Wie selbstverständlich zeigt Yara den Hubbel auf ihrer Brust. „Das ist ein Port, da kommen dann die Schläuche dran“, erklärt das sechs Jahre alte Mädchen. Seit November ist klar, dass Yara Assis Jordan einen Hirntumor hat. Einen Blödmann im Kopf, wie ihn zuerst ein Arzt und seitdem die ganze Familie genannt hat. Einen Blödmann, der da nicht hingehört, und der sich nicht einfach wegoperieren lässt. Deshalb hat Yara nun einen Port, über den die Medikamente der Chemotherapie in ihren Körper gelangen. Deshalb hat die Familie aus der Singener Südstadt nun einen Arzt- und Kliniktermin nach dem anderen – und einen langen Leidensweg vor sich.
Carin Assis Jordan ist Yaras Mutter. Die 39-Jährige spricht über den ersten Verdacht, die schreckliche Erkenntnis sowie die Mischung aus stark sein wollen und Tränen, die seitdem ihren Alltag prägt.

Tumor drückt auf Motorik der linken Körperhälfte
Dass Yara krank ist, zeigte sich zuerst an ihrer linken Hand. Denn die kribbelte häufig, klagte das Mädchen, und funktionierte irgendwie nicht mehr richtig. Als Eltern und Betreuer im Kindergarten darauf achteten, fiel ihnen auf: Yara vermied es, die linke Hand zu nutzen, und fing zum Beispiel Bälle nur mit rechts. Also ging die Familie zum Kinderarzt, der sie ans Krankenhaus verwies. Dort wurde bei einer Magnetresonanztomographie (MRT) ihr Körper durchleuchtet, um zu klären, ob Wirbelsäule oder Nerven verletzt sind.
Der Radiologe meinte, nachdem nichts an der Wirbelsäule zu finden war, ob man nicht grad auch ein MRT vom Kopf macht, wenn sie schon mal sediert ist“, sagt Carin Assis Jordan. Als die Oberärzte versammelt das Ergebnis der Untersuchung ansahen, habe sie bemerkt, dass etwas nicht stimmte. „Da wurde es mir schon bisschen anders“, sagt sie. Das ungute Gefühl bestätigte sich, als der Arzt erklärte: In Yaras Kopf sei etwas, das da nicht hingehört. Details müssten die Spezialisten in Freiburg klären.
Eine Fahrt mit dem Krankenwagen und einige Untersuchungen später zeigte eine Biopsie, was da genau in Yaras Kopf ist: „Das Bild zeigte einen Tumor im Kopf, der in etwa die Form eines Golfballs hat“, erinnert sich die 39-Jährige. Eine Operation wurde schon früh ausgeschlossen, weil der Tumor zu nahe an Nervenbahnen liegt.

Eltern sollen vor ihr nicht weinen
Als die dreifache Mutter das sagt, sitzt Yara direkt neben ihr. Die beiden erzählen in einem Videotelefonat von den vergangenen Monaten, die ihr gesamtes Leben verändert haben. Yara weiß, dass sie krank ist. „Sie soll wissen, was los ist“, erklärt Carin Assin Jordan. Doch es sei schwer, die Details kindgerecht zu vermitteln. Ärzte, Mitarbeiter des sozialen Diensts und Psychologen würden sie dabei gut begleiten – auch damit die Eltern selbst lernen, damit umzugehen. „Ich soll vor Yara nicht weinen“, hätten die Betreuer ihr unter anderem geraten. Ihre Gefühle zeigt sie daher besonders auf ihrem Blog (siehe Info).
Schon vor Corona sozial isoliert – und „jetzt ist es ganz schlimm“
Viele Einschränkungen merkt Yara unmittelbar. Die linke Hand funktioniert noch ein wenig schlechter als im Herbst, das linke Bein hinkt. Dazu kommt soziale Isolation: „Schon vor Corona durften wir kaum soziale Kontakte haben“, sagt ihre Mutter, weil Yaras Immunsystem geschwächt ist. „Jetzt ist es ganz schlimm“, denn das Mädchen darf ihre Kindergarten-Freunde auch nicht mehr einzeln sehen. Sobald sie das Haus doch mal verlässt, trägt sie einen Mundschutz. „Die waren schon vor Wochen kaum zu bekommen“, sagt Carin Assis Jordan bekümmert. Dabei zählt Yara zur Risikogruppe.

„Es ist für alle eine Herausforderung“, sagt die 39-Jährige. Ihr Mann sei freigestellt, damit er sich bei der Arbeit als Heizungsmonteur nicht mit Corona ansteckt und Yara gefährdet. Sie selbst ist eigentlich Sekretärin in der Waldeck-Schule und selbstständige Tortenbäckerin, doch bei der Arbeit sei sie krank geschrieben und die Selbstständigkeit habe sie aufgegeben. Und die beiden anderen Töchter, drei und 17 Jahre alt, sind im Alltag mehr gefordert – „die Große bringt die Kleine zum Beispiel in die Kita, wenn wir in Freiburg sind“, erklärt sie.
Auch finanziell bringe die Krankheit Probleme mit sich: „Das summiert sich ganz schön“, sagt die Mutter über Fahrten ins Krankenhaus und Eigenanteile bei Medikamenten oder Therapie. Von der Ergotherapie, die künftig geplant ist, würden beispielsweise nur 75 Prozent der Kosten übernommen.
Eigene Haare werden zur Perücke
Doch die Sechsjährige versucht wie ihre Familie, positiv zu bleiben: Als Yara ihren langen Zopf abschneiden ließ, spendete sie die Haare an ein Projekt, das krebskranken Mädchen daraus eine Perücke bastelt. Während sie das erzählt, lächelt sie. Sie lächelt auch, als ihre Mama erklärt, dass sie selbst später so eine Perücke bekommen soll.
Wenige Tage nach ihrem sechsten Geburtstag begann am 24. Januar die Chemotherapie, wegen der die Haare ausfallen. „Momentan sind wir noch in der schlimmsten Phase, der Intensivtherapie“, erklärt die Mutter. Jede Woche fährt Carin Assis Jordan mit Yara nach Freiburg: Manchmal gibt es nur eine kleine Spritze, alle drei Wochen eine große Chemo. So sammeln sich mit der Zeit die Kuscheltiere, die Yara von Freunden und Familie geschenkt bekommt. Und so sammeln sich die Mutperlen, die sie für einen Pieks oder eine Chemo erhält. Über 30 Perlen hat sie schon.
Die Schäden werden voraussichtlich bleiben
Die Chemotherapie ist insgesamt auf 18 Monate angesetzt und soll den Blödmann in den Winterschlaf schicken, wie die 39-Jährige es formuliert. „Wir wollen es schnell durchziehen, um einen Rollstuhl zu verhindern.“ Denn die Schäden, die sich derzeit ausbilden, werden voraussichtlich bleiben.
Pläne für die Zukunft schmiedet die Familie fleißig weiter: Im September soll Yara eingeschult werden. „Sie wird dann immer mal wieder im Unterricht fehlen, wenn sie zur Chemo muss, doch so kann sie sich wieder mit Gleichaltrigen treffen“, sagt ihre Mutter. Und wenn der ganze Alptraum, wie sie es nennt, vorbei ist, will die Familie erstmal in den Urlaub fahren – sofern dann noch Geld dafür übrig ist.
Erfahrungsbericht online
Carin Assis Jordan hält auf ihrer Webseite die Geschehnisse der vergangenen Monate fest. Die Idee entstand, nachdem viele Freunde nachfragten, wie es Yara und der Familie geht. „So kann ich nun mit allen teilen, was bei uns passiert“, erklärt sie. Außerdem sei der Blog auch für sie eine Möglichkeit, die Geschehnisse zu verarbeiten. „Indem ich schreibe, gebe ich mir selbst Kraft.“ Die Freunde, die dort mitlesen, wollen der Familie beistehen und haben einen Spendenaufruf gestartet – von den ersten Spenden konnte Carin Assis Jordan jüngst eine Klinikrechnung über 1700 Euro begleichen, wie sie erfreut berichtet.
Die persönlichen Worte der Mutter finden Sie online unter
www.carin-assis-jordan.de/blog-blödmann-im-kopf