Fast 19 Millionen Euro Fördermittel von Land und Bund stehen aktuell für den Bau des Breitbandnetzes im Stadtgebiet von Wehr bereit – doch möglicherweise wird die Stadt nicht darauf zurückgreifen. Denn hinter dem Zukunftsprojekt steht derzeit ein dickes Fragezeichen. Der Grund: Die Telekom hat Anfang Februar den Vectoring-Ausbau für das ganze Stadtgebiet von Wehr angekündigt und fährt damit einem kommunalen Breitbandausbau gehörig in die Parade. Denn grundsätzlich gilt: Kommunen dürfen bei der Internetversorgung nur selbst aktiv werden, wenn tatsächlich eine Unterversorgung besteht und die Telekommunikationsanbieter die Lücken in der Versorgung nicht schließen.
Welche rechtlichen Folgen die Ausbauzusage der Telekom tatsächlich hat, das ist bislang noch offen. Wie Bürgermeister Michael Thater nun den Gemeinderäten erklärt, habe die Stadt die Möglichkeit, die Ausbauzusage nicht zu werten, weil die Telekom bereits bei einem Markterkundungsverfahren im Jahr 2016 den Ausbau angekündigt, anschließend aber nicht umgesetzt habe. Die Fördermittelgeber von Bund und Land hätten die Nichtberücksichtigung der Telekom-Ausbauzusage auch akzeptiert, so Thater. „Dennoch besteht – insbesondere aufgrund der konkreten Ausbauankündigung vom Februar – das rechtliche Risiko, dass die Zuschüsse von Bund und Land zurückgefordert werden könnten.“ Bei 19 Millionen Euro allerdings ein sehr hohes Risiko.
Einige Gemeinderäte scheuen dieses Risko zum gegenwärtigen Zeitpunkt und erhoffen sich mehr Klarheit durch einen Rechtsbeistand. „Wie oft müsse man als Stadt glauben, dass der Private nun tätig wird?“, fragt beispielsweise Claudia Arnold (Grüne). Kurt Wenk (SPD) fürchtet, dass durch die Telekom-Konkurrenz, die voraussichtlich schneller realisiert werden könne als das kommunale Breitbandnetz auch die Akzeptanz bei der Bevölkerung sinken könne. „Was passiert beispielsweise, wenn die geplante Anzahl von 1529 Anschlüssen nicht erreicht werden?“, sieht Wenk die Wirtschaftlichkeitsberechnung des Breitbandnetzes in Gefahr. Noch weiter geht Stefan Tussing (CDU). Er ist der Meinung, dass unabhängig davon, ob die Stadt die Fördergelder zurückbezahlen müsse oder nicht, hier „über 20 Millionen Euro Steuergeld verpulvert werden, um 1500 Anschlüsse herzustellen“. Aus seiner Sicht dürfe das so nicht umgesetzt werden, gerade wo das Geld jetzt an anderen Stellen gebraucht werde. Auch mit Fördergeldern müsse verantwortungsvoll umgegangen werden, so Tussing.
Für die Investition in ein kommunales Breitbandnetz sprechen sich dagegen einmütig die Freien Wähler aus. Mathias Scheer stimmt dem vorgesehenen Breitbandausbau zu, auch wenn der Stadt damit ein Restrisiko bleibe. Die aktuelle Situation zeige, dass Internetzugang schon heute zwingend für einen Wirtschaftsstandort sei. Fraktionssprecher Christoph Schmidt plädierte ebenfalls für das Netz der Stadt, da die Telekom nicht viel tun werde.
Aus Sicht von Bürgermeister Michael Thater ist ein Glasfaserausbau auch die Investition von Steuermitteln wert, denn ein leistungsfähiges Breitband sei eine wesentliche Infrastrukturvoraussetzung für Industrie, Gewerbe und Einwohner. „Ohne die Aktivitäten der Stadt in den vergangenen Jahren hätte die Telekom zweifelsfrei nichts getan, weshalb wir so schon einen ersten Erfolg erzielt haben“, so Thater. „Die Telekom – und mit ihr der Bund – haben diese Aufgabe über eineinhalb Jahrzehnte verschlafen. Gerade die
Corona-Krise zeigt jetzt, wie wichtig leistungsfähige Internet-Verbindungen heute schon sind und umso mehr in Zukunft sein werden.“
Eine Entscheidung über das weitere Vorgehen der Stadt will der Gemeinderat in einer Sondersitzung am Dienstag, 19. Mai, treffen. Diese Sitzung soll dann tatsächlich wieder physisch in der Stadthalle stattfinden. Dort sollen auch die noch offenen Fragen geklärt werden. Bürgermeister Michael Thater kündigte an, dass der stellvertretende Vorsitzende des Zweckverbands Breitband im Kreis Waldshut, Martin Benz, und die zuständige Dezernatsleitung im Landratsamt Caren-Denise Sigg für Rechtsfragen zur Verfügung stehen sollen. Paul Erhart (CDU) regte an, dass auch Vertreter der Telekom eingeladen werden sollen.
Zeitpläne für Glasfasernetz und Telekom-Vectoring
- Der Weg zum kommunalen Glasfasernetz: Beim Bau eines kommunalen Glasfasernetzes kommt in den geplanten zweieinhalb Jahren Bauzeit einiges auf die Stadt zu. So müssen 44 Kilometer Kabelgraben hergestellt werden, in die knapp 87 Kilometer Rohrverbände eingelegt werden. In diese Rohrverbände (kleine Plastikröhrchen) werden dann die Glasfaserkabel eingeblasen. Die einzublasenden Kabel haben eine Gesamtlänge von 562 Kilometern. Maximal wären in den unterversorgten Bereichen 1.529 Hausanschlüsse herzustellen. Verteilt auf das ganze Breitbandnetz werden zudem 109 Kabelschächte gesetzt werden. Hinzu kommen vier Gebäude (sogenannte POPs) zur Unterbringung der aktiven Technik. Mit der europaweiten Ausschreibung der Arbeiten rechnet Bürgermeister Thaer im Herbst, der Baubeginn sollte aber spätestens im Frühjahr 2021 erfolgen, damit die doch sehr umfangreichen Arbeiten auch innerhalb der vom Fördergeber gesetzten Fristen beendet werden können.
- Zeitplan für den Telekom-Ausbau: Wie die Telekom der Stadt im Februar mitgeteilt hat, kann der in 2016 angekündigte Vectoring-Ausbau für das Stadtgebiet von Wehr nach Freigabe durch die Bundesnetzagentur noch in diesem Jahr erfolgen. Bis Ende Jahr sollen demnach die schnellen Anschlüsse verfügbar sein.