Was ist mehrere hundert Jahre alt, etwa 1300 Meter lang und heute nur noch an wenigen Stellen sichtbar? Nein, das ist keine Scherzfrage. Die Rede ist vom Wehrer Gewerbekanal, der sich seit ewigen Zeiten seinen Weg durch die Wehrer Innenstadt bahnt. Er ist – in seiner heutigen Lage und Länge – ein Relikt der Industrialisierung der Stadt und diente schon im 16. Jahrhundert mehreren Gewerbebetrieben als Energiequelle. Das Wasser aus dem seinerzeit als „Hammerschmiedekanal“ bekannten Bachlauf trieb einst Werkzeuge von Eisenwerk und Schmieden an, aber auch Mühlräder – lange bevor die Textilindustrie am Hochrhein in Wehr heimisch wurde.

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„In den Wasserbüchern wird 1583 ein Eigentümer eines Wassertriebwerks zum Betreiben einer Kundenmühle genannt“, erklärt Timo Kammerdiener, Abteilungsleiter Wasserrecht beim Amt für Umweltschutz im Landratsamt Waldshut.

Bild 1: Wie der Wehrer Gewerbekanal im Laufe der Jahrhunderte genutzt wurde
Bild: Obermeyer, Justus

Wie in allen Orten, die an Flüssen lagen, gab es schon im Mittelalter Mühlen und Sägen. In der Wehrer Chronik ist von zwei Mühlen die Rede, die „niedere“ (heute das Alte Schloss) und die „obere“. Eine Urkunde von 1280 erwähnt eine Schuld Albrechts von Habsburg gegenüber Rudolf von Schönau, die mit einem Zins der niederen Mühle Wehr verrechnet wurd. Die erste Erwähnung einer Säge datiert aus dem Jahr 1451, vermutlich ist die Säge beim Klosterhof aber viel älter. Die zweite Säge ist jüngeren Datums: Sie entstand 1567 unter Hans Jakob von Schönau neben dem Alten Schloss zunächst als Klopfsäge, im 19. Jahrhundert wurde sie zu einem Dampfsägewerk modernisiert.

Der Kanal in Höhe der Storchenstraße.
Der Kanal in Höhe der Storchenstraße. | Bild: Obermeyer, Justus

Wurde die Wasserkraft zunächst mechanisch genutzt und die Energie mit Transmissionsriemen auf Werkzeuge übertragen, begann Ende des 19. Jahrhunderts die Nutzung des elektrischen Stromes, was den Pioniergeist der Unternehmer in der Region förderte: Vor allem die Eigentümer der Papierfabrik Lenz und der Mechanischen Buntweberei Brennet suchten nach Möglichkeiten, die stark schwankende Wasserkraft in Strom umzuwandeln und damit Maschinen anzutreiben. „In der Zeit von 1897 bis 1927 wurde Turbinen anstatt der früheren Wasserräder eingebaut, um Strom zu erzeugen“, so Timo Kammerdiener. Aus dieser Zeit datieren auch die alten Wasserrechte zum Einbau und Betrieb der Turbinen.

Bild 3: Wie der Wehrer Gewerbekanal im Laufe der Jahrhunderte genutzt wurde
Bild: Obermeyer, Justus

Carl Lenz berichtet in seinen Aufzeichnungen, wie seine Familie im Jahr 1864 die alte Wehrer Ölmühle, eine Hanfreibe und „etwas Wasserkraft“ aufkaufte – die Geburtsstunde der Wehrer Papierfabrik. Papiermaschinen wurden mit einem Wasserrad angetrieben, allerdings reichte diese Energie kaum aus, so dass zusätzlich Dampfmaschinen angeschafft werden mussten. Im Jahr 1901 kaufte die Familie die Schönausche Mühle (das heutige „Alte Schloss“), errichtete einen Notkanal, um dort mit einer Turbine eine neue Holzschleiferei zu betreiben.

Bild 4: Wie der Wehrer Gewerbekanal im Laufe der Jahrhunderte genutzt wurde
Bild: Obermeyer, Justus

„Die vorhandene Wasserkraft war immer mehr als ungenügend und viel zu klein erkannt, besonders im Sommer musste die Holzschleiferei oft monatelang stillstehen“, schreibt Carl Lenz in seinen Erinnerungen. „So musste ich denn auf die Verstärkung der Wasserkraft bedacht sein. Ich kaufte gelegentlich Wiesen bis fast zur Enkendörfer Wehrabrücke mit Wässerungsrechten und konnte 1912 in der Rossmatt eine Kraftanlage mit elf Meter Gefälle errichten und die gewonnen Kraft in die Holzschleiferei und in die Papierfabrik elektrisch übertragen.

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