Einige Bürger von Gottmadingen schlagen Alarm: Sie sehen in naher Zukunft die Versorgung aller Patienten in Gefahr. Auch in anderen Gemeinden. Aus diesem Grund hat sich eine vom Gottmadinger Seniorenbeirat unterstützte Initiative gebildet, die der Gottmadinger Jörg Sieg anführt. Der heutige Rentner und frühere Mitarbeiter einer großen Krankenkasse in maßgeblicher Funktion betont: „Ich befasse mich schon lange mit der Entwicklung der Ärzteversorgung. Und die verfolge ich mit großer Sorge.“
Er könne dies aus eigener Erfahrung belegen, beispielsweise durch sein Engagement als ehrenamtlicher Fahrer der Gottmadinger Nachbarschaftshilfe. „Gerade ältere Menschen, die ich chauffiere, berichten von Schwierigkeiten. Wie Termine bei Ärzten zu bekommen“, schildert Sieg. Patienten kämen teils per Telefon nicht bis zu den Arztpraxen durch, blieben in der Warteschleife hängen oder sehen sich bei automatischen Durchsagen überfordert.
Schwierig, einen neuen Hausarzt zu finden
„Wir wissen, dass gerade durch Corona und die Impfungen viele Ärzte und ihr Personal am Anschlag arbeiten. Die medizinische Versorgung leidet aber extrem darunter. Dies betrifft nicht nur ältere Menschen“, streicht Sieg heraus. „Wer den eigenen Hausarzt nicht mehr besuchen kann, weil er aufhört oder auf unbestimmte Zeit aus verschiedenen Gründen nicht praktizieren kann, hat ein ernstes Problem“, sagt Michael Diener, der im Gottmadinger Ortsteil Randegg wohnt. Nach einer vorläufigen Schließung der Praxis seines Hausarztes in Gailingen habe er vergeblich versucht, in der Nähe, wie in Gottmadingen, einen Termin zu bekommen.
„Glücklicherweise ist mein Hausarzt wieder tätig. Einen solche zu haben, halte ich schon wegen des Vertrauens und dessen fundierter Kenntnisse über die medizinischen Verläufe von Patienten für eminent wichtig“, betont Diener. Auch seine Frau Elke hat sich der Initiative zusammen mit dem Ehepaar Margit und Jörg Sieg angeschlossen. „Eine im Landkreis Konstanz und darüber hinaus ausgeführte Umfrage im Jahr 2018 ergab, dass 40 Prozent aller Ärzte in den nächsten sechs Jahren ihre Praxen altershalber schließen wollen“, zeigt Jörg Sieg auf. Vier von diesen sechs Jahren seien bereits vorbei.
Mehr Medizinische Versorgungszentren, weniger Einzelpraxen?
Und wie sieht der in der Ärzteschaft der Region bestens vernetzte Allgemeinmediziner Christoph Graf die Zukunft der Allgemeinmedizin? „Es wird einen gewaltigen Umbruch geben. Den klassische Hausarzt gibt es bald nicht mehr“, wirft er ein Szenario auf. Er selbst hat seine Praxis in Gottmadingen. Der Grund für den Umbruch: Alle politischen Parteien und die zuständigen kassenärztlichen Vereinigung würden ein anderes Modell anstreben. „Es soll in Richtung Medizinischer Versorgungszentren gehen, in dem Ärzte in den verschiedensten Fachrichtungen unter einem Dach die Patienten behandeln“, sagt er.

Was ihm große Sorge bereitet: Es zeichne sich schon ab, dass große Gesellschaften und Investoren, wie Communities, auch auch aus dem Ausland, gewinnbringend solche Medizinischen Versorgungszentren betreiben wollen. Bei den Ärzten gebe es einen mentalen Wandel. „Viele Mediziner, darunter Mütter, wollen flexible Arbeitszeitmodelle. Gerade jüngere Ärzte streben an, sich auf ihren eigentlichen Beruf zu konzentrieren und nichts mit Verwaltung und Personalwesen zu tun haben, wie dies Mediziner mit eigenen Praxen leisten müssen“, sagt Graf.
Experte kann sich eine bessere Lösung vorstellen
Eine bessere Lösung sei für ihn, wenn Ärzte vor Ort im Verbund agieren. Dabei seien auch Gemeinden gefragt, die im Austausch mit den Medizinern Voraussetzungen schaffen könnten. So richte die Stadt Singen ein Medizinisches Versorgungszentrum ein. Auch Gesellschaften oder Genossenschaften könnten Medizinische Versorgungszentren oder größere Gemeinschaftspraxen betreiben. „Gemeinden können vieles in die Wege, um die künftige Versorgung vor Ort sicherzustellen“, betont Graf.
Enttäuschung über fehlende Resonanz der Gemeinde
„Wir wollten das brisante Thema künftige Ärzteversorgung dem Gottmadinger Bürgermeister und der Verwaltung nahebringen“, erklärt Jörg Sieg. Schreiben seien aber zunächst unbeantwortet geblieben. Erst später sei eine Rückmeldung von Bürgermeister Michael Klinger gekommen. Sieg wurde mit seinem Anliegen auch in einer kürzlichen Ratssitzung vorstellig. In dieser hatte sich Klinger dafür entschuldigt, dass er auf den Brief nicht schneller reagiert hat. Der sei wohl im großen Berg von Post untergegangen. Eberhard Koch, Fraktionssprecher der Freien Wählervereinigung, hatte seine Passivität damit begründet, dass der Brief erst einmal vom Bürgermeister und der Verwaltung beantwortet werden sollte.
Jörg Sieg und Michael Diener zeigen sich aber enttäuscht darüber, dass es von den Fraktionssprechern und auch von den alle anderen angeschriebenen Gemeinderäte keine einzige Resonanz gegeben habe. Sie fordern: Die Gemeinde müsse aktiv handeln, um die Ärzteversorgung künftig weiter zu sichern.
„Die Gemeinde Gottmadingen hat schon gemeinsam mit den einbezogenen Bürgern eindrucksvoll gezeigt, was sie auf die Beine stellen kann, wie beim Neubau des Höhenfreibades“, so Sieg. Und auch bei der Ansiedlung von Gewerbe und Einkaufsmärkten sei auch durch den Einsatz der Wirtschaftsförderung der Gemeinde viel erreicht worden.
Gemeinde will das Thema aktiv angehen
Indes macht Bürgermeister Klinger gegenüber dem SÜDKURIER wie auch schon in der Ratssitzung deutlich, dass das Thema der künftigen Ärzteversorgung auch in Gemeinden der Größe von Gottmadingen ankomme. Bisher seien kleinere Kommunen besonders betroffen. „Eine Gemeinde kann aber die ärztliche Versorgung nicht selbst regeln. Dazu braucht es andere Beteiligte wie die kassenärztliche Vereinigung. Wir wollen aber einen runden Tisch mit unseren im Ort ansässigen Medizinern anbieten“, erklärt Michael Klinger. Es müsse ausgelotet werden, was für Gottmadingen am besten passe, um eine möglichst gute medizinische Versorgung zu sichern.
Es gebe verschiedene Modelle. In Tengen wurde ein Ärztehaus gebaut, das eine Genossenschaft mit große Beteiligung von Bürgern trägt. Und Engen hat ein Medizinisches Versorgungszentrum im früheren Krankenhaus eingerichtet. „Die Voraussetzung sind sehr verschieden, wie in Tengen. Dort gab es zuvor schon eine Gemeinschaftspraxis, die ins modernere Ärztehaus umgezogen ist“, so Klinger.