Für die Freien Wähler in Gaienhofen war die vergangene Gemeinderatswahl ein Erfolg: Sie konnten nicht nur 4,65 Prozentpunkte gegenüber der Wahl von 2019 ausbauen, sondern auch die meisten Stimmen auf sich vereinen und damit sechs Sitze besetzen – auch mit zwei neuen Räten.

Eine von ihnen ist Jessica Bruttel. Sie ist 33 Jahre alt und kann kommunalpolitisch als eine Senkrechtstarterin aufgefasst werden. Niemals hätte sie damit gerechnet, auf Anhieb in den Gemeinderat von Gaienhofen gewählt zu werden, erzählt sie. Sie sei weder ein Mitglied in einem Verein noch bei der Freiwilligen Feuerwehr. Doch für die Freien Wähler konnte sie satte 787 Stimmen auf sich vereinen. Damit landete sie auf Platz fünf der Liste. Vier der sechs Sitze für die Freien Wähler wurden an Frauen vergeben.

Vor der Kommunalwahl wurde Jessica Bruttel von drei verschiedenen Listen für eine potenzielle Kandidatur angesprochen, wie sie erzählt. Nach dem ersten Info-Abend bei den Freien Wähler habe sie noch mit einer Kandidatur gehadert, da sie sich unklar gewesen sei, ob ein Sitz im Rat mit ihrem Beruf vereinbar sein könnte. Der zweite Info-Abend habe sie dann aber überzeugt. Zuvor habe sie sich nie mit dem Gemeinderat auseinandergesetzt, sagte Bruttel, nach dem zweiten Informationsabend habe sie aber erkannt, wie sinnvoll der Rat ist.

Überraschende Wahl

Während ihrer Arbeit habe sie zehn Nachrichten von der Auszählung der Stimmen erhalten, in denen ihr von einem aussichtsreichen Sitz im neuen Rat berichtet wurde. Nach ihrem Feierabend sei sie dann direkt ins Rathaus gefahren.

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Vielleicht, so sagt Jessica Bruttel, hänge ihre Wahl mit ihrem Beruf zusammen. Denn Bruttel ist Kriminaloberkommissarin bei der Kriminal-Technik in Singen. Wenn es bei der Krimiserie Tatort beispielsweise heiße „Wir brauchen die Spusi“, dann komme sie. „Also diejenigen in den weißen Strampler-Anzügen, die am Tatort umherlaufen, die Spurensicherung machen, nach den Fingerabrücken suchen und die Schuhspuren sammeln – das mache ich dann.“

Zwar könnte der Beruf für ihre Wahl ausschlaggebend gewesen sein, da dieser ein Sicherheitsbedürfnis vermittle, sagte Jessica Bruttel. Doch sie vermutet auch einen weiteren Faktor für ihre Wahl: den Bekanntheitsgrad ihrer Eltern. Die Mutter ist Friseurin im Dorf und ihr Vater arbeitet für die Energieversorgung. Beide seien auf der Höri aufgewachsen und dort sehr bekannt.

Welche Themen sind ihr wichtig?

Die Wohnungsnot in Gaienhofen ist Jessica Bruttel nun ein großes Anliegen. Damit habe sie selbst Erfahrung gesammelt. Die Kriminaloberkommissarin wuchs in Horn auf und entschied sich 2018, eine Immobilie kaufen zu wollen. Zuerst wollte sie eine Wohnung kaufen. Doch das sei noch viel schlimmer als ein Haus erwerben zu wollen, so ihr Eindruck. Auch bei der Gemeinde habe sie als ledige Frau ohne Kinder kein Glück für einen Bauplatz gehabt.

Vor allem die Zweitwohnungen seien ihr ein Dorn im Auge. Manche Straßen in der Ortschaft Gundholzen seien zu dieser Jahreszeit menschenleer. Man sehe die heruntergezogenen Rollläden und wisse, dass dort ein halbes Jahr niemand mehr wohnen würde. Gerade für ihre Generation im Ort sei es traurig, sich dies anschauen zu müssen. Viele Mitbürger ihres Alters hätten im Landkreis in das Hinterland umziehen müssen.

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Ein weiteres wichtiges Thema seien die Problematiken am Horner Hafen und am Strandbad durch die Sedimente und Verschlammung des Ufers. Sie würden den Tourismus beeinträchtigen. In der Gemeinde wurde noch keine gute und dauerhafte Lösung gefunden, sagte die neue Rätin. Auch möchte sie sich für den Erhalt der Bildungsangebote einsetzen. In der Gemeinde gebe es vom Kindergarten, über die Grund-, Haupt- und Werkrealschule bis zur Oberstufe ein Angebot. Dies gehöre bewahrt und sollte qualitativ ausgebaut werden.

Rückkehr in den Rat

Neben Jessica Bruttel ist auch Alexander Hotz neu im Rat. Er saß früher schon einmal für die CDU im Rat und auch bei den Kommunalwahlen 2019 hätte es ihm von der Stimmenanzahl für einen Sitz im Gemeinderat gereicht. Doch die CDU verlor damals einen Sitz an die Freien Wähler. Als zur diesjährigen Wahl die CDU nicht mehr antrat, ging Alexander Hotz für die Freien Wähler ins Rennen und gewann seinen Sitz im Rat zurück.

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Die Arbeit im Gemeinderat sei sehr interessant, weiß Hotz aus Erfahrung zu berichten. Man erfahre sehr viel über die Gemeinde und über Themen, die den Ort beschäftigen. Die Wohnungsnot sei dem Gemeinderat bereits seit seiner ersten Mitgliedschaft 2014 bekannt. Durch den Naturschutz sei der Baugrund in der Gemeinde aber stark beschränkt. Auch gebe es zu viele Zweitwohnungen. Hotz bestätigt dabei die Beobachtungen seiner Ratskollegin. Die Entwicklungen hätten die Konsequenz, dass viele junge Menschen fortziehen und die Ortschaft veralten würden. Langfristig würden sich sogar das soziale Gefüge und der Dorfcharakter zum Nachteil verändern, befürchtet Hotz.

Dafür will er sich einsetzen

Der Heizungsbauer und Anlagenmechaniker mit eigenem Sitz in Horn möchte sich auch für einen sanften Tourismus einsetzen. An den Wochenenden beobachtet er an der Hauptstraße einen immensen Strom an Anreise- und Abreiseverkehr. Dabei kritisiert auch er die Umwidmungen von Wohnungen in Ferienwohnungen – vor allem, wenn ein gesamtes Haus mit sechs Wohnungen bis auf einen Wohnraum umgewidmet würde.

Die Wohnungsnot und der Tourismus mit seinen Ferien- und Zweitwohnungen sei ein gemeinsames Thema, das in eine richtige Richtung gelenkt werden müsste, sagte Hotz. In dessen Gepäck laufe gleichzeitig auch die Parkplatznot in den Ortschaften. Alexander Hotz bedauert es sehr, dass sich allein vom Landschaftsschutz die Gemeinde nicht entwickeln könne. Das betreffe wohl auch die Sanierung des Ufers in Horn. Auch Alexander Hotz möchte sich zudem für die Entwicklung der Schulen einsetzen. Dazu gehöre auch die Entschärfung der Verkehrssituation für die Schüler an der Schlossschule Gaienhofen.