„Zug ausgefallen. Zug völlig überfüllt. Zug verspätet, Anschluss nicht erreicht. Zug steht da, aber es gibt keinen Lokfahrer.“ Die Liste der Grausamkeiten, die Bahnpendler in den vergangenen Tagen und Wochen erstellt haben, liest sich wie ein kaum enden wollender Mängelbericht. Das Chaos um überfüllte Schülerzüge und ausfallende Fahrten zwischen Gottmadingen und Singen nimmt keine Besserung. Und dies in Zeiten, in denen das Coronavirus wieder alarmierend heftig um sich greift. Nach mehreren Briefen an die Bahn und das baden-württembergische Verkehrsministerium schlägt der Gottmadinger Bürgermeister Michael Klinger nochmals schärfere Töne als bisher schon an. Er wertet es wörtlich als „gnadenlose Unverschämtheit“, dass auch angesichts weiterer Verfehlungen der Bahn Antworten gar nicht oder für ihn nur völlig unbefriedigend im Gottmadinger Rathaus eingehen. „Schüler und andere Pendler müssen wie in Ölsardinen eingeklemmt in den Zügen ausharren“, beschreibt Klinger.

Verwirrung im Morgengrauen

Gespenstisch wirkt die Szenerie frühmorgens am Gottmadinger Bahnhof nicht nur, weil sich in die langsam auflösende Dunkelheit auch dichter Nebel mischt. Ein großer Pulk von maskierten Schülern versucht, sich in den Zug zu drängen. Andere hasten zu den beiden Bussen, die nach dem Ausfall von Bahn-Triebwagen als Ersatzfahrzeuge bereitstehen. Ein ankommender dritter Bus bleibt leer, weil Schüler befürchten, dass sie die Schule bis zum Unterrichtsbeginn nicht mehr rechtzeitig erreichen.

Wer es nicht in den Zug geschafft hat, muss mit einem der Ersatzbusse fahren. Es gilt aber auch, rechtzeitig in die Schulen zu kommen.
Wer es nicht in den Zug geschafft hat, muss mit einem der Ersatzbusse fahren. Es gilt aber auch, rechtzeitig in die Schulen zu kommen. | Bild: Tesche, Sabine

In seinen Briefen an die Deutsche Bahn führte Klinger nicht nur auf, dass es chaotische Zustände wegen ausgefallener und überfüllter Züge gebe. Eine Mutter und ein Rathaus-Mitarbeiter seien von einer Service-Stelle der Deutschen Bahn nach Anrufen in rüdem Ton abgefertigt worden. Und was ihn zudem fuchsteufelswild macht: Nach einem Schreiben an das Verkehrsministerium habe er zur Antwort bekommen, dass es das Problem auf der Linie Gottmadingen – Singen erst seit einem halben Jahr gebe.

Mittels etlicher Korrespondenzen belegt Klinger, dass die chaotischen Zustände schon viele Jahre lang vorherrschen. Er nimmt vor allem das Verkehrsministerium in die Pflicht. „Die Bahn-Leistungen sind vom Land bestellt und werden bezahlt. So müssen sie auch vertragsgerecht ausgeführt werden“, betont Klinger. In einem neuerlichen Schreiben führt er auch jüngste Verfehlungen aus. Der Bürgermeister zitiert eine Pendlerin, die davon berichtet, dass Züge auf der Linie Gottmadingen – Singen teils ausfallen, obwohl sie bereitstehen. Alleine, es fehlt ein Lokfahrer, der mit dem Zug abfahren könnte. Oft gebe es zu wenig Waggons und auch Ersatzbusse seien ausgefallen.

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Nun hat Klinger doch noch Post aus dem Verkehrsministerium erhalten. Minister Winfried Hermann habe ihn gebeten, zu antworten, erklärt Ministerialdirektor Uwe Lahl. „Ich kann Ihre Verärgerung sehr gut nachvollziehen. Die dargestellte und von der Bundespolizei festgehaltene Lage auf der Regionalbahnlinie Schaffhausen – Gottmadingen – Singen des Netzes 19 ist nicht haltbar“, schreibt Lahl. „Die von der DB Regio in diesem Netz aktuell erbrachten Leistungen erfüllen bei weitem nicht die Anforderungen und unseren Anspruch an einen sicheren und zuverlässigen Schienen-Personennahverkehr (SPNV).“

Ministerium sieht Verbesserung

Die DB Regio werde im Jahr 2020 empfindliche Vertragsstrafen, sogenannte Pönalen, erbringen müssen. Allerdings habe sich die Situation der genannten Bahnverbindung seit Anfang Oktober deutlich verbessert. Neben einem zweiten Bus, mit dem die Schüler aus Gottmadingen direkt nach Singen an die Schulen gebracht werden, seien auch wieder drei Triebzüge in Singen. „Somit verkehren alle Züge mit der planmäßigen Behängung. Es stehen damit ausreichend Kapazitäten zur Verfügung“, so Lahl.

Die Ersatzbusse fahren auch direkt die Schulen in Singen an.
Die Ersatzbusse fahren auch direkt die Schulen in Singen an. | Bild: Tesche, Sabine

Für die kommenden Monate und Jahre gebe es mittlerweile jedoch eine langfristige Perspektive. Nach massivem Druck des Ministeriums für Verkehr und der Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg werde die DB Regio ab Anfang November einen fünften Triebzug auf eigene Kosten in das Netz aufnehmen. „Damit ist zu erwarten, dass der Betrieb auf der Regionalbahnlinie Schaffhausen – Gottmadingen – Singen deutlich an Zuverlässigkeit gewinnen wird. Die Auswirkungen möglicher Fahrzeugschäden oder Unfälle werden signifikant verringert. Trotzdem werden wir die Lage genau beobachten und behalten uns, falls die Maßnahmen nicht positiv wirken, weitere Schritte vor“, betont Lahl.

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Wichtige Fragen bleiben offen

So sehr er sich freue, wenn die Bahnleistungen eine Verbesserung erfahren und er das Bedauern akzeptiere, seien doch etliche Fragen ungelöst, antwortet Klinger auf das Scheiben des Ministeriums. Er bezieht sich dabei auch auf eine Resolution, die der Gottmadinger Gemeinderat im November 2019 verabschiedet hatte. Ungeklärt und nicht belegt sei nach wie vor, ob das Land die Deutsche Bahn in der Vergangenheit für die vielen Mangelleistungen der vergangenen Jahre mit Strafzahlungen belastet habe.

Die Schüler versuchen, einigermaßen geordnet in den Zug einzusteigen.
Die Schüler versuchen, einigermaßen geordnet in den Zug einzusteigen. | Bild: Tesche, Sabine

Es hätte laut Klinger auch längst geprüft werden sollen, ob angesichts dieser immer wieder kehrender Verfehlungen der Vertrag mit der Deutschen Bahn weiter aufrechterhalten werden könne oder gekündigt werden müsse. Klinger zitiert aus einer Korrespondenz wischen Kunde und Deutsche Bahn. Die räumt dabei ein, dass sie den Zuschlag für den Betrieb des Netzes 19 erhalten habe, aber aus wirtschaftlichen Gründen kein neues Zugmaterial einsetzen könne und daher auch zeitweise mit Ersatzverkehr zu rechnen sei.

Deutsche Bahn entschuldigt sich

  • Das soll sich verbessern: Zur Verbesserung für die Fahrgäste auf der Strecke Singen – Schaffhausen hat DB Regio bei einem gemeinsamen Termin in Schaffhausen mit Vertretern des Verkehrsministeriums Baden-Württemberg und dem Kanton Schaffhausen den Einsatz eines zusätzlichen Fahrzeugs zugesagt. Mit dem Einsatz eines Triebwagens als fünftes Fahrzeug soll der Zugverkehr für die Kunden künftig wieder stabil laufen.
  • Mehr verfügbare Fahrzeuge: „Ich möchte mich ausdrücklich bei unseren Kunden entschuldigen, dass wir in den letzten Wochen zu oft nicht mit der versprochenen Kapazität unterwegs waren. Es ist mir ein persönliches Anliegen, die Situation für unsere Fahrgäste schnell zu verbessern. Mit dem zusätzlichen Triebwagen erhöhen wir die Fahrzeugverfügbarkeit“, so David Weltzien, Vorsitzender der Regionalleitung von DB Regio Baden-Württemberg.
  • Aktuell informieren: Kunden können sich mit der App DB Streckenagent in Echtzeit individuell über die aktuelle Situation auf den Strecken zu informieren. Aktuelle Fahrplan-Infos sind auch in der App DB Navigator oder auf www.bahn.de hinterlegt.