Reinhard Valenta

Wenn der 1932 geborene Bernhard Kuhne an seinen Vater Albert denkt, sieht er einen stattlichen Mann vor sich, der wie kein anderer in Wehr ein Ochsengespann lenken konnte. „Aber am liebsten saß er auf seinem Lanz-Traktor“, erzählt Bernhard Kuhne. „Mit Vorspann- und Zugdiensten verdiente er einen Teil des Unterhalts seiner nicht gerade kleinen Familie.“

Bernhard Kuhne erzählt im Februar 2020 von seinem Vater, der kurz vor dem Ende der Nazidiktatur verstarb.
Bernhard Kuhne erzählt im Februar 2020 von seinem Vater, der kurz vor dem Ende der Nazidiktatur verstarb. | Bild: Reinhard Valenta

Albert Kuhne (1883-1944) war ein technikbegeisterter Landwirt. Sein großes Vorbild waren die USA. Er war von der Mechanisierung der Landwirtschaft in den Staaten fasziniert. Deshalb erwarb er bereits in den 1920er Jahren einen Lanz-Bulldog. Überhaupt war Albert Kuhne ein Amerika-Fan, obwohl damals der Antiamerikanismus in Deutschland weit verbreitet war.

Wolfgang Büche (gestorben 2019) wurde am 12.5.1935 in St. Martin getauft. Der stattliche Mann hinten ist Albert Kuhne. Durch seine ...
Wolfgang Büche (gestorben 2019) wurde am 12.5.1935 in St. Martin getauft. Der stattliche Mann hinten ist Albert Kuhne. Durch seine Ehefrau Rosa war er mit Alfons Büche (Vater von Wolfgang) verwandt, dem die Nazis ebenfalls Probleme machten. | Bild: Archiv Reinhard Valenta

Kuhnes Begeisterung für die USA war kein Zufall. „Mein Vater hat im Ersten Weltkrieg am Hartmannsweiler Kopf gekämpft“, erzählt Bernhard Kuhne. Als die Sundgau-Front keine strategische Bedeutung mehr hatte, muss er in den Norden an die Marne oder Maas verlegt worden sein. Dort waren 1918 die Amerikaner mit einer Million Mann im Einsatz als Reaktion auf den sogenannten bedingungslosen U-Boot-Krieg. Die deutsche Heeresleitung hatte ihn ausgerufen. Er kostete so vielen amerikanischen Zivilisten das Leben, dass die USA 1917 in den Krieg eingriffen.

Das könnte Sie auch interessieren

Albert Kuhne überlebte die grausamen Materialschlachten und geriet in US-Gefangenschaft. Die Amerikaner unterhielten Gefangenenlager in Europa, eines davon in Hamburg, wo Kuhne interniert war. „Von dieser Zeit hat mein Vater viel erzählt. Er war zwar Kriegsgefangener, aber die amerikanischen Soldaten behandelten ihn wie einen Menschen. Da herrschte nicht der preußische Untertanenton und er bekam auch gutes Essen.“ Kein Wunder, dass sich Albert Kuhne nach seiner Rückkehr 1919 lebhaft für den American Way of Life interessierte. Ganz allein war er damit nicht. So reiste beispielsweise Obermeister Alfred Denz, der Großvater Friederike Erhardts (Begründerin der Wehrer Schlosskonzerte), 1927 mit dem aus Wehr stammenden Lörracher Textilfabrikanten Otto Schenz in die USA, um die modernsten Webautomaten einzukaufen.

Landsturmmann Albert Kuhne vom Landsturm-Regiment 109 mit Vollbart 1902/03 in der Kaserne in Müllheim.
Landsturmmann Albert Kuhne vom Landsturm-Regiment 109 mit Vollbart 1902/03 in der Kaserne in Müllheim. | Bild: Archiv Valenta

Als die Nazis an die Macht kamen, wusste Albert Kuhne genau, dass nicht Adolf Hitler die Zukunft repräsentierte, sondern der demokratisch gewählte US-Präsident Franklin D. Roosevelt. Das sollte für ihn Folgen haben. Kuhne war als Fuhrmann eine bekannte Persönlichkeit. Er mähte für die Nebenerwerbsbauern gegen Lohn Gras, holte das Bürgerholz aus dem Wald und erledigte viele Fuhrdienste. Vor allem war er für die Wehrer Freibank zuständig und hatte auch mit dem Farrenstall (im Volksmund „Munistall“) zu tun, der sich hinter dem Alten Schloss auf der anderen Seite der Wehra befand. Wurde ein Tier im Schlachthof notgeschlachtet, konnten dort die ärmeren Wehrer günstig Fleisch kaufen. Kuhne sorgte dafür, dass der Laden korrekt lief. Als nun während der Nazi-Zeit die Gemeinde einen neuen Stier angeschafft hatte und man im Rathaus besprach, welchen Namen er tragen sollte, rutschte Albert Kuhne eine Bemerkung heraus: „Tauft ihn doch Adolf“.

Das könnte Sie auch interessieren

Das hätte er sich verkneifen sollen. Sofort verlor er seinen Posten und wurde für die Nazis aufgrund dieser Majestätsbeleidigung zur Persona non grata – wie der mit ihm über seine Ehefrau Rosa (geb. Uecker) verwandte Gipser Alfons Büche. Unterkriegen ließ sich Albert Kuhne aber nicht. Bernhard Kuhne erinnert sich daran, dass sein Vater im Krieg regelmäßig Radio BBC „Die Stimme Londons“ hörte. Bernhard kann heute noch das typische Radiosignal intonieren. „In einer Ecke der Stube hatte mein Vater eine Karte Europas aufgehängt, an der er mit unterschiedlichen Fähnchen den Frontverlauf markierte: mit den einen die Front, wie sie die Nazi-Propaganda brachte, mit den anderen den von der BBC gemeldete wirklichen Stand“.

Das könnte Sie auch interessieren

Wie riskant das streng verbotene Abhören von sogenannten Feindsendern war, bezeugte Lothar Weiss 2001 in einem Interview: „Der Zahnarzt Brugger wurde zum Verhör abgeholt, weil er Radio Beromünster gehört hatte und verpfiffen worden war.“ So weit kam es mit Albert Kuhne nicht.

„Mein Vater verstarb kurz vor Ende des Krieges 1944. Am Tag seiner Beerdigung“, so Bernhard Kuhne, „wurde Rudolf Berger verhaftet. Er wohnte in der Nachbarschaft und war mit meinem Vater befreundet“. Der Sozialdemokrat Berger half – von der Haft gekennzeichnet – gleich nach Kriegsende beim Aufbau demokratischer Strukturen in Wehr. Er war sogar von den Franzosen vorübergehend als Bürgermeister eingesetzt worden. Albert Kuhne wäre stolz auf seinen Freund gewesen.