Für Ludwig Seeberger ist die Sache klar: Zu viele Lastwagen fahren über die alte Bundesstraße 31 am Seeufer entlang zwischen Singen und Friedrichshafen. Seeberger wohnt an der Radolfzeller Straße in Ludwigshafen, die an dieser Stelle auf Tempo 40 beschränkt ist. Doch die Einführung des Limits hat nach seinem Empfinden nicht viel Entlastung gebracht. Auch Uwe Specht, wie Seeberger Obstbauer in Ludwigshafen und an der Hauptstraße wohnhaft, hat nicht das Gefühl, dass Tempo 40 eine starke Entlastung beim Lärm gebracht habe. Allerdings sei das Zusammenleben von Autofahrern und Fußgängern auf der Straße angenhmer geworden. Und er gibt zu bedenken, dass der Fremdenverkehrsort teilweise auch vom Autoverkehr lebe. Ein Dorf weiter ist die Lage ähnlich. Für Edward Widenhorn, der an der auf 30 Kilometer pro Stunde beschränkten B 31 alt in Sipplingen wohnt, geht es vor allem um den Lastwagenverkehr: "Zum Teil ist es unerträglich, wie die Laster hier durchfahren", sagt Widenhorn, der in Sipplingen sein ganzes Leben verbracht hat. Vor allem nachts würden die Laster "durchrauschen". Ähnlich hört sich das bei Apothekerin Ingeborg Schwieder an, die seit 1985 im Gebäude der Apotheke, ebenfalls direkt an der Ortsdurchfahrt gelegen, wohnt. Vor allem nachts seien viele Fahrzeuge zu schnell unterwegs, sagt sie. Wenn das Limit eingehalten werde, würde es allerdings durchaus helfen.

Zwei Dörfer, ein Problem – das noch dazu die Anwohner an vielen Ortsdurchfahrten teilen dürften. Doch in der Höhe des Limits liegt ein Unterschied zwischen Sipplingen, wo ein Teil der Bundesstraße auf Tempo 30 beschränkt ist, und Ludwigshafen, wo das Limit bei Tempo 40 liegt. Zwischen den beiden Orten liegen nicht nur etwa drei Kilometer, sondern auch die Grenzen zwischen zwei Landkreisen und zwei Regierungsbezirken. Beim Tempolimit sind die beiden Orte Spiegel ihrer jeweiligen Landkreise. Denn auffallend ist: Wer mit dem Auto am Bodensee entlangfährt, muss im Bodenseekreis innerorts meistens auf 30 Kilometer pro Stunde abbremsen. Im Kreis Konstanz sind die meisten Ortsdurchfahrten auf 40 Kilometer pro Stunde beschränkt.

Was ist der Unterschied zwischen Ortschaften in den beiden Landkreisen? Zumindest in Ludwigshafen und Sipplingen ist die Geschwindigkeitsbeschränkung auf der gleichen rechtlichen Grundlage zustande gekommen, dem sogenannten Kurort-Erlass. Dieser erlaubt es, in Erholungsorten das Tempolimit unter die üblichen 50 Kilometer pro Stunde zu senken, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind – auch auf Bundes- und Landesstraßen wie in Ludwigshafen und Sipplingen. Wer das strengere Limit von 30 Kilometern pro Stunde will, darf allerdings höchstens 500 Meter beschränken – wie in Sipplingen geschehen. Wer eine längere Strecke beschränken will, muss mit Tempo 40 leben – wie in Ludwigshafen.

Doch es gibt noch andere Möglichkeiten für ein strengeres Tempolimit an einer Ortsdurchfahrt. Ein prominentes Beispiel dafür ist Hagnau im Bodenseekreis. In dieser Gemeinde war ein Lärmaktionsplan die Grundlage für die Einführung des Limits 2011. Bürgermeister Volker Frede, dessen Vorgänger Simon Blümcke das Limit einst durchgesetzt hat, sagt: "Ich würde es jederzeit wieder tun." Denn nicht nur der Verkehr sei langsamer und leiser geworden. Auch die Verkehrssicherheit sei durch das Tempolimit, das mit Blitzern kontrolliert wird, wesentlich besser geworden. Auch in Sipplingen wird wiederholt die Forderung nach einem Blitzer laut, um das Limit auch kontrollieren zu können. Auch eine Verlängerung der Tempo 30-Strecke wäre ihr sympathisch, sagt Ingeborg Schwieder.

Weil Verkehrslärm auch am westlichen Überlinger See ein Problem ist, wird auch dort ein Lärmaktionsplan erstellt, der strengere Limits bringen könnte. Doch gleichzeitig sind Bundesstraßen als überörtliche Verbindungen dafür da, dass Autos darauf fahren – eine Funktion, die Matthias Weckbach, Bürgermeister von Bodman-Ludwigshafen, betont, wenn man ihn fragt, ob er eine weitere Absenkung des Tempolimits in Ludwigshafen erreichen wolle. Sinnvoller fände er, die Geschwindigkeit in den Nachtstunden auf 30 Kilometer pro Stunde zu drosseln, sagt Weckbach. Und er hofft, dass die Ergebnisse der Lärmaktionsplanung ein solches weitergehendes Limit auch hergeben.

Ähnliche Hoffnungen macht sich Oliver Gortat in Sipplingen – sein Ziel sei, als Ergebnis der Lärmaktionsplanung das 30-Limit über die jetzige Strecke hinaus zu verlängern. Und er wolle das Limit mit einem Blitzer überwachen. Gortat führt als Argument auch die Sicherheit von Fahrradfahrern an, die im Dorf vom Radweg auf die vielbefahrene Bundesstraße geleitet werden und am östlichen Ende des Ortes die Bundesstraße überqueren müssen, um wieder auf den Radweg zu gelangen. Und Gortat geht sogar noch weiter: "Ortsdurchfahrten sollten grundsätzlich auf 30 Kilometer pro Stunde beschränkt werden." Das wäre in seinen Augen auch ein Anreiz für den Durchgangsverkehr, Umgehungen zu nutzen.

Insofern ruhen am westlichen Bodensee große Hoffnungen auf der Ortsumfahrung des Stockacher Ortsteils Espasingen. Denn über diese Straße könnte der Schwerverkehr aus Richtung Radolfzell auf Autobahn 98 und Bundesstraße 31 neu geleitet werden, ohne dass noch mehr Lastwagen durch Espasingen donnern – dessen Einwohner ebenfalls lärmgeplagt sind. Das Planfeststellungsverfahren für diese Umfahrung ist zuletzt ins Stocken geraten, soll aber laut Yvonne Guduscheit, Leiterin der Neubauleitung Singen beim Regierungspräsidium Freiburg, noch in diesem Jahr wieder aufgenommen werden.

Zumindest für den Autoverkehr bringt Bodman-Ludwigshafens Bürgermeister Weckbach noch eine ganz andere Idee ins Spiel: den Ausbau der Bodenseegürtelbahn mit mehr zweigleisigen Strecken – und vor allem elektrisch, was mehr Halte ermöglichen würde, weil elektrische Züge schneller beschleunigen können als dieselgetriebene. Denn in seinen Augen können die Straßen allein die Menge des Verkehrs nicht mehr aufnehmen. Doch der Prüfprozess für den Ausbau der Strecke zwischen Radolfzell und Friedrichshafen steht erst am Anfang.

"Ein Tempolimit bringt richtig viel"

Claus Kiener ist Mitgeschäftsführer des Ulmer Planungsbüros Modus Consult. Er betreut die Lärmaktionsplanung in Sipplingen, Ludwigshafen und Espasingen

Herr Kiener, was ist besser in Ortsdurchfahrten, Tempo 30 oder Tempo 40?

Als Gutachter muss ich da sagen: Es kommt darauf an. Grundsätzlich gilt aber: Wenn man den Verkehr auf Tempo 30 bremst, reduziert das den Lärm um etwa zwei Dezibel, bei Tempo 40 ist es ein Dezibel. Zum Vergleich: Bei einer Verdoppelung der Verkehrsmenge steigt der Schalldruckpegel um drei Dezibel an. Ein Tempolimit bringt für die Anwohner also richtig viel.

Was kann man sich unter den Dezibel-Werten vorstellen?

Da gibt es verschiedene Vergleichswerte. Blätterrauschen im Wald, was wohl die wenigsten als Lärm empfinden würden, hat schon 30 Dezibel, ein Gespräch wie unseres 55 Dezibel. Und bei einer dauerhaften Belastung von 70 Dezibel am Tag beginnt die Gesundheitsgefährdung, das ist auch Stand der Rechtsprechung. Beim Neubau von Verkehrswegen muss in naheliegenden Wohngebieten tagsüber ein Grenzwert von 59 Dezibel eingehalten werden, nachts 49 Dezibel.

Sie erstellen in Ludwigshafen, Sipplingen und dem Stockacher Ortsteil Espasingen einen Lärmaktionsplan. Was kann man damit erreichen?

Zuallererst soll damit Gesundheitsgefährdung verhindert werden – das heißt, Maßnahmen gibt es vor allem bei den kritischen Pegeln ab 70 Dezibel. Allerdings muss man realistisch bleiben. Aus einer vielbefahrenen Durchgangsstraße wird nie ein ruhiges Wohngebiet werden. Wenn der gesundheitsgefährdende Lärmpegel erreicht ist, gibt es die Möglichkeit, Tempo 30 anzuordnen. Das Problem bei vielbefahrenen Ortsdurchfahrten ist aber, dass das Tempolimit der Funktion der Straße eigentlich entgegensteht, denn auf der sollen ja Autos fahren. Wird ein Tempolimit auf einer Hauptstrecke angeordnet, muss es also Teil eines ganzen Pakets sein, zu dem etwa auch sogenannter Flüsterasphalt oder Lärmschutzwände gehören können. Und das Schild allein machte es natürlich auch nicht, ein Tempolimit muss auch kontrolliert werden.

Wird dabei nur der Lärm von Autos einbezogen?

Ja, es gilt das Separationsprinzip. Das heißt, jeder, der Lärm macht, ist auch für dessen Vermeidung verantwortlich. Bei den Berechnungen der Lärmbelastung beziehen wir daher jeweils nur die zu betrachtende Schallquelle wie Straße, Industrie, Flughäfen oder Bahnstrecken ein. Grund: Jeder Betreiber muss die Lärmschutzmaßnahmen für die eigene Lärmquelle übernehmen. Dabei wird die Schiene als weniger störend empfunden, weil Züge weniger Dauerbelastung verursachen als Straßenverkehr.

Der Lärmpegel wird berechnet?

Ja, denn eine Messung kann man beeinflussen, zum Beispiel durch die Platzierung der Mikrophone oder durch die Zeit, in der man misst. Die Mikrophone zeichnen eben auch lachende Fußgänger auf oder Baustellenlärm, der ein paar Tage später nicht mehr da wäre. Bei den Berechnungen gehen wir von der durchschnittlichen Verkehrsbelastung an einer Straße aus, beziehen die Bebauung ein und nutzen bundesweit einheitliche Rechenvorschriften. Das ist jederzeit immer wieder nachvollziehbar – was vor allem die Gerichte fordern. Denn die EU-Richtlinie, auf der die Erstellung von Lärmaktionsplänen beruht, formuliert ein einklagbares Recht eines Bürgers.

Was ist in diesem Zusammenhang von Umgehungsstraßen zu halten?

Das sehe ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Für die Anwohner an einer Ortsdurchfahrt ist eine Umgehung natürlich eine gute Sache. Aber die neue Trasse wird verlärmt. Und eine Umgehung kann nur den Durchgangsverkehr aus einem Ort herausbringen. Sie ergibt daher eher Sinn, wenn dessen Anteil hoch ist. Man muss also in jedem Einzelfall abwägen, ob die Vorteile die Nachteile aufwiegen.

Fragen: Stephan Freißmann