Wenige Situationen verändern ein Leben so sehr wie eine Geburt. Wenn das Leben eines Kindes beginnt, verändert sich das seiner Eltern. Umso besser, wenn eine erfahrene Hebamme auf diese Situation vorbereitet und auch in den Wochen danach hilft, das neue Leben als Familie zu meistern. Doch das wird immer schwieriger, wie Ruth Herold sagt.

Die Hebamme aus Engen nimmt für den Zeitraum ab Oktober keine werdenden Mütter mehr an. Mehrere ihrer Kolleginnen haben ihren Beruf schon aufgegeben. Deshalb hat Herold ihrem Unmut zum Jahresbeginn mit drastischen Worten Luft gemacht.

Schwangere werden keine Hebammen finden

„Die Hebammenversorgung im Hegau ist gerade dabei zusammenzubrechen! Selbst von den Frauen, die sich direkt nach ihrem positiven Schwangerschaftstest um eine Hebamme kümmern, werden nicht mehr alle eine finden!“ ist in ihrem Beitrag bei Facebook zu lesen. Dabei will sie aber nicht nur anprangern, sondern Ideen sammeln: Ein lokales Netzwerk von und für Mütter könnte Hebammen entlasten.

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Zu viel Arbeit, viel Verantwortung und wenig Geld, wenig Nachwuchs. So fasst Ruth Herold die Problematik ihres Berufs zusammen. „Die Situation für Hebammen ist seit Jahren dramatisch“, sagt sie. Seit 1991 arbeitet Herold als Hebamme in Engen. Zu Beginn ihres Berufslebens habe sie zwei Jahre auf einen Ausbildungsplatz warten müssen – so lang waren die Wartelisten. Nachdem sie selbst Kinder hatte, wollte sie nicht mehr Schicht in der Klinik arbeiten und machte sich selbstständig.

Wer sich nicht direkt meldet, bekommt keinen Platz

„Damals haben Frauen sich in der 20. Schwangerschaftswoche gemeldet. Heute müssen sie sich melden, sobald der Test positiv ist. Sonst könnten sie keinen Platz mehr bekommen.“ Woran das liegt? „Burnout, Sabbatjahr, gesundheitliche Probleme… Eine Hebamme nach der anderen hier im Umkreis hört auf, pausiert oder reduziert. Und diejenigen, die noch voll arbeiten, sind völlig überlastet.“

Mara Nikisch ist Vorsitzende des Hebammenverbands Landkreis Konstanz und bestätigt: Besonders im Sommer, wenn viele Kinder geboren werden und einige Hebammen im Urlaub sind, sei es schwer, eine Hebamme zu bekommen. „Eigentlich ist es ein Skandal, dass wir nicht jede Frau betreuen können, denn es steht ihnen zu.“

Je weiter weg von Konstanz, desto schwieriger

In Konstanz sei die Versorgung ganz gut, mit zunehmender Entfernung von der Kreisstadt werde es aber schwieriger. Wenn eine Hebamme fehlt, würden frischgebackene Eltern für zwei bis drei Tage in der Klinik betreut und können sich bei Fragen an den Kinderarzt wenden. Mit etwas Glück gibt es eine Wochenbett-Ambulanz. Aber wie Nikisch sagt: „Letzten Endes sind die Eltern allein gelassen.“

50 bis 60 Frauen betreut Ruth Herold pro Jahr, die meisten wohnen in Engen oder einem Umkreis bis 20 Kilometer. In den vergangenen Jahren habe sie permanent zu viel gearbeitet, der Aufnahmestop soll ihr eine Atempause verschaffen. Sie stellt sich die Grundsatzfrage: „Ein guter Start ins Leben ist die beste Investition in die Gesundheit der ganzen Familie, mit der später hohe Folgekosten eingespart werden können. Warum steht für diese wichtige, prägende Zeit so wenig Zeit, Geld und Personal zur Verfügung?“

Nicht die Versicherung macht es schwer

Mit schwierigen Arbeitsbedingungen meint Ruth Herold nicht die hohen Versicherungskosten, die in aller Munde sind. Denn die betreffen nur die freiberuflichen Hebammen, die Hausgeburten anbieten – und das seien wenige.

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Ihr geht es zum Beispiel um die Gebühren, die sie für die Vor- und Nachsorge bei Krankenkassen abrechnen kann. Für den Hausbesuch nach einer Geburt erhalte sie rund 37 Euro brutto – egal, wie lange sie bei der Mutter sei. Dabei müsse man sich gerade am Anfang viel Zeit nehmen. „An dieser Schnittstelle des Lebens werde ich bezahlt wie ein Hilfsarbeiter.“

Einen geregelten Arbeitstag? Gibt es nicht

Und das trotz viel Flexibilität: „Einen geregelten Arbeitstag von 9 bis 17 Uhr gibt es nicht.“ Eine Geburt lässt sich nicht exakt planen und Ruth Herold ist kurz später vor Ort. Die Wochenenden hat sie sich mit zwei Kolleginnen aufgeteilt. Der Urlaub muss von langer Hand geplant werden, damit Kolleginnen übernehmen können – auch das Vor- und Nachbereiten kostet Zeit.

Mara Nikisch ist die Vorsitzende des Hebammenverbands Kreis Konstanz.
Mara Nikisch ist die Vorsitzende des Hebammenverbands Kreis Konstanz. | Bild: Kirsten Astor

Zu viel ihrer Zeit verbringt Herold im Büro: „Man macht sich gar keine Vorstellung, wie viele Stunden man unbezahlt am Schreibtisch verbringt.“ Ihr Arbeitstag ist straff: Morgens mache sie Hausbesuche, mittags arbeite sie am Schreibtisch und nachmittags/abends kommen Mütter zu ihr in die Praxis, wo auch Kurse stattfinden.

Ein Beitrag, der etwas bewirkt?

Ruth Herold schrieb sich ihren Unmut spontan von der Seele. Der Facebook-Beitrag stieß schnell auf viel Resonanz: 200 Menschen teilten ihre Worte. Herold sieht den Beitrag als Startschuss. „Ich möchte dazu einladen und auffordern, kreativ zu werden und niederschwellige Ideen zu sammeln“, sagt sie. Ihr Traum: Dass Frauen einander unterstützen. „Je besser das Wohlbefinden der Frauen ist, desto weniger Probleme müssen Hebammen lösen“, sagt Herold.

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Damit eine Frau in Ruhe mit ihrem Baby im neuen Leben ankommen kann, sei es schon eine große Hilfe, wenn jemand mal Essen vorbei- oder das Geschwisterkind in die Kita bringt. Allgemein fehle es vielen Frauen an Sicherheit: „Viele haben vergessen, dass sie innerlich wissen, wie sie ein Kind bekommen und versorgen. Da habe ich als Hebamme mit ihnen einen weiten Weg, bis sie erkennen: Ich kann es ja eigentlich.“

Konkrete Ideen für die Zukunft

Mara Nikisch vom Hebammenverband befürwortet ein Ampelsystem: Statt dass wie bisher alle Hebammen im Landkreis online nur aufgelistet werden, sollen Hebammen ihre Kapazitäten melden und damit zu einer besseren Übersicht beitragen. Mehr Hebammenschulen könnten dazu beitragen, dass der Beruf auch im ländlichen Raum attraktiver werde – die nächstgelegene Schule sei in Freiburg, viele bleiben danach in einer Großstadt.

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„Doch um finanzielle Anreize kommen wir nicht herum“, sagt Nikisch. Auch ein höherer Personalschlüssel könne dazu beitragen, dass wieder mehr Menschen Hebamme werden möchten – und es dann bleiben. Ob die Akademisierung des Hebammenberufs, die Bundesgesundheitsminister Jens Spahn angekündigt hat, ihrem Berufsstand helfen wird, können die beiden Hebammen Nikisch und Herold noch nicht sagen – das habe Vor- und Nachteile.

Das Recht auf eine gute Geburt

Trotz vieler Stolpersteine ist Ruth Herold zuversichtlich. Dass aus den kühlen Operationssälen der Vergangenheit heute gemütlichere Kreissäle geworden sind, sei Frauen zu verdanken. Deshalb wolle sie Leute ermutigen, wieder für eine gute Geburt einzustehen und sich dafür an verantwortliche Politiker und Krankenkassen zu wenden. Denn: „Das ist ein echtes Menschenrecht. Da hängt so viel dran.“

Online-Petition soll zu Aufmerksamkeit verhelfen

  • Die Macher: Georg Häußler und seine Frau Ulrike sind zum neuen Jahr Eltern geworden und wissen aus eigener Erfahrung, wie schnell man sich um eine Hebamme kümmern muss und wie wichtig deren Hilfe ist. „Wir haben schon in der siebten Schwangerschaftswoche Hebammen abtelefoniert, bevor wir beim Frauenarzt waren“, berichtet Georg Häußler. Dabei hätten sie noch Glück gehabt, Ruth Herold zu finden. Weil er deren Online-Beitrag ebenso bemerkenswert fand wie die große Resonanz darauf, habe er eine Online-Petition erstellt. „Es geht uns darum, Aufmerksamkeit zu schaffen“, erklärt er. Denn Hebammen seien ein wichtiger Teil der Gesundheitsversorgung vor Ort.
  • Die Reaktion: Die Petition ist an den Gemeinderat Engen gerichtet und damit auch an Johannes Moser als Bürgermeister der Gemeinde. Das Problem sei bekannt und immer wieder Thema, erklärt er. „Wir haben zu wenig Hebammen im Landkreis.“ Doch die Gemeinde könne da wenig, beziehungsweise gar nichts, richten und bewirken: „Es ist im Sozialgesetzbuch so geregelt, dass uns das gar nichts angeht“, sagt Moser. Krankenkasse und Verbände seien für den Bedarf an und die Entlohnung von Hebammen zuständig. Die Petition würde die Gemeinde daher zur Kenntnis nehmen. „Wir können das an die Gesundheitsminister von Land und Bund sowie die Krankenversicherungen weiterleiten, mehr aber nicht.“ Moser empfiehlt Betroffenen, sich selbst an ihre Krankenkasse zu wenden. Dort würden auch Experten sitzen, die offene Fragen beantworten können – auch das könne die Gemeinde nicht übernehmen. Das Siegel der familienfreundlichen Kommune betreffe besonders die Kinderbetreuung, die im Verantwortungsbereich der Gemeinde liege. Bei künftigen Fragen brauche es aber keine Petition, sondern einfach einfach eine Mail.