Auch wenn ein Sauerländer namens Friedrich Merz zeitgleich Massen in die Singener Stadthalle lockte, sind die Gottmadinger Gerstensäcke keineswegs auf ihrem Narrenbier hocken geblieben. Die Fahrkantine war auch beim 45. Bieranstich rappelvoll und gespannt verfolgte die Narrenschar, wer den Stab in diesem Jahr aus den Händen des abdankenden Ehrengerstensafters Stephan Glunk in Empfang nehmen sollte.
Ein paar gutgläubige Biertrinker, die sonst hier ihr Bier trinken würden, seien schon zum hochgewachsenen Sauerländer Buben gepilgert, gab Zeremonienmeister Christoph Graf zu bedenken. Sie dürften es aber bereut haben, so seine Einschätzung.

Publikum kommt schnell auf neuen Ehrengerstensafter
Natürlich war im Vorfeld nicht bekannt, wer in diesem Jahr nach Stephan Glunk Ehrengerstensafter werden würde. Graf hat sein Publikum rätseln lassen: „Er ist aufgewachsen in einem wirklich kleinen Flecken im ländlichen Lausbuebe-Idyll, studierte das Verwalten, erklomm im Schwabenland die Karriereleiter, wurde von Heimweh geplagt, fand etwas Ausgleich in Instrumenten mit Tasten...“
Ein wissendes Lächeln ging über manches Gesicht im Publikum, als es hieß: „Er kümmert sich um unsere Nachbargemeinde nebedra und mir in Gottmadingen mond si Abwasser schlucke.“ Und da war klar, mit Bürgermeister Holger Mayer wurde erst zum zweiten Mal in der langen Geschichte ein Mensch aus Hilzingen mit dem Orden ausgezeichnet. Vor über 20 Jahren wurde FDP-Politikerin Birgit Homburger die Ehre zuteil.
„Jetzt trink mer no a Flasche Bier“, stimmte Mayer an, nachdem er von Zeremonienmeister Christoph Graf und Zunftmeister John Weber als neuer Ehrengerstensafter gekürt wurde. Mayer ergriff das Akkordeon, sein früherer Lausbuba-Partner Tobias Klein nahm die Gitarre und die Stimmung in der restlos gefüllten Fahrkantine erreichte ihren Höhepunkt. Das närrische Publikum war begeistert und forderte Zugabe um Zugabe.

Vier Gründe sprechen für den Hilzinger Rathauschef
„Warum ausgerechnet ich?“, lautete die rhetorische Frage des neuen Ehrengerstensafters. Aber Mayer wusste, warum: Erstens sei er zusammen mit dem Hilzinger Pfarrer beim letztjährigen Narrentreffen in Gottmadingen aufgetreten. Zweitens könnten die Gerstensack-Narren auf den Hilzinger Kanal als Bier-Pipline schielen. Drittens dürften aufgrund des Gottmadinger Solarpark-Wahns Hilzinger Ackerflächen für den Gerstenanbau gebraucht werden und nicht zuletzt wolle er nicht ausschließen, dass Gottmadingen vielleicht die Übernahme Hilzingens plane.
Aber wenn das so käme, so Mayer: „Ihr mich zum Oberbürgermeister benennt und Michael Klinger zu meinem persönlichen Referent.“ Ganz ohne Augenzwinkern erinnerte er reimend an die Aufgabe, für die Demokratie zu kämpfen. „Senden wir heut‘ Abend voller Freude und Liebe, ein Zeichen in die Welt für Freiheit und Friede.“
Glunk nicht ohne seine Gitarre
Gekonnt heizten wie in der Vergangenheit auch „Die Original Aussteiger“ unter Leitung von Patrice Monien während des ganzen Abends die Stimmung an. Und natürlich hatte auch der letztjährige Ehrengerstensafter Stephan Glunk seine Gitarre mitgebracht. Er erinnerte an das Jahr 1997, als die gelben Säcke eingeführt wurden und legte mit Hinweis auf das damals stinkende Kompostwerk, die Vermüllung nach Silvester und die Probleme des Seehas offen: „Der Täter war ein Radolfzeller und der schlägt erbarmungslos zu.“
Mit einem Schlag stach er dann im Beisein der beiden Braumeister Christian Schopper und Stefan Huber das Bierfass an. Trotz der Singener Konkurrenz konnte Zunftmeister John Weber viele Ehrengäste, darunter Landrat Zeno Danner und neben Gottmadingens Rathauschef Michael Klinger noch weitere Bürgermeister willkommen heißen.
Den Wahlkampf konnte auch Christoph Graf nicht auslassen. Er warnte vor Heilsversprechern, die durch den Ort ziehen. „Die Menschen werden von ihnen um den Verstand gebracht. Grad wie damals in Hameln die Rattenfänger, erzählen sie, sie wären die wahren Heilsbringer.“ Graf pries das Bier als Allheilmittel an.
„Unsere Lösung für die Probleme Deutschlands und der Welt, Zunftmeister John Weber wird unser Präsident“, lautete sein Wahlvorschlag. Als neue Fördermitglieder wurden schließlich Herbert Brachat und Patrick Pfeifer in den Kreis der Narrenschar aufgenommen.