„Aus Spaß wurde Ernst“, sagten die beiden Angeklagten zu den Raubüberfällen auf zwei Netto-Filialen in Aach und Tuttlingen-Möhrigen. Vor dem Konstanzer Landgericht mussten die heute 22- und 19-jährigen Männer aus dem Kreis Konstanz sich nun nicht nur für diese Taten verantworten, sondern auch des Diebstahls sowie der Ältere zusätzlich wegen Verbreitung eines tierpornografischen Videos.
Und ihnen wurde vor Augen geführt, was ihr Überfall mit einem der Opfer machte: Eine Auszubildende im Aacher Supermarkt beschrieb als Zeugin sichtbar traumatisiert unter Tränen, was am 8. Juni vergangenen Jahres gegen 21 Uhr geschehen war.
Mit dem Messer bedroht
Sie habe gerade im Büro die Kasse abgerechnet, als sie Schritte hörte. Ein maskierter Mann sei mit einem Messer in der Hand auf sie zugekommen und habe sie bedroht. Sie habe Todesangst gehabt, berichtete sie leise und stockend. Er wollte nicht nur die Tageseinnahmen, sondern auch das Geld, das im Tresor lagerte. Sie sollte den Tresorschlüssle herausgeben und dann mit der Hand durch eine schmale Öffnung die Sicherheitsbeutel mit den Wocheneinnahmen herausziehen. Der Täter erbeutete rund 17.000 Euro.
Danach habe der Täter sie in dem Raum eingeschlossen. Sie habe weinend und schreiend auf sich aufmerksam gemacht und wurde nach einer halben Stunde von der Polizei befreit. Seither leide sie unter Albträumen und Panikattacken und sei in therapeutischer Behandlung.
Sein 19-jähriger Komplize, dem bei der Beschreibung der Auszubildenden ebenfalls die Tränen kamen, fungierte als Fahrer. Doch die Tat haben die beiden zusammen ausgeheckt, zu diesem Ergebnis kam das Gericht. Sie kannten beide die örtlichen Gegebenheiten und wussten, dass über die Feiertage die Wocheneinnahmen im Tresor lagerten.
Den ersten Raubüberfall in Tuttlingen-Möhringen am 16. April 2022 haben die beiden Angeklagten nach Ansicht des Gerichts zusammen verübt. Bei diesem Überfall erbeuteten sie rund 2400 Euro. Die Beute aus beiden Überfällen gaben die beiden für Klamotten, Handys und Urlaub innerhalb kürzester Zeit aus. Der 22-jährige Angeklagte bestritt jedoch, an der zweiten Tat beteiligt gewesen zu sein. Er sei bei seinem Arbeitgeber krankgeschrieben gewesen und an diesem Tag herumgefahren.
Wie die Polizei ermittelt hatte, war er aber zur Tatzeit in der Funkzelle des Netto-Marktes eingeloggt. Außerdem rühmten sich die beiden jungen Männer in Handynachrichten immer ihrer gemeinsamen Taten.
Die Frage nach dem Warum bleibt
Der Vorsitzende Richter Joachim Dospil drückte während der Verhandlung immer wieder sein Unverständnis darüber aus, wie die Angeklagten darauf kamen, diese schweren Straftaten zu begehen. „Was kann jemanden reiten, mit dem Messer in einen Supermarkt zu gehen?“, fragte er die Angeklagten.
Beide ließen sich vorher nichts zuschulden kommen, hätten weder Probleme mit Alkohol noch mit Drogen. Sie haben einen Schulabschluss, der Ältere hatte eine abgeschlossene Ausbildung und eine Anstellung, der Jüngere war in Ausbildung.
Die Chatverläufe, die der ermittelnde Polizist ausgewertet hat und die der Richter in Auszügen vorlas, gaben Aufschluss über eine verhängnisvolle Freundschaft. Sie zeugen von spätpubertären Phantasien. Dabei sah der Jüngere den Älteren wohl als eine Art Vorbild, wie Theo Rüttinger von der Jugendgerichtshilfe vor Gericht ausführte. Er attestierte dem 19-Jährigen eine Entwicklungsverzögerung.
Er empfahl, den Jüngeren nach dem Jugendstrafrecht zu bestrafen und die Bestrafung zur Bewährung auszusetzen. Die Untersuchungshaft, aus der er nach sechs Wochen entlassen wurde, habe ihm zugesetzt. Er sei derzeit wieder in Ausbildung.
Verteidiger sieht keinen Schwerverbrecher
Richter Joachim Dospil wurde während der Verhandlung nicht müde, auf die Schwere der Straftaten hinzuweisen. Zumal der 22-Jährige auf die Vorwürfe der schweren räuberischen Erpressung und des schweren Raubes eher lapidar reagierte. „Da hab‘ ich Scheiße gemacht und stehe dazu“, sagte er. Sein Verteidiger erklärte, dass sein Mandant „kein Schwerverbrecher sei“ und Reue empfinde, diese aber nicht zeigen könne. Er appellierte an das Gericht, angesichts seines noch jungen Alters, dem vorher straffreien Lebens und einer günstigen Sozialprognose einen minderschweren Fall anzunehmen.
Dem folgte das Gericht, das sich die Entscheidung nicht leicht machte, und blieb mit fünf Jahren Haft für den 22-Jährigen unter der von der Staatsanwaltschaft geforderten Haftstrafe. Diese forderte für alle Straftaten siebeneinhalb Jahren.
Der 19-Jährige wurde nach dem Jugendstrafrecht zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Außerdem erklärten sich die Angeklagten bereit, der geschädigten Auszubildenden zusammen 10.000 Euro Schmerzensgeld zu zahlen. Der 22-Jährige, der bereits seit Juli 2022 in Haft ist und in Fußfesseln vorgeführt wurde, bleibt dort. Sein Urteil ist noch nicht rechtskräftig.