Fremdgehen? Das passt nicht, findet er. „Bekanntgehen trifft es eher“, sagt Norbert und lächelt. Mit seiner Wortschöpfung beschreibt der 50-Jährige, was passiert, wenn er mit seiner Frau Gabi die Oase 37 in Engen betritt. Vor Corona besuchte das Ehepaar zwei bis drei Mal im Monat den Swingerclub am Rande des Industriegebiets. Seit acht Jahren sind Gabi und Norbert (Namen von der Redaktion geändert) Stammgäste. „Das hat nicht nur unser Sexleben bereichert“, berichtet Gabi. „Wir haben hier im Laufe der Jahre echte Freunde gefunden.“ Man besucht und beschenkt sich an Geburtstagen, fährt zusammen in den Urlaub – und verabredet sich zum Swingen.

Zumindest war das bis Mitte März der Fall, denn seither ist die Oase geschlossen. Ramona, die den Club leitet, berichtet, dass sie staatliche Unterstützung erhalten habe. Derzeit wartet sie darauf, eine zweite Soforthilfe zu beantragen. Wann sie die Räumlichkeiten wieder öffnen kann, ist noch unklar.

Ein Treffen in Vor-Corona-Zeiten

Als wir sie im Frühling in Engen besuchen, sind die Türen noch offen. Gleich zu Beginn des Treffens erzählt Ramona, dass Gäste am Eingang stets von ihr persönlich begrüßt werden. Die 53-Jährige hat bei Siemens gearbeitet, bis sie sich vor fast zehn Jahren selbstständig machte. Mittlerweile ist sie Clubbesitzerin, Kassiererin und Türsteherin in Personalunion.

„Paare zahlen bei uns je nach Wochentag zwischen 50 und 70, Herren zwischen 90 und 100 Euro“, berichtete die großgewachsene Frau. „Für Damen kostet der Eintritt nur 15 Euro.“

Die Mischung muss stimmen

Ramona achtet auf ein gesundes Mischungsverhältnis: „Es sollten nie mehr als zwei Herren pro Dame da sein“, sagt sie. Mindestens genauso wichtig wie die Geschlechterverteilung: ein in jeder Hinsicht gepflegtes Äußeres. „Hygiene und Sauberkeit werden bei uns groß geschrieben. Und wer im alkoholisierten Zustand klingelt, braucht nicht erwarten, dass ich ihn hereinlasse.“

Ramona leitet den Engener Swingerclub Oase 37.
Ramona leitet den Engener Swingerclub Oase 37. | Bild: Tesche, Sabine

Die wichtigste Regel, die Ramona ihren Gästen am Eingang mit auf den Weg gibt, lässt sich allerdings in einem Wort zusammenfassen: Kommunizieren. „Lächle die anderen an, suche das Gespräch“, rät Ramona. Denn in einem Swingerclub gibt es keine Garantien: „Wer niemanden anspricht, braucht sich nicht wundern, wenn er alleine bleibt.“

Das erste Mal

Wie unangenehm es sein kann, wenn man Ramonas Rat nicht befolgt, konnte Gabi bei ihrem ersten Besuch am eigenen Leib erfahren. „Ich erinnere mich noch lebhaft daran“, sagt die schlanke Frau mit den hellen Haaren. Ein Jahr lang hatte Norbert Überzeugungsarbeit geleistet. „Aber als es dann soweit war, saß ich den ganzen Abend nur mit verschränkten Armen und Beinen da und habe mich nervös umgesehen“, sagt Gabi.

Zimmer, Nischen und Kojen mit Betten in allen Größen. Kondome in Glaskugeln. Stapelweise Decken und überall blaue Matten, wie man sie aus dem Sportunterricht an der Schule kennt. Heute kann sie darüber schmunzeln, aber damals habe sie diese ungewohnte Kulisse ziemlich eingeschüchtert, erzählt Gabi. Auch die Geräusche. Denn obwohl die Räumlichkeiten stark abgedunkelt sind, war hörbar, wie sich die anderen Gäste des Hauses vergnügten.

Der Club verfügt auch über eine Biolicht-Sauna.
Der Club verfügt auch über eine Biolicht-Sauna. | Bild: Oase 37

Umso dankbarer war Gabi in diesem Moment dafür, dass es in der Oase 37 einen Kennenlernraum mit Bar und einen Essbereich gibt – geschützte Orte, an denen kein Geschlechtsverkehr stattfindet.

Das in einschlägigen Dokus verbreitete Bild vom Swingerclub, in dem jede freie Fläche für Sex genutzt wird, entspreche nicht der Realität, sind sich Gabi, Norbert und Ramona einig. „Ich lege auch Wert darauf, dass die Gäste im Essbereich und dem Aufenthaltsraum nicht nackt herumlaufen“, stellt die Clubbesitzerin klar.

Frivoles Ausgehen liegt im Trend

Stattdessen sei erotische Kleidung erwünscht. Kein Problem für die Gäste, wie Ramona berichtet. „Bei vielen steht gar nicht unbedingt der Sex im Vordergrund, sondern das, was ich als frivoles Ausgehen bezeichnen würde.“ Gerade jüngere Gäste hätten Spaß daran, sich sexy zu kleiden. „Hier hat man mal die Möglichkeit, Tattoos, Piercings oder schöne Unterwäsche zur Schau zu stellen“, erklärt sie.

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Gabi nickt bestätigend. Nach ihrem ersten Besuch habe sie sich Schritt für Schritt in die Swinger-Szene vorgewagt, erzählt die 48-Jährige. „Irgendwie hatte mich doch die Neugier gepackt. Nachdem wir zum ersten Mal hier waren, bin ich morgens aufgewacht und habe zu Norbert gesagt: ‚Ich will das noch einmal ausprobieren‘“, erinnert sie sich.

Auszeit vom Alltag

Heute ist sie dankbar, dass sie sich nicht entmutigen ließ. Für das Ehepaar, das seit 25 Jahren zusammen, seit einem Jahr verheiratet ist und in einem kleineren Ort im Landkreis Konstanz wohnt, haben sich die Ausflüge zur Oase zum liebgewonnenen Ritual entwickelt. „Davor nehme ich ein ausgiebiges Bad und packe mir ein passendes Outfit ein“, erzählt Gabi und lächelt.

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In Engen angekommen, genießt das Paar, sich von einer anderen Seite zeigen zu dürfen. „Als 48-Jährige würde ich wahrscheinlich schief angeguckt, wenn ich am Wochenende in eine Disko oder einen Club gehen würde“, mutmaßt Gabi. Im Swingerclub fühlt sie sich dagegen angenommen. Und: begehrenswert.

Ob und mit wem Gabi und Norbert dann tatsächlich im Laufe eines Abends „auf die Matte gehen“ – wie Sex im Swinger-Jargon umschrieben wird – hängt stark von der gegenseitigen Sympathie ab: „Früher hätte ich vielleicht gedacht, dass großgewachsene Männer mit Sixpack besonders begehrenswert sind“, sagt Gabi. „Heute ist mir die Ausstrahlung wichtiger als das Aussehen.“

Gerade im Sommer beliebt: Die Terrasse.
Gerade im Sommer beliebt: Die Terrasse. | Bild: Oase 37

„Die Chemie muss stimmen“, stimmt Norbert zu. Ihm ist wichtig, dass man sich ungezwungen unterhalten kann. „Es gab schon tolle Abende, wo wir bis spät in die Nacht zusammen mit anderen Gästen auf der Terrasse gequatscht haben. Auf einmal merkt man dann: ‚Oh, jetzt macht der Club bald zu und wir hatten noch gar keinen Sex‘“, sagt der 50-Jährige und schmunzelt.

Ein Drittel neue Gäste jede Woche

Norbert schätzt die entspannte Atmosphäre in der Oase, findet es aber auch aufregend, dass er hier neue Leute kennenlernt. „Etwa ein Drittel der Gäste, die während einer Woche hier vorbeischauen, kommt zum ersten Mal zu uns“, bestätigt Ramona. „Von jungen Erwachsenen Anfang 20 bis hin zu Senioren: Wir haben ein breites Altersspektrum.“

Zum Teil nehmen die Gäste stundenlange Anfahrtswege auf sich, berichtet die Clubbesitzerin. „Vielleicht, weil man vermeiden will, dass man Bekannte trifft.“ Nur könne es natürlich sein, dass der eigene Nachbar genauso denkt, schiebt sie hinterher und lacht.

Im Barbereich können Gäste miteinander ins Gespräch kommen.
Im Barbereich können Gäste miteinander ins Gespräch kommen. | Bild: Oase 37

Generell beobachtet Ramona aber, dass Clubs wie ihrer immer populärer werden. In Konstanz und Radolfzell gebe es ähnliche Treffpunkte, ebenso auf der anderen Seite der Schweizer Grenze. Von der „Nacht der Begierde“ bis hin zur „Frech Frivolen Frühstücksparty“ bieten sie die unterschiedlichsten Mottopartys an. Auch Gabi und Norbert unternehmen gerne Ausflüge in die Umgebung.

Fesselspiele im Nachbarland

„Ein besonderes Erlebnis hatten wir in der Schweiz“, erinnert sich Norbert. Sie seien mit einem „Einzelherrn“ – einem Mann ohne Partnerin – ins Gespräch gekommen, der ihnen von seiner Vorliebe für Fesselspielchen berichtet habe. So überzeugend, dass Gabi sich schließlich bereit erklärte, sich die Augen verbinden und fesseln zu lassen.

Selbst auf sanfte Berührungen habe seine Frau höchst sensibel reagiert, berichtet Norbert von der auch für ihn spannenden Erfahrung. „Umgekehrt hätte ich mich nie auf so etwas eingelassen, wenn ich nicht gewusst hätte, dass Norbert dabei ist“, betont Gabi.

Keine Probleme mit Eifersucht?

Beide sind sich einig darin, dass solche Erlebnisse sie als Paar stärken. Und was ist mit dem Thema Eifersucht? Im Swingerclub kein Problem, meint Norbert: „Außerhalb würde ich sauer werden, wenn jemand anderes Gabi anfasst. Wenn wir aber in einen Club gehen, ist das eine gemeinsame Erfahrung. Da gönnt man dem anderen seinen Spaß.“

Gibt es für die beiden auch sexuelle No-Gos? „Wir würden niemals etwas mit jemandem im Alter unserer Kinder anfangen“, sind sich Gabi und Norbert einig. Apropos Kinder: Im Gegensatz zu den meisten im Familien- und Freundeskreis wissen die beiden Söhne von dem exotischen Hobby ihrer Eltern.

Der Reiz des Geheimen

Dass sie ihre Leidenschaft vor dem Freundes- und Bekanntenkreis geheim halten, finden die beiden übrigens nicht unbedingt unangenehm: „Dieses ‚wenn die bloß wüssten‘ hat auch seinen Reiz“, erzählt Norbert. Einmal sei es vorgekommen, dass Gabi und er am Eingang des Clubs unerwartet einen Bekannten aus dem gleichen Ort getroffen hätten. „Als ich ihn erkannte, ist mir das Herz in die Hose gerutscht“, erinnert sie sich.

„Mir war das so peinlich, dass ich direkt wieder kehrtmachen wollte.“ Dann habe sie aber realisiert, dass man sich in einem geschützten Raum befindet. „Hier darf man anders sein, hier darf man sich ausprobieren.“ So kam es, dass es trotz allem ein schöner Abend für alle wurde. Und was passiert, wenn man sich heute zufällig am Ort beim Einkaufen begegnet? „Man grüßt sich und nickt sich wissend zu“, sagt Norbert und lächelt.