschenfresser“

Auch Meier lernte den „Menschenfresser“ kennen. Besonders heikel war ein Einsatz am 6. und 7. April 1915. Damals notierte er lapidar: „Helm vergessen“. Und für die Nacht auf den 7. April: „Lebhaftes Geschützfeuer und Gewehrfeuer am Hartmannsweilerkopf.“ Meier hatte Glück. Den Helm zum Kampfeinsatz zu vergessen, war ein unverzeihlicher Fehler, der ihm das Leben hätte kosten können.

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Im Mai 1915 wurde Meier in die Nähe der Schweizer Grenze bei Lützel verlegt. Hier kam es hier nicht zu Grabenkämpfen Mann gegen Mann, wohl aber zu täglichen Artillerieduellen und Schießereien. So notierte Meier am 10. März 1916: „5.30 Uhr Abmarsch in die Stellung bei Moos. 2 Mann Maschinengewehr tot, 4 verwundet, Volltreffer.“

Was ein Volltreffer bedeutete, wird klar, wenn man das Foto einer Stellung an der Vogesenfront näher betrachtet. Es wurde von Karl Albert Kuhne, dem Vater Bernhard Kuhnes, an seine Ehefrau in Wehr geschickt. Kuhne kämpfte ebenfalls in den Vogesen. Wenn solch ein enges Loch, vollgestopft mit Männern, einen „Volltreffer“ erhielt, war es ein Wunder, wenn überhaupt jemand überlebte.

Auch Bernhard Kuhnes Vater war am Hartmannsweilerkopf. Das Foto zeigt ihn (links mit Pfeife) in einem Unterstand.
Auch Bernhard Kuhnes Vater war am Hartmannsweilerkopf. Das Foto zeigt ihn (links mit Pfeife) in einem Unterstand. | Bild: Bernhard Kuhne

Immer wieder finden wir Einträge wie: „Lebhaftes Geschützfeuer, 15-20 Schuß pro Minute“, „Josef Thomann gefallen“, „Am Abend 109 tot“ oder „Maschinengewehrfeuer beim Kaffeeholen“. Ungewöhnlich der Eintrag für Pfingsten 1915: „Kein Schuß!“ Ein kleines Wunder an der Front.

Der schönste Eintrag stammt vom 10. Mai 1916: „Aus dem Kampfverband ausgeschieden!“ Damit war für den inzwischen 43 Jahre alten Soldaten der Krieg noch nicht zu Ende. Doch die Front rückte in weite Ferne. Meier kam zum Arbeitseinsatz ins Ruhrgebiet und kehrte am 14. November 1918 wohlbehalten nach Öflingen zurück.

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Alois Meier ist ein Zeuge der Sinnlosigkeit des Krieges. Und doch blieb ihm der Zweite Weltkrieg nicht erspart. Er starb 1950 mit 77 Jahren. Seine Tochter Maria Johann (verheiratete Buchenau) erkannte den Wert des Tagebuchs und übergab es dem Stadtarchiv Wehr. In einer künftigen Geschichte Öflingens wird es einen hervorragenden Platz einnehmen.