Hätte im eiskalten Winter 1929 jemand dem Öflinger Bauunternehmer und Architekten Fridolin Rotzler prophezeit, dass eines Tages die Alpengletscher abschmelzen würden, hätte er nur ungläubig den Kopf geschüttelt. Angesichts einer mittleren Tagestemperatur von circa 18 Grad minus, die damals herrschte, kann man Rotzler eine solche Reaktion nicht verdenken. Das Wort „Klimawandel“ gab es noch nicht.
Fotos mit Seltenheitswert
Im Februar 1929 war der Rhein bei Öflingen zugefroren. Der Ur-Brenneter Gerold Rotzler ist im Fotoalbum seines Vaters auf den fotografischen Beweis für diese „Rhygfröri“ gestoßen. Gerold war damals keine zwei Jahre alt und kann sich daher nicht mehr an den Eiswinter und den Tag, als das Foto geschossen wurde, erinnern.

Zur Bartmode seines Vaters sei noch eine Bemerkung gestattet: Heute bezeichnet man diese Form des Oberlippenbarts als „Hitlerbart“. Das war aber 1929 noch nicht der Fall. Erst nach dem Beginn der Weltwirtschaftskrise („Schwarzer Freitag“ am 25.10.1929) stieg die NSDAP von einer radikalen Splitterpartei zur Massenbewegung auf. Diese Oberlippenbärte gab es seit dem Ersten Weltkrieg. Als die Soldaten wegen des Einsatzes von Giftgas Masken tragen mussten, wurden die beliebten und ausladenden „Kaiser-Wilhelm-Bärte“ abrasiert. Durch sie wäre Gift in die Masken eingedrungen (aktuelle Parallele: Schlecht sitzende Corona-Masken als Türöffner für Viren!). Erst seit dem Ersten Weltkrieg kam diese Form des Oberlippenbarts – also lang vor dem Aufstieg des Diktators – in Mode.
Hochzeit im eiskalten Januar
Auch die vermutlich letzte „Rhygföri“ von 1963 wurde fotografisch dokumentiert. Der am 14. Mai 2020 im Alter von 97 Jahren verstorbene Hugo Thomann war ebenfalls Gemeinderat, darüber hinaus jahrelang Chef des Musikvereins Öflingen und zudem ein begeisterter Fotograf. Im Februar 1963 fotografierte er „seinen“ MVÖ anlässlich eines Konzerts auf dem zugefrorenen Rhein.
Harry Busch, damals Schreiner in der MBB, erinnert sich noch an die vielen „Events“ auf dem Eis: „Unsere Hochzeit feierten wir im eiskalten Januar 1963, als der Rhein zufror. Die Einheimischen bezeichneten das als Rhygfröri. Es war ein riesiges Naturereignis und eine Sensation. Auf dem Eis ging es zu wie auf einem Jahrmarkt.

Die Musikvereine spielten zu Promenadenkonzerten auf und überall gab es Buden, an denen die Spaziergänger und Schlittschuhläufer Bratwurst und Glühwein verzehren konnte. Das Eis war so stark, dass die ganz Mutigen sogar mit ihren Autos hinüber bis zur Schweizer Seite gefahren sind. Manche sind mit ihren Autos sogar zu den Gastwirtschaften, die am Rhein lagen, gefahren, um dort einzukehren. Das war eine riesige Gaudi, wirklich einmalig!“
Auch der am 4. April 2020 an einem langjährigen Leiden verstorbene Dietmar Gebelein hat seine Erinnerungen an die Rhygfröri zu Protokoll gegeben. Der Oberfranke hatte nach dem Besuch der Textilhochschule Münchberg 1962 eine Stelle in der Weberei der MBB in Brennet bekommen.

Damals war er Untermieter bei Fischer Franz Meier in Wehr, für den er an den Wochenenden Jobs erledigte. Im Februar 1963 war er einmal mit Franz Meier am zugefrorenen Rhein unterwegs: „Plötzlich kam der Schweizer Zoll zu uns. ´Hier chönne si it witerlaufe´ Darauf der alte Meier: ´I soll it chönne? I bin dr Fischr Meier do, dr Fischmeister. I darf hi, wo i will´. Da haben die Zöllner komisch aus ihren Uniformen geschaut und uns laufen lassen. Überhaupt war die Rhygfröri eine große Sache. An den Wochenenden war Volksfeststimmung. Die größte Schau lieferte der Mammet. Er war ein Öflinger Original und fuhr mit dem Auto auf dem Rhein kreuz und quer herum, während die Schaulustigen ihm zugesehen haben. Er war ein Maurer und hatte nach dem Krieg den Schornstein der Brennet hochgemauert“.

Eine „Rhygfröri“ werden wir wohl nicht mehr erleben. Der Klimawandel ist eine unumstößliche Tatsache. Immerhin gibt es noch Fotos dieses Naturereignisses und Berichte von Augenzeugen. Das ist ein Trost – wenn auch nur ein schwacher.