Im Waldrapp-Camp beim Flugplatz des Hilzinger Teilorts Binningen dreht sich alles um die 35 seltenen Vögel. Die Tiere leben in einer Voliere unterhalb des Camps, das aus mehreren Wohnwagen und Zelten besteht, und werden dort durch Büsche abgeschirmt. Ständiger Kontakt mit Besuchern ist unerwünscht. Sie haben nur Kontakt zu ihren beiden Ziehmüttern Helena Wehner und Barbara Steininger. Auch als Reporter darf man nicht so richtig nah ran.

So sieht das Camp aus, rechts das Infozelt für die Besucher.
So sieht das Camp aus, rechts das Infozelt für die Besucher. | Bild: Weiß, Jacqueline

Das hat einen Grund: Sie sollen eine intensive Beziehung zu den beiden jungen Frauen aufbauen – und zu niemandem sonst. Die Ziehmütter kennen sie seit dem ersten Tag, die Waldrappe sind auf sie geprägt. Die Prägung erfolgt bei diesen Vögeln in den ersten zehn bis 14 Tagen. Diese Bindung wird dann entscheidend, wenn die Ziehmütter Anfang August im Leichtfluggerät nach Andalusien fliegen – und die Vögel ins dortige Winterquartier folgen sollen.

Waldrapp-Ziehmütter von morgens bis abends

Der Alltag der beiden Ziehmütter im Waldrapp-Camp unterscheidet sich nicht groß von dem jeder anderen Mutter. Sie kümmern sich von morgens bis abends um die Vögel. Ihr Arbeitstag geht um 7 Uhr morgens los und endet zwischen 21 und 22 Uhr, wenn es dämmert und die Vögel in ihr Haus an der Voliere zum Schlafen gebracht werden. Laura Pahnke, die Tierärztin von Beruf ist, organisiert alles rund um das Camp und informiert die Besucher vor Ort.

Die Aufzuchtstation unter dem Hohenstoffel bei Hilzingen-Binningen.
Die Aufzuchtstation unter dem Hohenstoffel bei Hilzingen-Binningen. | Bild: Weiß, Jacqueline

Der Tag beginnt für die 35 Waldrappe um 7 Uhr mit Wiegen, um zu sehen, wie die Vögel sich entwickeln, und frühzeitig zu erkennen, ob es einem Vogel nicht gut geht, berichtet Helena Wehner. „Wir machen alles gemeinsam und wechseln uns mit den Tätigkeiten, wie dem Putzen, ab, damit die Vögel die gleiche Bindung zu uns aufbauen“, erklärt die Biologin Barbara Steininger.

Dreimal am Tag wird gefüttert

Fütterungszeiten seien um 10 Uhr, 14 Uhr und 18 Uhr. Die Vögel bekommen eine Art Hackfleisch und Insekten aus der Hand gefüttert. Wenn die jetzt ausgewachsenen Waldrappe mit ihren Ziehmüttern draußen in der Wiese unterwegs sind, finden sie auch schon selbst Insekten. „Wenn ein Vogel einen Wurm gefunden hat, tut er dies gleich lautstark kund“, erzählt Helena Wehner. Als ob er stolz auf seinen Fang wäre. Aber das rufe natürlich die anderen auf den Plan, die ihn ihm dann den Wurm abluchsen wollten.

Die Voliere im Haus: Waldrappe und Ziehmütter sitzen oben, weil ein Bagger in der Nähe arbeitet, was die Vögel auf die Stangen fliegen ließ.
Die Voliere im Haus: Waldrappe und Ziehmütter sitzen oben, weil ein Bagger in der Nähe arbeitet, was die Vögel auf die Stangen fliegen ließ. | Bild: Weiß, Jacqueline

In dieser Woche beginnt für die Vögel und ihre Betreuerinnen das Training mit dem Fluggerät, nachdem sie ab dem 10. Juni bereits erste Flüge auf eigene Faust rund um den Flugplatz in Binningen unternommen hatten. Sie waren dabei auch über dem Hilzinger Teilort zu sehen oder landeten auf einem Hausdach. Die Vögel sind zwar nur so groß wie ein Huhn, haben aber eine Flügel-Spannweite von rund 1,30 Metern. In einer ersten Phase mit dem Fluggerät sollen sich die Vögel an das startende und landende Gerät gewöhnen und lernen, ihm zu folgen, berichtet Laura Pahnke.

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Sie informiert an diesem Nachmittag auch zwei Besucher aus der Schweiz, erst im Infozelt und dann geht sie mit ihnen in Richtung Voliere. Ganz nah ran dürfen die Besucher nicht und in etwa zehn Meter Entfernung darf auch nicht mehr gesprochen werden, denn die Waldrappe sollen sich nicht an fremde Stimmen gewöhnen.

Der Flugplatz in Binningen sei ideal für das Vogel-Trainingscamp: „Die Zusammenarbeit mit der Segelfluggruppe Binningen ist großartig. Wir wurden gut aufgenommen und die Mitglieder nehmen Rücksicht“, berichtet Laura Pahnke.

Projekt setzt ein Zeichen für Artenvielfalt

Aber ist das alles nicht ein bisschen viel Aufwand für einen Vogel? „Das finde ich nicht“, erklärt Helena Wehner. „Ich würde mir wünschen, dass das für jedes vom Aussterben bedrohte Tier möglich wäre“, sagt sie. Das Projekt, das es seit 21 Jahren gibt, zeige, dass es möglich ist, bedrohte Tierarten zu retten und erfolgreich wieder anzusiedeln. Es setze ein Zeichen für Artenvielfalt. Außerdem verhindere es, dass Tiere zum Beispiel durch illegale Vogeljagd sterben, und trage damit zum Schutz aller Vögel bei.

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Anfang August, wenn die anderen Wildvögel eine erste Zugunruhe zeigen, kommt der große Tag auch für die Waldrappe und ihre Ziehmütter. Ihre dreimonatige Trainingszeit in Binningen endet, dann startet die Reise nach Andalusien mit zwei Fluggeräten in zehn bis 15 Etappen. Und das sind für die Campmitglieder mit die spannendsten und schönsten Momente der Handaufzucht.

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„Wenn man mit den Vögeln gemeinsam in der Luft ist, die Vögel ums Fluggeräte herumfliegen, mit uns kommunizieren und im Flug den Kopf neigen, um zu sehen, ob wir noch da sind: Dieses Vertrauen, das sie in uns haben, ist schön“, erklärt Ziehmutter Helena Wehner, die Geographie studiert hat. „Es ist einfach eine tolle und einmalige Mensch-Tier-Beziehung“, pflichtet ihr Barbara Steininger bei.