Große Hoffnung hatte sich Ralph Röber vom Westfälischen Museum für Archäologie in Münster nicht auf den Job in Konstanz gemacht. Schließlich gab es da die Main-Grenze. Wer sich in die eine oder andere Richtung darüber hinweg auf eine feste Stelle bewarb, ging meist leer aus. Als dann per Telefon die überraschende Zusage aus Baden-Württemberg kam, rief er sofort seine Frau Monika an. Ihre Reaktion auf die an sich doch gute Nachricht: „Ach, du Sch...“
Eine Geschichte fehlender Möglichkeiten
Dass sich die Zentrale der archäologischen Vergangenheitspflege in Baden-Württemberg heute ausgerechnet am westlichen Bodensee befindet, ist vor allem eine Geschichte fehlender Möglichkeiten. Zuerst der Stadt Konstanz, die Ender der 1980er-Jahre große Pläne mit dem ehemaligen Benediktinerkloster in Petershausen hatte, dann aber mangels Geld doch lieber zwei Flügel des Komplexes für die vermeintliche Museumsaußenstelle ans Land abgab.
Und schließlich des Landes selbst, das in Stuttgart jahrelang kein geeignetes Grundstück für einen Neubau fand und den Konstanzern 2010 mit dem Status als Stammhaus endlich gab, was ihnen ohnehin längst gebührte.
Doch zurück in das Jahr 1991, in dem Mittelalter-Experte Ralph Röber und seine Frau nach Konstanz zogen. Und in dem auch Barbara Theune-Großkopf mit ihrem Mann am Bodensee eintraf. Die aufs Frühmittelalter spezialisierte Wissenschaftlerin kam von einer befristeten Stelle beim Römisch-Germanischen Zentralmuseum aus Mainz.
Sie hatte sich auf dieselbe Zeitungsanzeige wie ihr künftiger Kollege fürs „Landesarchäologiemuseum im Aufbau mit Außenstelle Konstanz“ beworben. Erster Arbeitstag der beiden war der 1. Juli, und Röber schüttelt noch heute den Kopf, wenn er daran denkt: „Es war schockierend!“


Die beiden ersten Angestellten des heutigen Archäologischen Landesmuseums (ALM) hatten keine richtigen Büros, geschweige denn eine Ausstattung dafür. Die Telefone standen auf dem Boden. Es gab keine Türen und kein Mobiliar. Das eigentliche Museum, dessen erster Direktor als gleichzeitiger Präsident des Landesdenkmalamtes in Stuttgart saß, war noch leer. Deshalb hockten Barbara Theune-Großkopf und Ralph Röber in der Anfangszeit erst einmal den Leuten in der Konstanzer Außenstelle des Landesamtes „auf dem Schoß“. Und zogen von dort aus die Strippen.
Theune-Großkopfs erster Auftrag hatte dann so viel mit ihrem Spezialgebiet zu tun wie die Kelten mit dem Aussterben der Dinosaurier. „Ich bekam die Aufgabe, sämtliche Räume im Verwaltungstrakt mit Möbeln zu bestücken – wirklich typische Archäologenarbeit ...“ Es ging um eine Auftragssumme von 40.000 Mark, und die bescherte der gebürtigen Hessin manch unruhige Stunde. Was wenn irgendetwas nicht so funktionieren würde wie gewünscht? Was wenn man sie dafür in Regress nehmen würde?
ALM gibt Vorzeit an die Zukunft weiter
Die zweckmäßigen und robusten Büromöbel in funktional-schlichtem Weiß-Grau sind noch heute in Benutzung. Theune-Großkopf hatte nicht nur diese Aufgabe perfekt gemeistert, sie sollte in den folgenden Jahrzehnten auch in ihrem Fach glänzen – etwa mit dem von ihr entwickelten museumspädagogischen Konzept, mit dem das ALM Maßstäbe in der Arbeit mit Schulklassen und dem Nachwuchs setzte. „Ich habe mir das selbst erarbeitet“, erzählt die 64-Jährige und lacht: „Als Lehrerkind wurde mir das wahrscheinlich mit der Muttermilch eingeflößt.“

Die Konzeption für das neue Museum in Konstanz hatten damals – Anfang der 1990er-Jahre – mit enormem Einsatz und erstaunlichem Tempo schon die Fachleute des Landesamtes für Denkmalpflege erstellt, bei der Umsetzung waren Röber und Theune-Großkopf dann von Beginn an dabei. „Zum Glück konnten wir noch ein bisschen mitgestalten“, sagen sie.
Ihr Einfluss ist auf den 3000 Quadratmetern Ausstellungsfläche sichtbar, vor allem in den im Laufe der Zeit neu eingerichteten Räumen. In dem Museum werden den Besuchern nicht nur Funde präsentiert, sie erfahren nach wie vor auch, wie Archäologen arbeiten – also Wissenschaftler wie Ralph Röber, der 70 Prozent der Exponate, die im Konstanz-Raum des ALM zu sehen sind, selbst ausgegraben hat.

Barbara Theune-Großkopf, mittlerweile stellvertretende Direktorin des Hauses, blickt fast ein wenig verblüfft auf die Anfangszeit zurück. „Das Land Baden-Württemberg hat damals nur 5,2 Millionen Mark investiert und das ganze Ding vom Kabinettsbeschluss bis zur Eröffnung in eindreiviertel Jahren umgesetzt. Stellen Sie sich das heute mal vor!“
Eröffnung war am 14. März 1992. Röber, Theune-Großkopf und ihre mittlerweile dazugekommenen Kollegen waren erst am Morgen mit den allerletzten Arbeiten fertig. Nur wenige Stunden später standen sie „geschniegelt und gebügelt“ beim Festakt bereit und hatten, während all die schönen Reden gehalten wurden, vor allem eine Aufgabe: Nicht einschlafen!

Touristen lösen neugierige Konstanzer ab
„Bis 18 Uhr haben wird dann noch Besuchergruppen durchs Haus geführt, das waren mehrere tausend Leute“, erinnert sich der 62-jährige Archäologe. Und seine Kollegin ergänzt: „Anfangs war das ein wahnsinniger Hype. Vor allem die Konstanzer wollten damals sehen, was hier entstanden ist. Heute kommen vor allem die Touristen.“
Wobei die Lage im ehemaligen Kloster – auf der rechten Rheinseite statt direkt in der Altstadt – auch ein Nachteil sei: Das ALM habe dadurch nur wenig Laufkundschaft, die zufällig hereinschneit. Bis zu 30.000 Besucher im Jahr, dazu fast 1,5 Millionen Gäste bei den bisher sechs von Konstanz aus organisierten Großen Landesausstellungen und bereits rund 10.500 Öffnungstage, so lautet die Bilanz nach 30 Jahren, an der die beiden ALM-Mitarbeiter der ersten Stunde einen großen Anteil haben.

Heute kümmern sich 38 Angestellte in Konstanz und im Zentralen Fundarchiv in Rastatt um die Bewahrung und Präsentation des historischen Erbes. Sieben Zweigmuseen im Land werden wissenschaftlich vom ALM betreut. Das alles kann sich im Wort- wie auch im übertragenen Sinn sehen lassen – 31 Jahre, nachdem Barbara Theune-Großkopf plötzlich zur Büromöbelspezialistin wurde und Ralph Röbers Frau Monika aus allen Wolken fiel.