Nico Talenta

Auf dem Gelände des Taubenzuchtvereins Wutöschingen ist die friedliche Atmosphäre zum Greifen nahe: Brieftauben gurren leise vor sich hin. Grüne, hochgewachsene Hecken umgeben ihr Zuhause. Das Eingangstor steht offen, und der Rasen riecht frisch gemäht. Das Herz des Geländes bilden die drei gepflegten Taubenschläge des Vereins. Hölzerne Hütten mit einem Außenbereich für die Tiere.

Vereinsvorsitzender Wolfgang Lampert ist gerade noch dabei das Vereinsgebäude zu staubsaugen. Auf dem Gartentisch steht bereits duftender Kaffee und frisches Gebäck. Als er seinen Besuch entdeckt, gibt es keinen Handschlag – Corona verbietet die üblichen Begrüßungsrituale.

Vereinsvorsitzender Wolfgang Lampert.
Vereinsvorsitzender Wolfgang Lampert. | Bild: Nico Talenta

Der 67-Jährige hat schon seit seinem zehnten Lebensjahr mit Brieftauben zu tun. Bereits sein Vater hielt die Vögel im Dachstuhl seines Elternhauses in Wutöschingen. Da half er als kleiner Junge mit, wo er nur konnte. Diese langjährige Erfahrung im Umgang mit Tauben und sein gesammeltes Wissen über sie macht sich schnell bemerkbar. Der gelernte Industriekaufmann erweckt einen sehr kompetenten Eindruck.

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Brieftauben sind standorttreu und haben von Natur aus nur einen einzigen Heimatort, zu dem sie immer wieder zurückkehren. Wie sie ihr Zuhause allerdings finden, ist bis heute ein Rätsel. Diese Eigenschaft sei vor allem in den Kriegen des 20. Jahrhunderts von Vorteil gewesen: „Brieftauben wurden oft aus der Stadt mit an die Front genommen. Wenn dort dann etwas Wichtiges passierte, kamen sie zum Einsatz“, sagt Lampert.

Von dem Ort, an dem sie freigelassen wurden, flogen sie als Überbringer von Nachrichten an ihren Heimatort zurück. „Das ging einfach schneller als die Informationen mit Autos oder Kutschen zu transportieren.“

Anwohnern ein Dorn im Auge

Dieser exzellente Orientierungssinn fällt vielen Menschen in Innenstädten nicht auf. Anwohner beschweren sich oft über die Vögel. Sie seien eklig und würden mit ihrem Kot alles beschmutzen. Der 67-Jährige nimmt dieses Thema sehr ernst: „Immer wieder kommt es vor, dass eine Gruppe Tauben nach einer Hochzeit umherirrend gefunden wird.“ In diesen Fällen handele es sich aber keinesfalls um Brieftauben, wie er sie züchtet, sondern meist um weiße Pfau- oder Haustauben ohne Orientierungssinn.

Sie sind gar nicht in der Lage wieder nach Hause zu finden. Das nötige Gespür verschwand durch die Zucht irgendwann völlig, da diese Tiere nur auf Merkmale wie spezielle Farben hin gezüchtet wurden, erklärt Wolfgang Lampert.

Vereinsvorsitzender Wolfgang Lampert mit einem jungen Brieftaubenküken.
Vereinsvorsitzender Wolfgang Lampert mit einem jungen Brieftaubenküken. | Bild: Nico Talenta

Heimatlos können Tauben schnell zur Plage werden. Außerdem gelten sie gemeinhin als Überträger von Krankheiten. Zur aktuellen Debatte rund um Corona hält Lampert aber fest: „Es ist wissenschaftlich belegt, dass Tauben weder Corona noch die Vogelgrippe auf den Menschen übertragen.“

Weiße Hochzeits-Tauben

Stehen weiße Tauben doch für Symbole wie Liebe, Treue, Glück und Frieden, ist es kein Wunder, dass sie gerade an Hochzeiten sehr gern gesehene Tiere sind. Trotzdem sollte im Gespräch vor der Hochzeit sichergestellt werden, dass es sich um Brieftauben und nicht um Pfau- oder Haustauben handelt. Der Taubenzuchtverein Wutöschingen besitzt selbst ungefähr 80 weiße Hochzeitstauben. „Diese Zuchttiere fliegen zuverlässig zu ihrem Schlag zurück“, verspricht Lampert.

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Neben dem Einsatz als Hochzeitstauben dienen Brieftauben heutzutage vor allem einem Zweck: „Das ist ähnlich wie bei Pferden. Heute ist es die Sporttaube, die das Hobby rund um diese Vögel interessant macht“, sagt der pensionierte Industriekaufmann. Mit einer Fluggeschwindigkeit von rund 70 Kilometern pro Stunde sind für Brieftauben auch weite Strecken in nur wenigen Stunden machbar. Die 160 Kilometer auf der Strecke von Ulm nach Wutöschingen-Schwerzen fliegen die Tiere des Wutöschinger Vereins regelmäßig.

Maximal 600 Kilometer

„Sie können an nur einem Tag bis zu 1000 Kilometer fliegen“, betont Lampert. Die Brieftauben seines Vereins fliegen aus Tierschutzgründen allerdings maximal eine Strecke von 600 Kilometern, verspricht der 67-Jährige. „Das entspricht in etwa der Luftlinie von Wien nach Wutöschingen-Schwerzen.“ Auch im Verbandsgebiet gestrandete Tauben werden in Wutöschingen wieder aufgepäppelt und an ihren Züchter zurückvermittelt.

Ein Taubenschlag des Vereins.
Ein Taubenschlag des Vereins. | Bild: Nico Talenta

Während eines Rundgangs über das Gelände des Zuchtvereins erzählt Lampert, dass der Verein immer auf der Suche nach neuen Mitgliedern ist: „Durch die ganzen negativen Schlagzeilen in den Medien werden Brieftauben zu Unrecht verurteilt. Dabei ist es ein sehr schönes Hobby. Und das für jung und alt.“ Besonders junge Besucher kann Wolfgang Lampert mit den nur wenige Tage alten Brieftauben-Küken verzaubern.

Beim Verlassen des Vereinsgeländes fliegen Tauben am Horizont entlang. Wolfgang Lampert hat sie für ihr tägliches Training aus dem Schlag gelassen. Wohin auch immer sie fliegen, nach Hause finden sie ohne Probleme.

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