Sie war einst ein Unternehmen mit Weltruf: Die Wehra AG. Ob im Weißen Haus in Washington oder im Papamobil, mit dem Papst Johannes Paul II 1980 Deutschland besuchte: Überall waren Teppiche und Möbelstoffe aus dem Wehratal. Aus aller Welt kamen die Kunden nach Wehr, um die hochwertigen Textilien zu begutachten. Darauf war natürlich auch die Belegschaft stolz. Auch 27 Jahre nach dem endgültigen Aus der Textilfabrik sind die früheren Mitarbeiter eng mit "der Wehra" verbunden. Alle drei Monate treffen sie sich zum Stammtisch oder unternehmen gemeinsam Ausflüge. Das Gelände, auf dem sich früher die Fabrikhallen ihrer früheren Firma befindet, haben sie bislang aber nicht besucht. Klaus Marksteiner, der 1971 zur Wehra AG kam und bis zum Ende blieb, hatte nun die Idee, mit den früheren Kollegen einen Rundgang über das heutige Gewerbeareal zu machen. Die heutigen Hausherren Wolfgang und Christoph Eckert führten die fast 40 Ex-"Wehraner" durch die früheren Hallen und das Verwaltungsgebäude, in dem heute ganz andere Unternehmen ihre Büros haben. Viele glänzende Augen und zahlreiche Anekdoten brachte der Besuch, der für manche ein Wiedersehen mit dem früheren Arbeitsplatz brachte.

Fast 40 ehemalige Mitarbeiter der früheren Teppichfabrik Wehra machten sich am Donnerstagnachmittag auf Spurensuche an ihren früheren ...
Fast 40 ehemalige Mitarbeiter der früheren Teppichfabrik Wehra machten sich am Donnerstagnachmittag auf Spurensuche an ihren früheren Arbeitsplätzen. Bild: Justus Obermeyer | Bild: Obermeyer, Justus

"Das sieht ja fast genauso wie damals", staunte Gabriela Schuberth, als sie das Treppenhaus des Hauptgebäudes betrat. "Doch, es hat sich was verändert: Wir haben drei Lagen Teppiche entfernt", meinte Wolfgang Eckert lachend. Aber sonst erinnert hier noch viel Patina an die vermeintlich gute alte Zeit. Geländer und Wände des Treppenhauses sind sozusagen noch im Originalzustand. Ein Stockwerk höher fand Schuberth ihr Büro, das damals Teil der Exportabteilung war, heute das Büro von Wolfgang Eckert. Ein paar Schritte weiter der frühere Arbeitsplatz von Gabriele Schuberths Ehemann Gerhard, von 1970 bis 1987 Personalchef der Wehra AG. "Als ich angefangen habe, hatte die Firma noch 650 Mitarbeiter, als ich ging waren es noch gut 200", erinnert sich Schuberth an den schleichenden Niedergang der Textilindustrie. Immer neue Eigentümer forcierten im Laufe der Zeit den Personalabbau und versuchten nur noch, möglichst viel Gewinn aus dem Unternehmen zu ziehen.

Arbeiten am Kamin der Wehra AG1954: Eugen Mattes, ein Lehrling, Heiner Einenkel und Schornsteinfegermeister Franz Hege.
Arbeiten am Kamin der Wehra AG1954: Eugen Mattes, ein Lehrling, Heiner Einenkel und Schornsteinfegermeister Franz Hege. | Bild: Archivbild Werner Kramer

Ebenfalls im Hauptgebäude hatte Helmut Hess in den 70er-Jahren seinen Arbeitsplatz – in der EDV-Abteilung: Schon in den 60er-Jahren gab es erste Computer, mit den beispielsweise Kunden fakturiert wurde. "Als Datenspeicher dienten damals Lochkarten und Magnetplatten", erinnert sich Hess. Mit Lochkarten wurden auch die Programme der Webmaschinen gesteuert. Gefertigt wurden diese in der Abteilung "Kartenschlägerei". Heute befindet sich hier die Tierarztpraxis von Susanne Zorn. Gleich nebenan waren die Weberei und die Spulerei untergebracht – hier produziert Hans Zitzmann heute Latexformen für Gussfiguren.

1960 an der Kartenschlagmaschine der Wehra: Kartenschläger Robert (Roby) Gampp und Teppichweber-Lehrling Werner Kramer.
1960 an der Kartenschlagmaschine der Wehra: Kartenschläger Robert (Roby) Gampp und Teppichweber-Lehrling Werner Kramer. | Bild: Archivbild Werner Kramer

Fast ehrfürchtig klingen die Erinnerungen der Wehraner an den "Auslegeraum": Ein riesiger Raum, in dem die Firma ihre Musterteppiche und besondere Exponate für die internationale Kindschaft auslegte. "Der bekannte israelische Teppichhändler und Politiker Avraham Shapira prüfte hier die Qualität unserer Teppiche", erinnert sich Gerhard Schuberth. Entworfen wurden die Teppiche und Polsterstoffe im Atelier, wo namhafte Künstler arbeiteten, wie zum Beispiel Gustel Fricker, Adolf Lamprecht oder Erich Felber. "Das Atelier durfte man nur nach Voranmeldung betreten", erinnert sich Gabriela Schuberth. "Denn die Kreativen wollten nicht gestört werden." Dies war nur eine der vielen kleinen Anekdoten, die die "Wehra-Familie" an diesem Nachmittag austauschte. Auch 27 Jahre nach dem schmerzvollen Ende der Wehra sind die vielen positiven Erinnerungen an die goldenen Zeiten nicht erloschen.

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Das Firmenlogo der Wehra AG.
Das Firmenlogo der Wehra AG. | Bild: Archivbild Werner Kramer

Die Wehra AG: Von Gründung bis zum Niedergang

1871 gründeten Karl Friederich Rupp und Wilhelm Neflin die Firma "Neflin & Rupp OHG". Hergestellt wurden Plüschstoffe für Schuhe. 1885 begann die Möbelstoff-Fertigung.

1921: Umwandlung in "Wehra Aktiengesellschaft, Teppich- und Möbelstoffweberei". Die Vorstände: Fritz Rupp, Alfred Hauber und Albert Rupp.

1969 übernahm die Firma Falke aus Schmallenberg die Anteile und es folgte die Umwandlung in eine GmbH. Der neue Eigentümer investierte in neue Technologien.

1982 Das "Ausschlachten" der Wehra GmbH begann. In Wehr blieb nur die technisch veraltete Möbelstoff- und Teppichweberei.

1988 wurde die Wehra an Lothar Buschmann verkauft.

1992, nach undurchsichtigen Finanz-Transaktionen, waren alle Buschmann-Firmen insolvent. Im Dezember wurde die Wehra geschlossen.

1996 wurde das gesamte Areal zwangsversteigert: Wolfgang Eckert und Hanspeter Tschamber erhielten den Zuschlag. In den Folgejahren baute Eckert das Areal zu einem Gewerbepark um.