Wie komme ich in echten Kontakt mit meinem Partner?
Ich muss mit mir selber in Verbindung sein und mich selbst spüren können. Das bedeutet: Ich fühle in mein System hinein und finde heraus, was ich gerade spüre und was mich bewegt. Es ist eigentlich ganz einfach. Das, was mich bewegt, darf ich sagen. Und vielleicht ist das das Schwierigste – mir selbst diese Erlaubnis zu geben. Dann können sich Verletztlichkeit und Echtheit als Haltung in der Beziehung kultivieren. Wir sind als Paare darauf konditioniert, Probleme zu lösen. Wir müssen aber von der Lösungsebene wegkommen. Schnelle Lösungen bringen uns meist nicht weiter, weil wir uns so gern in ihnen verstricken. Was Paaren stattdessen wirklich gut tut, ist: sich zu spüren. Dann erst kann ich hören, was meine Partnerin sagt und das wiederum erzeugt Nähe. Und aus der Nähe entstehen die guten Lösungen. Gute Lösungen brauchen Zeit und sind tief und nachhaltig.
Was mache ich denn, wenn mein Mich-mitteilen beim Partner aber nicht ankommt?
Paare müssen das üben! Das ist der Aufbau einer echten Beziehungskultur. Denn eigentlich kommt beim Partner alles auch an, vorausgesetzt, er hat auf Empfang geschaltet. Wenn sich jemand wirklich für den anderen interessiert, dann hört er auch, was dieser von sich erzählt. Und wenn jemand seinen Empfang nicht freischaltet, ist die Beziehung stark gefährdet. Hierfür gibt es ganz einfache, aber hoch wirksame Übungen wie z.B. kurz zusammenzufassen, was ich gehört habe, was mein/e Partner/in gesagt hat.
Warum ist es so wichtig, bei sich selbst zu bleiben?
Das berühmte ‚Drehen an der Schraube des anderen‘ funktioniert nicht, sondern weckt Widerstand. Ich-Botschaften dagegen sind wichtig, weil ich dann Verantwortung für meine Gefühle übernehme. Sätze wie ‚Ich bin traurig‘ oder ‚Ich habe Angst‘ erreichen Menschen viel besser als ‚Du machst etwas falsch‘. Der Partner/die Partnerin ist nämlich nicht verantwortlich für mein eigenes Gefühl. Nur wenn ich von mir selbst spreche, kann ich auch den anderen erreichen.
Warum fällt das vielen Paaren so schwer?
Wir haben diese Haltung der Selbstverantwortung in der Regel nicht gelernt. Wenn jemand ein Gefühl, etwa Wut, in mir weckt, dann liegt es ja so nahe, dem anderen die Schuld dafür zu geben. Aber eigentlich ist es anders. Denn mein Gegenüber weckt nur eine Wut in mir. Er ist Auslöser, aber nicht Ursache. Das ist ein großer Unterschied. Wenn ich selbst verantwortlich bin, habe ich das Gefühl. Und wenn ich die Verantwortung abgebe, hat das Gefühl mich. Dann bin ich beherrscht von meiner Wut und werfe das Glas an die Wand. Das aber ist nicht selbstverantwortlich.
Wie geht man denn selbstverantwortlich mit Wut um?
Es geht darum, einfach die Wut zu fühlen, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Das ist leichter gesagt als getan. Es ist eines der schwersten Dinge. Man agiert sie nicht einfach aus, schreit herum oder wirft Sachen kaputt, sondern man fühlt die Wut im eigenen Körper. Man darf sie zeigen und es ist wichtig, dass es einen Raum gibt, in dem diese Wut ernst genommen wird. Aber sie richtet sich – auch wenn mal Türen knallen – nicht gegen die andere Person. Darüber hinaus erforsche ich dann, welches unerfüllte Bedürfnis hinter meiner Wut steckt. „Hallo Wut, was willst du mir sagen?“ Vielleicht kommt dann die Erkenntnis, dass mein Bedürfnis nach Anerkennung z.B. als Mutter im Multitasking-Homeoffice nicht erfüllt wird.
Was raten Sie Paaren?
Paarberatung ist für mich wie eine Forschungsgruppe. Wir können als Paar mit Hilfe des Beraters herausfinden, was bei uns genau geschieht und in welchen Teufelskreisen wir immer wieder landen. Wir lernen, uns zuzuhören statt uns von etwas zu überzeugen. Wir dürfen uns nicht gegenseitig ins Steuer greifen, aber wir können sagen, was wir fühlen. Wenn mein Gegenüber das hört und es als meinen Ausdruck annehmen kann, schafft das viel mehr Vertrauen, als wenn ich versuche, den anderen zu etwas zu bringen. Wenn wir unseren Partner/unsere Partnerin teilhaben lassen an dem, was in mir selbst vorgeht, ist das echte Intimität. Intimität bedeutet, sich in seiner eigenen Verletzlichkeit zu zeigen. Es mag paradox klingen: Aber wer sich verletzlich zeigt, riskiert zwar viel, wird aber erfahrungsgemäß weniger verletzt. Denn wenn sich ein Partner verletzlich zeigt, haut der andere in der Regel nicht auf ihn drauf. Letztlich sind wir soziale Wesen und wenn wir unser geliebtes Gegenüber in seiner Echtheit spüren, dann wollen wir ihn in der Regel unterstützen. Wenn wir gegeneinander ankämpfen, dann machen wir es uns gegenseitig schwer. Beziehung wird durch Dinge wie Wohlwollen, Dankbarkeit und Zuhören genährt. Das ist praktizierte Liebe.
Enno Kastens ist Paarberater in Freiburg und Lörrach in eigener Praxis. Neben seiner Beratungstätigkeit hält er auch Vorträge und Paarseminare und leitet Paargruppen. Im Herbst ist ein Vortrag in Rheinfelden (Schweiz) geplant. Er trägt den spannenden Titel: „13 Arten, unsere Beziehung zu ruinieren“ Infos auf: www.ennokastens.de