Thomas Seitner trägt Fossil. Keine Rolex, keine protzige teure Uhrenmarke. Dabei ist er Zahnarzt mit eigener Praxis in Singen und gehört damit zu den Besserverdienern, könnte man meinen. Der Zahnarzt möchte solche Mythen entkräften. Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie zeige sich die starke Belastung seines Berufsstandes. Aufwand und Kosten seien in den vergangenen Jahren stetig gestiegen, während er bei Krankenkassen noch genauso viel abrechnen könne wie vor 30 Jahren. Thomas Seitner will aber nicht über seine persönlichen Situation klagen. Er will aufzeigen: Singen und der Landkreis Konstanz steuern auf ein ernsthaftes Problem zu.

„55 Prozent der Inhaber von Zahnarztpraxen im Landkreis sind über 50 Jahre alt, 40 Prozent sogar über 60. Das heißt, dass sie bald einen Nachfolger brauchen. Und es läuft etwas falsch, wenn sich für diese das Führen einer Praxis augenscheinlich nicht mehr lohnt.“ Ein Thema, das auch viele Handwerksbetriebe und andere kleine Selbstständige umtreibe.

25 bis 18 Euro kostet es, bis sich jemand auf den Zahnarzt-Stuhl setzen kann

Für das Ziehen eines Frontzahns erhält er vom Privatpatienten zwölf Euro und vom Kassenpatienten 21 Euro. Für das Setzen einer normalen Füllung kann er bei privat Versicherten 22 Euro abrechnen, bei Kassenpatienten sind es 35 Euro. „Als Zahnarzt in Deutschland kann man seine Praxis trotzdem nicht führen, wenn man nur Kassenleistungen macht“, sagt Seitner klar. Denn diese seien begrenzt, ein Zahnarzt kann nur eine bestimmte Zahl von Behandlungen geltend machen.

Die Vergütung sei allgemein zu niedrig, wenn man die Anforderungen betrachte: „Ich habe zwischen 25 und 28 Euro Grundkosten, bis sich jemand erstmal auf den Platz setzen kann“, erklärt Thomas Seitner. Der Aufwand für Hygienemaßnahmen, Aufklärung und Dokumentation sei hoch. „Jede Behandlungsstunde braucht anschließend noch zehn bis 20 Minuten am Schreibtisch.“

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Heute muss man Geräte regelmäßig ersetzen. Und das kostet

Als Thomas Seitner vor 22 Jahren seine Praxis in Singen übernahm, war die Situation noch anders. Auch damals mussten Zahnärzte hohe Kredite aufnehmen, eine Praxis koste mit durchschnittlicher Ausstattung zwischen 400.000 und 600.000 Euro. „Doch früher haben die Geräte Generationen gehalten. Heute enthalten sie viel mehr Elektronik und müssen nach acht, höchstens 15, Jahren ausgetauscht werden.“ Ein 3D-Röntgengerät koste beispielsweise 60.000 bis 80.000 Euro, sei aber schon nach acht Jahren technisch überholt. „Das muss man ja erstmal umsetzen“, sagt Seitner und verweist darauf, dass die gesamte Praxisstruktur vom Arzt oder der Ärztin getragen werde.

Eine andere, größere Praxis, hat dem SÜDKURIER diese Problematik bestätigt und sich deshalb für eine andere Struktur entschieden. Leider gibt es dazu aber keine offizielle Stellungnahme.

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Grundlage für private Abrechnungen sind Zahlen von 1988

Für den Inhaber einer Einzelpraxis beginnt das Problem eines immer weniger attraktiven Berufsfeldes schon im Studium: „Preiskalkulation kommt im Studium nicht vor – wir hatten nicht eine Stunde Betriebswirtschaftslehre.“ Man könne sich zwar an der Gebührenordnung orientieren, doch die berücksichtige nicht den steigenden Aufwand und damit steigende Kosten. „In den Zahnarztpraxen arbeiten hochqualifizierte Menschen, die sich engagiert um ihre Patienten kümmern. Sie haben mehr verdient als eine Vergütung auf der Basis von 1988.“ (siehe Info)

Die Lösung? „Ich komme heute nur mit einer Kombination von Kassen- und Zusatzleistungen wirtschaftlich hin“, sagt Seitner offen. „Für eine reine Untersuchung bekomme ich von der Kasse mehr Geld als bei einem Privatpatienten.“ Doch bei der Behandlung wende sich dann das Blatt. Das bestätigen Zahlen der kassenzahnärztlichen Vereinigung: Obwohl 88 Prozent der Patienten gesetzlich versichert sind, macht das nur 51 Prozent der Praxisumsätze aus.

Fazit des Zahnarztes: Eine eigene Praxis wird unattraktiv

Für Thomas Seitner ist eine Konsequenz, dass seine Arbeitsform immer unattraktiver werde. „Es gibt immer weniger Zahnärzte, die eine Praxis aufmachen wollen, weil es sich schwer rechnet.“ Und das sei verheerend, denn viele würden bald einen Nachfolger brauchen. In den vergangenen drei Jahren gab es laut kassenzahnärztlicher Vereinigung fünf Praxisübergaben. Und es kündigen sich weitere Wechsel an: Von 46 niedergelassenen Ärzten sind 13 schon 56 Jahre alt oder älter. Vier davon sind sogar über 65 Jahre alt.

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Die Nachfrage der Patienten sei da, wie Seitner sagt. Doch damit Ärzte bestehende Praxen mit neuem Leben füllen, brauche es gute Argumente. Zum Risiko und hohen Investitionen kommen lange Arbeitstage, Seitner geht für sich von 65 Stunden pro Woche aus. „Eine Einzelpraxis wird zunehmend zu einem schwer zu kalkulierendem Risiko“, fasst der selbstständige Praxisinhaber zusammen. Selbstständigkeit bedeute auch wenig Absicherung. Das betreffe auch und besonders Zahnärztinnen, die eine Familie möchten. Dazu kommen weitere Sorgen: Es werde etwa immer schwieriger, zahnmedizinische Fachangestellte zu finden.

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Zahl der angestellten Zahnärzte nimmt zu

Auch die kassenärztliche Vereinigung beobachtet einen Trend, demzufolge immer mehr Zahnärzte eher im Angestelltenverhältnis arbeiten. Von 46 Zahnärzten sind Stand 2020 zehn angestellt. „Diese Form der Beschäftigung wird gewählt, um sich auf die eigene Niederlassung vorzubereiten, oder weil aufgrund von Familienplanung eine Tätigkeit in Teilzeit bevorzugt wird“, teilt Pressesprecher Alexander Messmer mit. 76 Prozent der jungen Zahnärzte unter 35 Jahren würden eine spätere Niederlassung planen – in Singen gibt es in dieser Altersgruppe aber nur vier Zahnärzte insgesamt.

Aber: „Zahnmedizin ist ein schöner Beruf“

Zahnarzt Thomas Seitner möchte aber nicht nur klagen. Auch wenn er die problematische Lage schildert, ist ihm wichtig zu betonen: „Zahnmedizin ist ein schöner Beruf, weil er Akademisches mit einem Handwerk verknüpft. Und das Lächeln von Patienten entschädigt.“ Noch.