Premieren und Überraschungen: Es gibt sie noch, die unerwarteten Moment, die ersten Male. Die Podiumsdiskussiondes SÜDKURIER nur wenige Tage vor der Bürgermeisterwahl in Gottmadingen glich einer dieser Premieren. Zum ersten Mal im Wahlkampf trafen Amtsinhaber Michael Klinger und Herausforderer Roland Kunze auf einer Bühne aufeinander. Der eine ist seit 16 Jahren Bürgermeister und strebt eine dritte Amtszeit an. Der andere will einen Wachwechsel im Rathaus herbeiführe und hat phantomgleich seinen Hut in den Wahlkampfring geworfen.
Ein langes Abtasten gab es auf der Bühne nicht. Die beiden Moderatoren Torsten Lucht, Leiter der Lokalredaktion des SÜDKURIER in Singen, und Redakteurin Isabelle Arndt, aber auch das Publikum gingen gleich in die Vollen. „Wir wollen die Kandidaten aus der Reserve locken“, betonte Torsten Lucht. Gesagt, versucht und teilweise getan, was aber mitunter an der jeweiligen Vorbereitung der Gesprächspartner scheiterte.

Die Frage nach dem Warum
Antworten waren es, die die Zuhörer aber auch die beiden Moderatoren von Roland Kunze wissen wollten. Weshalb ein erstes Podiumsgespräch scheiterte. „Meine Tochter arbeitet im Krankenhaus in Radolfzell und war erkrankt“, sagte Kunze. Sie habe sich einem Corona-Test unterzogen, weshalb er kurzfristig die Veranstaltung absagte. Vergangene Woche bei einem Gesprächstermin im Jugendtreff lautete seine Begründung noch, dass er Risikopatient sei und deshalb die Halle gemieden hatte. Weshalb er sich zutraue, das Amt des Bürgermeisters auszufüllen? Der 64 Jahre alte gelernte Elektrotechniker wolle etwas im Ort bewegen. Die Anforderungen an das Amt des Bürgermeisters bezeichnete Kunze als überschaubar. „Es ist Zeit für einen neuen Bürgermeister“, betonte er.
Michael Klinger beruft sich bei seiner erneuten Kandidatur auf seine 16-jährige Erfahrung. „Gottmadingen ist meine Heimat und für diesen Ort brenne ich mit Engagement und Energie“, sagte der 47-jährige promovierte Molekularbiologe. 16 Jahre im Amt seien das richtige Rüstzeug für den Job als Bürgermeister.
Wenn einer spricht und einer beinahe schweigt
Michael Klinger skizziert eine klare Vision der kommenden acht Jahre. Bürgerbeteiligung soll dabei sein Markenzeichen bleiben. Klinger wolle die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum vorantreiben. „Die Wohnungen der Gemeinde erhalten, vielleicht noch das ein oder andere Projekt wie an der Hilzinger Straße dazu fügen“, sagte er. Mit Blick auf den Verkehr wolle er den Radsituation in der Ortsmitte verbessern und den Wirtschaftsstandort Gottmadingen und die Arbeitsplätze im Ort sichern. Klinger präsentierte sich auf dem Podium in Plauderlaune.

Weitaus wortkarger sein Herausforderer Roland Kunze. Er wolle im Falle seiner Wahl keine Experimente. Stattdessen schnelles Internet in Murbach und Bietingen, die Schaffung von mehr Kindertagesplätzen und Fahrradwege an der Hauptstraße. Und dann ist da noch die Sache mit der Überdachung des Höhenfreibades. Kunze hatte im Wahlkampf von diesem Vorhaben gesprochen. Auch auf dem Podium bekräftigte er die Idee in Form einer Traglufthalle. „Dann kann man das Bad auch im Winter nutzen. In Schaffhausen geht das auch“, sagte er. Nur wenig später folgte allerdings die Rolle rückwärts. Das Problem: die Finanzen. „Das Dach ist finanziell wohl nicht machbar“, rudert Kunze zurück.
Der Realschulneubau und der Beton
30 Millionen Euro investiert die Gemeinde in die neue Realschule. An der Bedeutung der Bildungseinrichtung ließen beide Kandidaten keine Zweifel aufkommen. Wäre da nicht die Sache mit dem Beton. „Beton ist kalt“, betonte Kunze. Er habe sich bei der Umsetzung mehr Sichtmauerwerk gewünscht.
Eine Aussage, die Klinger mit einem Kopfschütteln quittierte. „Von einer Rohbauführung sollte man nicht auf eine fertige Schule schließen“, entgegnete er. Mit einer schönen Schule sei es laut Klinger allerdings nicht getan. Vielmehr müsse sie auch passend digital ausgerüstet werden. Eine halbe Millionen Euro seien bisher für die Glasfaseranbindung in den Neubau geflossen. „Wir müssen aber auch etwas für die Grundschule tun“, so Klinger weiter. Gefallen hat es Kunze dennoch nicht. Er kristallisiert sich als waschechter Betongegner: „Da wurde alles zubetoniert.“
Wer hat den Haushalt gelesen?
Roland Kunze weiß, wohin es mit Gottmadingen gehen soll – auch wenn er auf dem Podium zugibt, den Haushalt nicht zu kennen. Die Friedhofstraße bezeichnete er als Holperstrecke. „Da wurde 50 Jahre nichts gemacht“, sagte er. Ebenso im Steiner Weg. Dort sei immerhin die Hälfte saniert worden.

Michael Klinger blickt in Richtung Randegg. Dort wolle er die neue Halle anpacken. Aber er tritt gleichzeitig auf die Euphoriebremse: „Unser Schulprojekt schränkt die weiteren Investitionen ein Stück weit ein.“ Fehlende Steuereinnahmen aufgrund der Pandemie kommen hinzu. Man müsse klar priorisieren, was wirklich wichtig ist.
Gottmadinger zuerst
Roland Kunze hat ein Herz für Familien – vor allem für Gottmadinger. Deshalb wolle er Bauplätze ausweisen, Wohnungen bauen und dafür sorgen, dass sich junge Familien diese auch leisten können. Getreu dem Motto „Gottmadinger zuerst“. „Gottmadinger Bürger sollten in Gottmadingen bleiben können“, betonte er.
Michael Klinger hat das Thema Wohnen ebenfalls auf der Agenda. Wobei es seiner Einschätzung nach nicht immer Einfamilienhäuser sein müssen. „Wir haben den Geschosswohnungsbau in den letzten Jahren vernachlässigt“, sagte er. Zudem wolle er die Ortsmitte verdichten – nachhaltig und in dem Tempo, in dem es Gottmadingen gut tue.
Erwartung und Fazit: Das sagen Besucher
Was erwartet das Publikum von der SÜDKURIER-Podiumsdiskussion? Und wurden die Hoffnungen erfüllt? Diese Fragen stellten wir zwei Gästen aus dem Publikum. Der Randegger Unternehmer Clemens Fleischmann und Lara Stier aus Gottmadingen erklärten, dass Sie vor allem neugierig auf den Auftritt von Bürgermeister Michael Klingers Gegenkandidaten, Roland Kunze, waren.
- Clemens Fleischmann: Vorher: „Michael Klinger kenne ich, mich interessiert vor allem, was Roland Kunze antreibt, zu kandidieren. Ich erwarte ein spannendes Duell.“ Nachher: „Der Auftritt bewies, dass Herrn Kunze jegliches Rüstzeug für ein Bürgermeisteramt fehlt. Es gab keine klaren Aussagen. Das war für mich enttäuschend. Dabei hatte die Veranstaltung selbst ein gutes Format.“
- Lara Stier: Vorher: „Mich interessiert vor allem der Auftritt von Herrn Kunze und was er zu seinem Wahlprogramm sagt.“ Nachher: „Für mich hat sich der Eindruck bestätigt. Fast alle Ziele, die er in seinem Wahlprogramm gesetzt hat, lassen sich nicht umsetzen, weil dies schon finanziell scheitern würde.“