Für Andreas Noe war es ein logischer Schritt. Ein Schritt, den er gehen musste. Als er im Spätsommer 2019 seinen Job als medizinischer Berater aufgab, war das für ihn eine Erlösung. Ein Ausweg aus dem Büro-Alltag. Sein Ticket, sich endlich einer Problematik widmen zu können, der er sich tief im Inneren längst verschrieben hatte. Wenn er von seinem Werdegang erzählt, klingt es surreal.

Noe wirkt nicht wie einer, der mit Hemd im Labor sitzt. Nicht wie einer, der gern Ärzte und Pharmazeuten berät. Noe wirkt wie einer dieser Menschen, mit denen man auf einer Party zufällig ins Gespräch kommt und plötzlich um drei Uhr morgens über den Sinn des Lebens philosophiert.

Andreas Noe ist in 58 Tagen die komplette portugiesische Küste abgelaufen um ein Zeichen gegen den Plastikkonsum zu setzen.
Andreas Noe ist in 58 Tagen die komplette portugiesische Küste abgelaufen um ein Zeichen gegen den Plastikkonsum zu setzen. | Bild: privat

Irgendwann hat Noe für sich beschlossen, minimalistisch zu leben, auf Unnötiges zu verzichten. Wie zum Beispiel auf eine eigene Wohnung. Eineinhalb Jahre lang lebte er deshalb in seinem VW-Bus und lernte einen alternativen Lebensstil kennen. „Ich habe damals quasi neben meiner Arbeitsstelle gewohnt. Da war ein Fitnessstudio, das war meine morgendliche Dusche“, erzählt er lachend.

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Er hat eine lockere, liebenswürdige Art. Eine unverkennbare Lebensfreude, mit der er selbst schlechten Dingen etwas Positives abgewinnt. Vermutlich wäre er sonst auch nicht da, wo er jetzt ist. Wenn er so erzählt, füllt er die Pausen immer wieder mit Lachen – und es wirkt so, als überrasche es ihn selbst, welche Wendung sein Leben in den vergangenen Monaten nahm.

Seine Arbeitsstelle hat er mittlerweile gekündigt, auch seine Promotion gab er auf. Der Gedanke, weiterhin außergewöhnlich zu leben, blieb aber erhalten. Denn beim Thema Plastik, wird sein Ton ernst. Er will etwas verändern, Bewusstsein für die düstere Situation schaffen.

Schnappt euch das Plastik Video: Andreas Noe

Schon lange bevor Noe nach Lissabon zog, beschäftigte er sich mit Plastikmüll. „Ich habe mich immer gefragt, wofür wir Plastik eigentlich brauchen“, sagt er. Heute hält er Vorträge, berichtet über das Problem an sich und davon, wie er im vergangenen Sommer für Aufräumaktionen in 58 Tagen die gesamte Küste Portugals abwanderte.

Spätestens seitdem er am Meer wohnt und sich in jeder freien Minute auf sein Surfbrett schwingt, sieht er, wie schockierend die Problematik ist: „Es gibt in Portugal keinen einzigen Strand mehr, an dem es kein Plastik gibt.“ Noch immer wird Plastik nicht effizient recycelt und kann über Umwege im Meer landen.

Andreas Noe ist leidenschaftlicher Surfer – vor allem ist er aber leidenschaftlicher Umweltaktivist.
Andreas Noe ist leidenschaftlicher Surfer – vor allem ist er aber leidenschaftlicher Umweltaktivist. | Bild: privat

Für das Ökosystem und die dort lebenden Tiere ist das fatal. Auch im Körper der Menschen ist Plastik längst angekommen: „Ich habe vor kurzem eine Publikation gelesen. Da wurde Mikroplastik in der Placenta von Müttern ungeborener Babys gefunden.“ Eine schockierende Erkenntnis – auf deren Grundlage sein Projekt „The Plastic Hike“ aus diesem Sommer entstand.

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Die Leichtigkeit, mit der er über die Wanderung spricht, ist faszinierend. Schließlich ist die Küste Portugals 832 Kilometer lang. Länger als der Weg von Konstanz nach Zagreb – und dazu noch im Sand. „Ich habe davor noch nie wirklich eine Wanderung gemacht, sondern mir einfach gedacht: Ach ja, das schaffe ich schon irgendwie.“

Vorbereitet habe er sich mit ein paar Sit-Ups und Kniebeugen. „Allerdings auch nicht so extrem. Mein ganzes Leben ist schon relativ spontan und ich dachte mir, dass das schon irgendwie läuft“, erzählt er lachend.

Also schrieb er sämtliche Umweltorganisationen in Portugal an und verabredete sich mit ihnen für eine Aufräumaktion an den Stränden seiner Route. Währenddessen fuhr ein Freund von Noe mit seinem VW-Bus, den sie wieder als Schlafplatz umfunktionierten, zum nächsten Treffpunkt und wartete auf ihn.

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Auch ein Kamerateam begleitete ihn über die kompletten zwei Reise-Monate und drehte einen Dokumentarfilm darüber. Rund 14 Kilometer lief er jeden Tag, bewaffnet mit Müllsäcken und seiner Ukulele. „Ich habe einfach extrem Spaß daran, spontan Lieder zu dichten“, erklärt Noe.

Schon wieder eine Maske Video: Andreas Noe

Für jede Organisation, die er traf, schrieb er eins. „Auf meiner Wanderung habe ich gebrainstormt und zwei Zeilen mit dem Namen der Organisation in ein Lied reingearbeitet. So haben mich die Leute gleich ins Herz geschlossen“, erinnert er sich. Dazu produzierte er jeden Tag auch ein Video für seine Social-Media-Kanäle.

Mit der Zeit weckte „The Trash Traveler“ auch das Interesse der portugiesischen Medien. Einmal kam er nach einer rund 20 Kilometer langen Wanderung an eine Aufräumstation, an der er von einigen Fernsehteams überrascht wurde: „Das war total verrückt! Als ich genauer hingeschaut habe, waren das die zwei größten Fernsehsender Portugals. Am Abend habe ich mich dann auf einmal in den Nachrichten gesehen.“

Die Corona-Pandemie macht sich auch im Plastikverbrauch erkennbar.
Die Corona-Pandemie macht sich auch im Plastikverbrauch erkennbar. | Bild: privat

Trotzdem ist es Noe wichtig, dass es in der Aktion selbst nicht um das Aufräumen ging: „Man kann eine Flasche aufsammeln, aber wenn dafür wieder eine Million Flaschen an den Strand gespült werden, hat das keinen Einfluss.“ Stattdessen geht es Noe um das Bewusstsein der Menschen, vor allem im täglichen Konsum.

Und einen Tipp gibt Andreas Noe noch mit auf den Weg: „Nimm jedes Produkt in die Hand, ob im Bad oder in der Küche, und überlege, ob es hierfür nicht auch eine plastikfreie Alternative gibt.“ Denn die gibt es – mittlerweile fast für alles.

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