Im Hegau sind Waldrappe immer noch eine Sensation. Und nicht nur hier, sondern in ganz Süddeutschland und der Schweiz. Hier waren die schwarzen Vögel mit ihren langen, gebogenen Schnäbeln und dem kahlen Kopf einst heimisch, bis sie vor rund 400 Jahren durch intensive Jagd ausgerottet wurden. Sie galten einst als Delikatesse. Wilde Kolonien konnte man zuletzt nur noch in Marokko in streng geschützten Gebieten finden.

Ein Waldrapp steht auf einer Stange vor der Brutwand.
Ein Waldrapp steht auf einer Stange vor der Brutwand. | Bild: Felix Kästle

Doch so langsam kehren die Waldrappe in die Bodenseeregion zurück. Das geschieht nicht zufällig. Dahinter steckt ein aufwendiges, europäisch gefördertes Artenschutzprojekt mit Johannes Fritz an der Spitze, das vor über 20 Jahren seinen Anfang nahm. Und es ist der Beweis dafür, dass vom Aussterben bedrohte Arten gerettet werden können.

Als sich in diesem Frühjahr ein ausgewildertes Waldrapp-Paar, das aus der Handaufzucht in Überlingen am Bodensee stammt, im Zürcher Kanton Rümlang ansiedelte, um Nachwuchs aufzuziehen, war das für das gesamte Waldrappteam eine Sensation. Bisher war man froh, wenn ausgewilderte Paare den Weg vom Winterquartier aus der Toskana zurück zu ihrer Aufzuchtstation fanden.

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Hegau ist ideal, um Bindung zu den Tieren aufzubauen

Doch zurück zum Waldrapp-Camp in Binningen: In Binningen hat sich mittlerweile eine kleine Fangemeinde gebildet, die mindestens einmal pro Woche beim Camp vorkam, um zu sehen, wie es den Waldrappen geht. Seit drei Monaten kümmern sich die beiden Ziehmütter Helena Wehner und Barbara Steininger um 35 Jungvögel. Als Küken kamen sie von Überlingen, weil die dortige Population schon relativ groß geworden ist. In den ersten 14 Tagen mussten sich die Jungvögel an ihre Ziehmütter gewöhnen. Sie sollten sich ihre Stimmen einprägen. Fremde Stimmen würden stören, weshalb Besucher in der Nähe der Voliere nicht mehr sprechen dürfen.

Am Binninger Segelflugplatz werden Waldrappküken auf ihre lange Flugreise über die Alpen bis in die Winterquartiere vorbereitet. Zwei ...
Am Binninger Segelflugplatz werden Waldrappküken auf ihre lange Flugreise über die Alpen bis in die Winterquartiere vorbereitet. Zwei junge Frauen betreuen als Ziehmütter die Vögel über viele Wochen in ihrer Voliere. Im Hintergrund ist der Hohenstoffeln zu sehen. | Bild: Trautmann, Gudrun

Die beiden Ziehmütter sind von 7 Uhr morgens bis zum Sonnenuntergang in ständigem Kontakt mit ihnen. Wenn die Bindung hergestellt ist, können sie sich nach und nach ins Freie bewegen. Alles muss sehr behutsam geschehen. „Der Binninger Flugplatz ist ein idealer Standort für unser Camp“, erzählen die beiden Frauen. Bei den Seglern fühlen sie sich sehr willkommen. Auf dem Gelände stehen seit drei Monaten Zelte und Wohnwagen, die Voliere sowie ein Schlafwagen für die Vögel. Damit ist nun bald Schluss. Der Tross soll noch diesen Monat nach Spanien umziehen.

Trainingsflüge mit Schreckensminuten

Nachdem die Waldrappen die Umgebung kennengelernt hatten, wurden sie langsam auf den Flug ins Winterquartier in Andalusien vorbereitet. Dazu mussten sie sich zuerst an die Fluggeräte gewöhnen. „Wichtig ist, dass die Vögel das Vertrauen nicht verlieren“, sagt Helena Wehner. Deshalb verbringen die beiden Frauen so viele Wochen mit ihnen, füttern sie, reinigen die Voliere und schmusen mit ihnen. Sie wiegen die Tiere am Morgen, um festzustellen, ob sie gesund sind. „Allen 35 geht es gut“, berichten sie stolz.

Mittlerweile gab es etliche Trainingsflüge. Allerdings waren die Wetterbedingungen mit Sturm und Starkregen nicht immer günstig. Einmal überraschte sie eine Regenfront, als sie mit den Vögeln schon draußen waren. „Wir haben uns gar nicht mehr gesehen“, erzählt Helena Wehner. „Das waren Schreckensminuten.“ Aber die Vögel versammelten sich alle um ihre Ziehmütter und harrten im Pulk aus, bis der Regen durchgezogen war. Glück gehabt. „Wir brauchen noch etwas länger bis zum Aufbruch“, erklärt Barbara Steininger. „Die Waldrappen fliegen zwar als Gruppe, bleiben aber noch nicht nahe genug am Fluggerät.“

Ungesicherte Stromleitungen sind für die Jungvögel eine besondere Gefahr.
Ungesicherte Stromleitungen sind für die Jungvögel eine besondere Gefahr. | Bild: Stephan Hahnel

Jeweils eine Ziehmutter wird in einem Fluggerät hinter einem Piloten sitzen. Sie werden die Bezugspersonen für die Vögel sein, wenn es über den südlichen Schwarzwald nach Frankreich und über die Pyrenäen durchs spanische Hochland nach Cádiz ins Winterquartier geht. Mitte August sei der Start geplant. Etwa sechs Wochen wird der Tross am Boden und in der Luft unterwegs sein. Die Migration erfordert eine ausgeklügelte Logistik. Die Route muss vorbereitet, die Nachtquartiere müssen aufgebaut werden. Ein Begleitauto bringt die Ausstattung mit.

Besonders Strommasten werden zum Verhängnis

Etwa 200 Kilometer können die Vögel am Tag zurücklegen. Auf der Reise in den Süden lauern aber einige Gefahren. Bei einem früheren Migrationsflug in die Toskana kamen 27 Vögel in einem heftigen Sturm um. Ungesicherte Strommasten sind eine der häufigsten Todesursachen für die Tiere. Ausgewachsen haben sie zwar nur die Größe eines Huhns; die Spannweite der Flügel beträgt aber 1,30 Meter. Das kann bei Stromleitungen zur Gefahr werden.

Barbara Steininger und Helena Wehner haben die Wetterkapriolen im Waldrappcamp gut überstanden. Drei Monaten lang haben sie sich mit der ...
Barbara Steininger und Helena Wehner haben die Wetterkapriolen im Waldrappcamp gut überstanden. Drei Monaten lang haben sie sich mit der Handaufzucht der in Europa bereits ausgestorbenen Vögel beschäftigt. | Bild: Trautmann, Gudrun

Für Helena Wehner ist es bereits der vierte Einsatz im Waldrapp-Team. Die Vögel haben es der Geografin angetan. Barbara Steininger ist zum ersten Mal dabei. Die Biologin hat zuvor bei der Konrad-Lorenz-Stiftung Graugänse zu Forschungszwecken aufgezogen.

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Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass man es über so einen langen Zeitraum praktisch Tag und Nacht miteinander aushält. Von Freunden oder Familie ernteten die beiden Frauen zum Teil Unverständnis für ihr Engagement. Aber sie verstehen sich gut und sind fest davon überzeugt, dass sich jeder Einsatz für eine vom Aussterben bedrohte Art lohne.