Frau Schiftan, in unserer neuen Serie geht es um Lust und Liebe. Kann das eine ohne das andere funktionieren?

Ja, unbedingt. Es gibt viele Leute, die leben das ihr Leben lang und können extrem gut zwischen Körper und Emotionen trennen. Die einen praktizieren das absichtlich so. Andere leiden darunter, dass sie es nicht zusammenbringen. Heute Morgen hatte ich gerade einen Klienten, der seine Partnerin über alles liebt, aber merkt, er kann sie nicht erregend finden. Dieser Mann leidet sehr darunter, weil er Lust und Liebe mit dieser Frau zusammenbringen möchte.

Wie können Paare das hinbekommen?

Das ist gar nicht so einfach zu beantworten. Zunächst geht es um das Verständnis. Dann müssen wir uns anschauen, warum empfindet er das so? Hat er das so gelernt? Will er es verändern? Dann geht es in ganz vielen kleinen Schritten und Übungen dahin, Intimität und Nähe auszuhalten. Beispielsweise mit Berührungs- und Bewegungsübungen.

Viele Paare in einer langjährigen Beziehung beklagen, dass die Lust immer weniger wird oder ganz verschwindet. Warum ist das so? Was kann man dagegen tun?

Dass die Lust in einer langjährigen Beziehung verschwindet, ist nicht per se so. Das kommt wieder sehr darauf an, wie man Sexualität gelernt hat. Wenn man Sex vor allem mit Emotion verbindet, also wenn man aufgeregt ist, weil man den anderen vermisst hat, der andere noch unbekannt ist, dann ist man gefährdeter, dass es mit der Zeit abnimmt. Dann liegt der Antrieb zum Sex im Neuen, und je bekannter das Neue wird, desto weniger Antrieb ist da. Dann fehlt einem sozusagen der Motor. Wenn aber Paare lernen, dass jeder Einzelne Erregung herstellen und davon profitieren kann, dass das Gegenüber bekannt ist, dann werden diese Paare Jahrzehnte lang ein fantastisches Sexleben haben.

Welches Verhältnis spielen dabei Nähe und Distanz?

Paare kommen sich oft sehr nahe und gehen zu wenig wieder auseinander. Man hört den anderen furzen, sich übergeben etc., gleichzeitig investiert man nicht mehr in die Distanz. Man geht nicht mehr mit Freunden oder Freundinnen weg, man erzählt nichts Neues mehr. Das ist häufig mit Faulheit verbunden, weil man sich nicht überlegt, wie man die Partnerschaft interessant gestalten kann. Dazu kommen Vorhaltungen, dass der andere nichts tun würde und somit man selber auch nichts tun muss.

Wie kommt man da raus?

Sich nicht gehen zu lassen, das ist ein Aspekt. Aber sich quasi nur hübsch zu machen, das reicht nicht. Ich muss wollen, muss mir überlegen, was könnte den anderen heute erfreuen, was könnte ihn interessieren. Interessiere ich mich wirklich für den anderen, was er tagtäglich erlebt, mit was er sich beschäftigt oder bin ich in meiner eigenen Routine verhaftet. Eine wichtige Technik sind Verabredungen zwischen Paaren, auch zum Sex. Erweiternd, ich weiß, das klingt ein wenig absurd, könnte man sich vorfreuen und nicht von vornherein sagen, das wird eh nichts.

Ich sollte meine Perspektive ändern.

Da sind wir wieder bei dem Thema sich Mühe geben. Investiere ich wirklich etwas, damit es ein gutes Erlebnis werden kann. Gebe ich Arbeit rein oder sehe ich es so: Sexualität oder Anziehung sind entweder da oder nicht da. Ich kann sie verändern – aber nur aktiv.

Das klingt positiv.

Ich finde total. Nur die meisten Menschen in Langzeitbeziehungen haben eine sehr passive Haltung, weil es für sie ganz klar zu sein scheint, dass die Lust nach einigen Jahren verloren geht. Aus dieser Haltung heraus haben sie das Gefühl, sie können nicht drauf einwirken. Und das ist völlig absurd, denn wenn ich nicht an der Liebe und Sexualität arbeiten würde, dann würde sie über die stinkenden Socken massiv flöten gehen. Nehmen wir als Beispiel unsere Jobs, da investieren wir auch täglich Arbeit hinein, machen uns gezielt Gedanken und wollen etwas bewegen.

Welchen Einfluss haben Hormone im zunehmenden Alter?

Die Pille, die Menopause, die Kinder haben Einfluss auf das Lustempfinden. Es ist nur so, je instabiler der eigene Faden zur Sexualität ist, zum eigenen Körper, zum Spüren, desto größer und schwerwiegender ist dieser Einfluss.

Sind die Paare aus Ihrer Beratungserfahrung in sexueller Hinsicht wirklich offen zueinander, äußern sie ihre sexuellen Wünsche?

Nein, die meisten tun das nicht. Nun muss man unterscheiden. Sinn macht es sicher nicht, dem Partner jegliche sexuellen Fantasien zu erzählen, warum sollte mein Partner wissen, wenn ich mich selbst befriedige, welche Fantasien ich dabei habe. Was jedoch wichtig ist, dem Partner seine Bedürfnisse mitzuteilen. Traut man sich das nicht, hat der Partner natürlich auch keine Chance, durchaus an diesen Fantasien Freude zu entwickeln.

Warum trauen sich viele nicht?

Ganz viele Menschen sind total irritiert über ihre eigenen sexuellen Wünsche und haben sehr große Ängste, wenn sie das dem anderen sagen, er sie abwerten, auslachen oder sogar verlassen würde. Auch wenn sie etwas als nicht gut empfinden, sagen viele nichts, weil sie bereits die Erfahrung gemacht haben, dass der Partner, nachdem sie es angesprochen hatten, total verletzt war.

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Liegt der Schlüssel dann in der richtigen Kommunikation?

Den Hauptschlüssel finde ich dort, je mehr ich meinen eigenen Körper kenne und ihn so mag, wie er ist, und gerne mit dem spiele, desto weniger bin ich abhängig, dass der andere diesen einen Millimeter trifft. Die Paare sollten sich durchaus auch mal die Folgen überlegen, wenn sie nicht über ihre Sexualität reden. Entweder sie haben dann keinen Sex mehr oder leben ein Sexleben, das ihnen nicht gefällt. Um über Sexualität zu sprechen, bietet sich beispielsweise ein Spaziergang an. Man sollte den Partner vorab informieren, worüber man sprechen will. Positiv ist sicher zu äußern, was man will und nicht, was man nicht will. Dass der andere sozusagen eine Hand gereicht bekommt!

Menschen, die eine Trennung hinter sich haben und nun einen neuen Partner suchen, haben es in Corona-Zeiten nicht unbedingt einfacher. Was raten Sie ihnen, wie sie jetzt vorgehen können?

Grundsätzlich gilt, dass es keinen Sinn macht, zu warten, bis Corona vorbei ist. Wie ja ganz viele Stimmen sagen, ist das die neue Normalität. Man sollte sich aktiv damit auseinandersetzen, wie steht man diesem Thema gegenüber, welche eigenen Grenzen zieht man. Wenn man zum Beispiel Online-Dating macht, dass man erst miteinander telefoniert, dann Videotelefonie macht, und wenn man dann immer noch überzeugt ist, sich zu sehen, dass man sich trifft. Es ist eine langsamere Annäherung. Die Auswirkungen von Corona können zu etwas Gutem genutzt werden. Egal wie bescheuert die Welt außen ist, wenn ich mich gut adaptieren kann, dann kann ich viel Gutes daraus ziehen, was ich sonst wahrscheinlich gar nicht bereit gewesen wäre, zu machen.

Wann ist ein guter Zeitpunkt, eine Paartherapie zu beginnen?

Immer! Am allerbesten am Anfang. Paartherapie, das bemerke ich immer wieder, sehen die meisten als letzte Chance. Wenn wir es gar nicht hinkriegen, dann gehen wir in Paartherapie. Wenn zwei Menschen aufeinandertreffen, haben diese immer Themen miteinander. Und je früher und je achtsamer man diese Themen angeht, desto wahrscheinlicher ist es, dass diese gar nicht so gravierend werden.

Um die Beziehung und das Liebesleben dauerhaft frisch zu halten, gibt es viele Möglichkeiten. Anregungen geben zum Beispiel Bücher und spannende Spiele - diese finden Sie zum Beispiel auf www.daniaschiftan.ch und doch-noch.de.