Wo Goethe einst schlief, soll bald keiner mehr nächtigen: Das ehemalige Gasthaus Krone-Post an der Hilzinger Hauptstraße muss geräumt werden. Das sagt das Landratsamt Konstanz und begründet das mit mangelndem Brandschutz. Die Mängel seien so massiv, dass eine akute Gefahr für Leib und Leben bestehe. In dem historischen Gebäude machte 1797 schon Goethe Halt, vor Jahren wurde der Hotelbetrieb geschlossen und die Zimmer wurden dauerhaft vermietet. Was mit den aktuell zwölf Mietern geschieht, die teils seit vier Jahren und teils erst seit wenigen Wochen dort wohnen, ist aber unklar: Sie fürchten angesichts der kurzfristig anberaumten Zwangsräumung die Obdachlosigkeit.
„Wir waren froh, dass wir hier überhaupt wohnen können“, sagt Bewohner Dominic Stocker. Jahrelang habe niemand etwas beanstandet und jetzt wolle man das Gasthaus auf einmal dicht machen.
Alles begann mit einer Besichtigung im November
Der Eigentümer der Immobilie, die ACA Müller ADAG Pharma GmbH, hatte das einstige Gasthaus der Gemeinde zum Kauf angeboten. Und um eine mögliche Nutzung abzuklären, waren auch Mitarbeiter des Landratsamtes vor Ort, wie Bürgermeister Rupert Metzler dem SÜDKURIER erklärt. Schnell wurde klar, dass das Gebäude nicht wie angedacht als Flüchtlingsunterkunft in Frage kommt, schildert Metzler. Ein Punkt sei der Brandschutz gewesen. „Dass das so drastisch gesehen wurde vom Landratsamt, wurde vor Ort aber mit keinem Wort erwähnt!“, sagt er hörbar verärgert. Zwei Monate später sei dann der Räumungsbescheid zugestellt worden – völlig überraschend für alle Beteiligten. Mit einer Frist von nur einer Woche.
Thomas Ruck leitet das Ordnungsamt der Gemeinde und ist seitdem damit beschäftigt, sich um eine Notunterkunft zu bemühen: „Ich weiß noch genau, wann ich von der Räumung erfahren habe.“ Am Freitag, 24. Januar, habe der Eigentümer ihm die Entscheidung mitgeteilt und um Hilfe gebeten. „Im gleichen Moment hatte ich schon den ersten Bewohner am Telefon.“

Bewohner haben Existenzangst
Zwölf Männer leben in dem einstigen Gasthaus und hangeln sich derzeit von Woche zu Woche: Die Frist wurde erst auf Freitag, 7. Februar, verlängert, jetzt ist eine weitere Gnadenfrist in Aussicht. Doch ausziehen müssen sie auf jeden Fall. Am Donnerstag hat der Eigentümer ihnen auch offiziell die Räume gekündigt, die sie laut Landratsamt nicht mehr nutzen dürfen. Das bestätigt Jens Evers, der sich seit dem Bescheid um Informationen bei den Behörden und dem Eigentümer bemüht. „Hier leben völlig unterschiedliche Menschen vereint, die wenigstens für den Moment eine Sicherheit in Form von einem Daheim gefunden haben“, sagt er. Nun hätten viele Existenzängste.
Einige der Männer waren zuvor obdachlos, haben Sucht- oder gesundheitliche Probleme. Andere haben nach einer Scheidung keine andere Wohnung gefunden und pendeln von hier aus zu ihrer Arbeit nach Steißlingen oder Konstanz. In der Not nahmen sie den alten Standard des Hauses und die recht hohen Mieten in Kauf: 500 Euro zahlt Joachim Gaßner für ein möbliertes Zimmer. Zuvor habe er sich um dutzende Wohnungen beworben, aber keine bekommen.

Eigentümer hat bisher einfach weiter vermietet
Auch Selcuk Copkayaoglu wurde von der Entscheidung des Landratsamts überrascht, wie er sagt. Er ist Geschäftsführer der ACA Müller ADAG Pharma GmbH und Vermieter des Gasthaus Krone-Post. Anfang 2019 übernahm er die Firma und damit auch die Immobilie – eine ungewöhnliche Kombination, die man mit einem Verkauf habe auflösen wollen. „Wir haben es bisher einfach weiter geführt“, erklärt Copkayaoglu. In den Jahren zuvor sei die Vermietung nicht beanstandet worden. Das änderte sich, nachdem das Landratsamt im November die Räume sah und im Januar die Nutzung untersagte. „Seitdem versuchen wir, Schadensbegrenzung zu betreiben.“

„Es wäre alles machbar gewesen“, auch eine Feuertreppe
Das Angebot einer Fachfirma liege vor, um in acht bis zehn Wochen eine Feuertreppe anzubringen. „Es wäre alles machbar gewesen“, ist sich der Eigentümer sicher, doch jetzt werde das Ganze viel zu teuer. Die Treppe müsse erst mit dem Denkmalschutz abgeklärt werden und es brauche weitere Brandschutz-Maßnahmen. Der Entschluss von Selcuk Copkayaoglu ist daher: „Wir stellen den Beherbergungsbetrieb ein.“
Mängel sind massiv: „Da können wir nicht weggucken“
Das Landratsamt Konstanz betont, dass es keinen Spielraum habe: Bei einem Brand könnten die Bewohner nicht flüchten, sagt Thomas Buser als Leiter des Amts für Baurecht und Umwelt. „Da können wir nicht weggucken und warten.“ Wenn bei einem Brand jemand verletzt werde, sei die Behörde schuld. Eigentlich hätte der Brandschutz schon viel früher ein Thema sein sollen: Wenn aus dem Hotelbetrieb eine dauerhafte Vermietung wird, braucht es eine Nutzungsänderung.

„Das, was dort jetzt stattfindet, braucht auf jeden Fall eine Genehmigung und die entsprechenden Voraussetzungen“, sagt Buser. Dem Landratsamt liegen demnach nicht einmal für die Nutzung als Gasthaus entsprechende Unterlagen vor. Einen Bestandsschutz gebe es aber nicht. Und wenn etwas dauerhaft vermietet wird, sind die Vorschriften nochmal andere. Bei einem ordnungsgemäßen Antrag des Eigentümers wäre auch der Brandschutz geprüft worden, erklärt Buser – bevor jemand einzieht.
Die Gemeinde erfuhr als letztes von drohender Räumung
Wie es jetzt weiter geht, ist unklar. „Sie haben uns Kellerräume im Flüchtlingsheim angeboten“, sagt Thomas Schütze. Für ihn ist die Situation besonders undankbar: Er ist erst neun Tage vor dem Räumungsbescheid eingezogen – dass es für so kurze Zeit sein würde, war nicht abzusehen. Thomas Ruck vom Ordnungsamt bestätigt, dass eine Flüchtlingsunterkunft eine der Optionen ist, die derzeit geprüft wird. Er schildert seine Schwierigkeiten: Die Gemeinde habe als letztes von der drohenden Räumung erfahren und soll nun eine Obdachlosigkeit vermeiden.
Normalerweise habe die Gemeinde es aber mit nur ein oder zwei Obdachlosen pro Jahr zu tun und könne diese Fälle über mehrere Monate hinweg betreuen. Für die spontane Unterbringung von zwölf Menschen würden schlicht die Räume fehlen. „Wir haben hier keine leerstehenden Häuser, die wir für so etwas ad hoc nutzen können“, sagt Ruck. Er sieht die Verantwortung auch beim Eigentümer, der Räume vermietet habe, die nicht bewohnbar seien.
Landratsamt will (auch) nicht, dass Leute auf der Straße stehen
„Was nicht passieren darf, ist dass die Leute auf der Straße stehen“, versichert Thomas Buser als Verantwortlicher beim Landratsamt. Deshalb prüfe man derzeit eine Fristverlängerung bis Ende März, um Eigentümer und Gemeinde mehr Zeit zu geben, eine Unterkunft für die zwölf Betroffenen zu finden.