Es sind nur ein paar Schautafeln, gleichwohl liefert die Ausstellung von Dokumenten über die 175-jährige Vereinsgeschichte des Liederkranzes Engen (heute Stadtchor) im Foyer der Engener Sparkasse reichlich Anschauungsmaterial für die Beschäftigung mit der allgemeinen historischen Entwicklung in Deutschland. Wie Siegfried Fleischer, der die Hauptarbeit bei der Sichtung des Vereinsarchivs und der Auswahl der Exponate leistete, bei der Erläuterung der Ausstellung ausführte, spiegelt sich dies schon in den Anfängen des Liederkranzes.
Es ist das Jahr 1842, als zwölf Männer den Verein in einer Zeit gründen, in der Deutschland obrigkeitsstaatlich regiert wird. Und das heißt: Die Bürger haben politisch nicht viel zu melden, tatsächlich aber wächst ihre gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung. Entsprechend entsteht das Bedürfnis, im Staat etwas darzustellen – man will (um im Bild zu bleiben) den Ton zumindest mitbestimmen und also schließt sich das Dutzend zum Liederkranz zusammen.
Wie groß damals das Bedürfnis nach gesellschaftlicher Anerkennung war, verdeutlicht Siegfried Fleischer in einfachen Worten: Wer beim Liederkranz aufgenommen wurde, "der galt als jemand, der es geschafft hat". Die Hürden für die Aufnahme waren hoch, sie erforderte einen lupenreinen Leumund, der einer Überprüfung unterzogen wurde. Und doch schlummerte neben dem honorigen Ambitionen ein widerständischer Geist.
Das wurde im Revolutionsjahr 1848 deutlich. Nach Angaben der Vorsitzenden Ursula Küchler waren die Liederkränzler bei der Volkserhebung im März des Jahres beteiligt, der Geschäftsführer – ein Rechtsanwalt namens Biehler – war demnach einer der führenden Köpfe der Volkserhebung im Hegau und gehörte dem politischen Komitee der Stadt an. "Dass die Vereinsidee im Sinne jener der Volkserhebung lag", so sagte Ursula Küchler bereits in ihrer Rede bei der Jubiläumsfeier, "beweist die Tatsache, dass ein Teil der Vereinskasse für die Ausrüstung des Aufgebots geopfert wurde." Einer der Sänger dürfte nach Einschätzung der Vereinsvorsitzenden allerdings übers Ziel hinausgeschossen sein: Der damalige Kassierer nahm den Rest der Kasse zum Freischarenzug des Revolutionsanführers Friedrich Hecker mit.
Doch es war nicht nur so, dass der Liederkranz im Laufe seiner wechselvollen Geschichte mit am großen Rad der gesellschaftlichen Entwicklungen zu drehen versuchte, er wurde manchmal seinerseits Spielball politischer Interessen. Wie aus dem Vereinsarchiv hervorgeht, gab es im Ersten Weltkrieg ein Singverbot und die Nationalsozialisten lösten zum Zweck der Schaffung einer durchgängig konformen Gesellschaft den Verein auf. Die Wiedergründungen nach den Kriegen wiederum lassen sich als ein gesellschaftlicher Reflex für das Bedürfnis nach Frieden und Wiederbelegung des Zusammengehörigkeitsgefühls interpretieren.
Auch in der jüngeren Geschichte kann man in der Entwicklung des Vereins eine Abbildung gesellschaftlicher Prozesse erkennen. 1969 – ein Jahr, das in seiner Symbolik nicht zuletzt als wichtige Wegmarke für die Emanzipation von Frauen steht – war's im Liederkranz zuende mit der Herrlichkeit. Seither singen auch Frauen mit und sie bilden inzwischen die Mehrheit. Von den 35 Sängerinnen und Sängern sind 27 weiblich.
Angesichts der 175-jährigen Vereinsgeschichte darf man gespannt auf die künftigen Niederschläge gesellschaftlicher Entwicklungen sein. Dass der Verein anpassungsfähig ist, zeigt sich allein am Liedgut. Hip-Hop-Versionen befinden sich zwar nicht im Repertoire des von Musikdirektorin Ulrike Brachat geleiteten Chores – prinzipiell aber kann gesungen werden, was gefällt.
Abriss zur Geschichte
Die Ausstellung im Foyer der Sparkasse Engen ist bis Ende des Monats zu den üblichen Geschäftszeiten zu sehen. Aus Anlass des 175-jährigen Bestehens des einstigen Liederkranzes und heutigen Stadtchors wurde außerdem eine Festschrift herausgegeben, die unter anderem in der Sparkasse ausliegt. Neben der Abbildung historischer Dokumente enthält sie einen Abriss der Vereinsgeschichte, aus dem die Bezüge zur Zeitgeschichte hervorgehen. Die Sparkasse in Engen ist übrigens nur wenig "jünger" als der Liederkranz. Sie wurde im Jahr 1852 gegründet. (tol)