Uneheliche Kinder und ihre Mütter mussten in früheren Zeiten schlimme Diskriminierungen ertragen. Der Wallbacher Ortshistoriker Heinz Thomann hat unlängst in einem Aufsatz den Dorfschullehrer Walter zitiert, der 1895 in Wallbach folgende Beobachtung niedergeschrieben hat: „Wenn noch bis zum Ausgange des 19. Jahrhunderts eine ledige Person ein Kind bekam, war sie sehr zu bedauern, denn sie war allgemein verachtet, ja sogar in der Kirche musste sie es fühlen. (…) Es war für solche Mädchen ein besonderer Stuhl (Bank) bestimmt, den man Hurenstuhl hieß. Zu bedauern waren auch die unschuldigen Kinder. Andere Kinder durften solche nicht einmal beim Spiel dulden.“

Eine Arbeitsstelle, von der viele Frauen träumten

Dies wird in Wehr und Öflingen ähnlich gewesen sein. Umso bemerkenswerter ist der Werdegang der Maria Kohler. Sie war ein lediges Kind, brachte es aber bis zur Chefin der Versuchsküche in der bereits vor dem Ersten Weltkrieg weltberühmten Firma Weck in Öflingen. Eine Arbeitsstelle, von der viele Frauen damals träumten.

Eine starke Frau: Die ledige Taglöhnerin und Mutter Perpetua Kohler um 1900 im Säckinger Fotoatelier Schell in der Schützenstraße 10.
Eine starke Frau: Die ledige Taglöhnerin und Mutter Perpetua Kohler um 1900 im Säckinger Fotoatelier Schell in der Schützenstraße 10. | Bild: Privat-Archiv/Repros Reinhard Valenta

Uneheliche Geburten erstreckten sich als ein soziales Phänomen manchmal in einer Familie über mehrere Generationen hinweg. So erging es in Wehr der Perpetua Kohler. Sie war am 7. März 1839 im Klosterhof als „uneheliche Tochter der Agatha Kohler“ zur Welt gekommen. Der damalige Pfarrer gab solchen Kindern oft exotische Namen. Perpetua wurde zwar nach einer der ersten christlichen Märtyrerinnen getauft. Dieser Name war aber trotzdem völlig ungebräuchlich. Im damaligen Taufbuch findet man für uneheliche Kinder sogar die Namen antiker, ja heidnischer Figuren wie Achill. Damit waren sie lebenslang stigmatisiert.

Ledige Frauen hatten es damals schwer

Trotzdem ließ sich Perpetua nicht unterkriegen. Sie arbeitete als Tagelöhnerin und wohnte bei Anton Hess in Niederwehr. Dort brachte sie – betreut von der Hebamme Otilie Gallmann am 11. Mai 1882 ihre Tochter Maria zur Welt. Perpetua erging es nicht anders als ihrer Mutter Agatha: Kein Mann bekannte sich zum neugeborenen Kind. Sie blieb ebenfalls ledig und musste ihr schweres Los alleine tragen.

Portraitfoto der jungen Köchin Maria Kohler: Aufgenommen um 1905 im Atelier von Louis Frohwein in Basel, wo Maria damals als Köchin ...
Portraitfoto der jungen Köchin Maria Kohler: Aufgenommen um 1905 im Atelier von Louis Frohwein in Basel, wo Maria damals als Köchin arbeitete. | Bild: Privat-Archiv/Repros Reinhard Valenta

Im Familienalbum von Thomas Reinartz, einem Nachkommen der Perpetua, befindet sich ein historisches Foto seiner Urgroßmutter. Es wurde um 1900 beim Fotografen Schell in Säckingen aufgenommen und zeigt eine selbstbewusst, fast trotzig in die Kamera blickende Frau. Trotz der Schwere ihres Schicksals ahnt man ihre Tatkraft. Dass sich eine „Ledige“ mit unehelichem Kind überhaupt fotografieren ließ, zeugt von Selbstbewusstsein.

Gute Noten in der Schule ebneten Berufsweg

Perpetua sorgte dafür, dass ihre Tochter trotz alledem in geordneten Verhältnissen aufwuchs. Maria belegte bei ihrer Schulentlassung Ostern 1896 den 7. Platz im Klassenranking. In „sittliche Aufführung“ hatte sie sogar eine Eins. Mit Ausnahme in Kopfrechnen und Naturlehre stand sie in fast allen anderen Fächern auf Zwei.

Die Gebäude des Unternehmens Weck in Wehr-Öflingen.
Die Gebäude des Unternehmens Weck in Wehr-Öflingen. | Bild: Stein, Moritz

Versuchsköchin bei Weck war höchst angesehen

Maria erlernte in Basel den Beruf der Köchin. 1911 trat sie die begehrte Stelle einer Versuchsköchin in der „Weck“ an. Sie muss hervorragend gekocht haben und testete von da viele neue Varianten des Einkochens. Wie der Zufall es wollte, holte Georg van Eyck im selben Jahr den in Krefeld geborenen Heinrich Reinartz nach Öflingen. Auch dieser historisch bemerkenswerte Brief ist im Besitz von Thomas Reinartz. Sein Großvater Heinrich arbeitete zunächst als Diener des Fabrikanten, wurde aber rasch in der „Weck“ als Mechaniker eingesetzt.

Bei Weck lernten sie sich lieben

Es liegt nahe, dass sich Köchin und Mechaniker in der weltberühmten Firma kennen und lieben lernten. So kam es, dass am 24. Mai 1913 Heinrich Reinartz und Maria Kohler den Bund fürs Leben schlossen. Dies geschah in Marias Heimatort Wehr. Trauzeugen waren der Wehrer Ratsschreiber Otto Senger und der Öflinger Lagervorsteher Albrecht Ambs. Zwei Namen mit gutem Klang in Wehr und Öflingen.

Die Reinartz-Kinder in den 1920er Jahren in der Familienküche: Natürlich spielte auch im Haushalt von Mutter Maria Reinartz das ...
Die Reinartz-Kinder in den 1920er Jahren in der Familienküche: Natürlich spielte auch im Haushalt von Mutter Maria Reinartz das Einwecken eine große Rolle. (v.l.n.r. Maria, Paul und Rita, rechts Marta Öschger) | Bild: Privat-Archiv/Repros Reinhard Valenta

Großfamilie Reinartz

Die Ehe war von fünf Kindern gesegnet. Wann Maria Reinartz, geborene Kohler in den wohlverdienten Ruhestand ging, ist nicht bekannt. 1936 wurde sie im Alter von 55 Jahren vom Badischen Verband Industrieller für ihre 25-jährige Tätigkeit und ihre herausragenden Verdienste in der „Weck“ geehrt. Maria Reinartz verstarb am 17. Dezember 1960 in ihrem 78. Lebensjahr. Ihr Ehemann Heinrich überlebte sie fast auf den Tag genau um fünf Jahre.

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